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Mindestlohn : Die Höhe des Niedrigsten

Linke und Grüne fordern mehr Flexibilität für die Erhöhung der Lohnuntergrenze

19.04.2021
2023-08-30T12:39:35.7200Z
3 Min

Andere Zeiten: Anfang 2005, der Sozialdemokrat Gerhard Schröder war noch Bundeskanzler, als er vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos verkündete: "Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren, den es in Europa gibt, aufgebaut." Zehn Jahre später trat, nach jahrelangen erbitterten Diskussionen, ein gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland in Kraft, um die niedrigsten dieser niedrigen Löhne etwas anzuheben, auf 8,50 Euro je Stunde. Heute liegt der Mindestlohn bei 9,50 Euro und schon lange plädieren Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände für einen "armutsfesten" Mindestlohn in Höhe von zwölf Euro. Im Oppositionslager sind sich Linke und Grüne darüber längst einig, und auch die SPD hat eine solche Anhebung für 2022 als Ziel formuliert. Denn nach einem Jahr Corona-Pandemie zeigt sich, dass insbesondere niedrige Einkommensgruppen unter Einbußen leiden.

In der Mindestlohn-Debatte der vergangenen Woche zu drei Anträgen von Linken und Grünen wurde dieser Punkt ebenfalls als Argument für eine Erhöhung ins Feld geführt. In den zwei Linken-Anträgen (19/27319; 19/20030) und dem Grünen-Antrag (19/22554) geht es aber um mehr. Beide Fraktionen fordern, der Mindestlohnkommission einen größeren Handlungsspielraum bei der Festsetzung der Lohnuntergrenze zu gewähren. In der Kommission entscheiden Tarifpartner und Wissenschaftler, orientiert an den jüngsten Tarifabschlüssen, über eine Erhöhung. Dies ist für die Antragsteller ein zu enges Korsett, sie fordern eine Reform der Kommissionsarbeit.

Union, FDP und AfD lehnten es unter Verweis auf die Tarifautonomie klar ab, in die Arbeit der Kommission einzugreifen. Die SPD unterstützt die Forderung dagegen.

Susanne Ferschl (Die Linke) ließ das Argument einer politischen Lohnfestsetzung nicht gelten. "Dass Menschen von ihren Löhnen nicht leben können, ist eine Folge politischer Entscheidungen in diesem Haus. Erst die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat die Gewerkschaften und Beschäftigten geschwächt." Deswegen sei die Tarifbindung überhaupt erst in den freien Fall gekommen und ein gesetzlicher Mindestlohn nötig geworden, betonte sie.

Beate Müller-Gemmeke (Grüne) hielt eine Erhöhung des Mindestlohns deshalb für nötig, weil dieser sehr niedrig gestartet sei. "Nun ist es Zeit, Millionen Beschäftigten, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, über die Armutsschwelle zu heben." Die Mindestlohnkommission dürfe sich nicht nur an der Tarifentwicklung orientieren, forderte sie.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) plant ebenfalls, den Mindestlohn künftig am mittleren Lohn zu orientieren, um schneller zu einer Erhöhung zu kommen. Auch die EU-Kommission arbeitet derzeit an einem rechtlichen Rahmen für europäische Mindestlöhne, die sich an den jeweiligen Durchschnittslöhnen der Länder orientieren sollen.

Freiheit der Kommission Peter Weiß (CDU) betonte, zum Erfolg der sozialen Marktwirtschaft gehöre eine starke Position von Tarifpartnern, und dies komme in der Besetzung der Mindestlohnkommission zum Ausdruck. "Die Anträge von Grünen und Linken sind nichts anderes als der Versuch, die Mindestlohnkommission auszutricksen und politisch einen Mindestlohn festzulegen", sagte Weiß. Er wies die Auffassung strikt zurück, wonach die Kommission nicht frei in ihren Entscheidungen sei. Diese sei nicht so strikt an die Tarifentwicklung gebunden, wie es die Anträge suggerierten.

Es sei an der Zeit für eine Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, befand dagegen Bernd Rützel (SPD). "In der Pandemie haben wir doch gesehen, dass bei jenen, auf die es ankommt, am wenigsten ankommt. Das ist ein Problem", bekräftigte er. Nach sieben Jahren Mindestlohnkommission habe sich der Mindestlohn gerade einmal um einen Euro pro Stunde erhöht. Das zeige, die Kommission brauche mehr Spielraum, sagte Rützel.

Uwe Witt (AfD) betonte, seine Fraktion lehne die "unausgereiften" Anträge komplett ab. Denn diese Forderungen sorgten nicht nur für einen massiven Stellenabbau, sondern auch für unbezahlbare Dienstleistungen. Gerade für kleine mittelständische Unternehmen würden sich die Kosten dramatisch erhöhen, während gleichzeitig bei den Beschäftigten nur eine minimale Erhöhung im Portemonnaie lande.

Carl-Julius Cronenberg (FDP) lobte: "Der Mindestlohn ist ein Erfolg", aber nur deshalb, weil sich die Politik nach dem Startschuss herausgehalten und alles weitere der Kommission überlassen habe. In "sozialromantischer Absicht" wollten Grüne und Linke diese Leitplanken einreißen. Er betonte, dass sich die Armut seit 2005 halbiert habe und nicht der intervenierende Staat, sondern Arbeit und Aufstieg vor Armut schütze.