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Lage in Belarus : "Wir sind anders als Lukaschenko"

Der Bundestag debattiert kontrovers über das Flüchtlingsdrama an der Grenze zu Polen. Außenminister Maas (SPD) kündigt verschärfte Sanktionen gegen Minsk an.

15.11.2021
2024-02-26T10:57:53.3600Z
5 Min
Foto: picture alliance/AP/Sergei Guneyev

Alexander Lukaschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin verbindet eine lange politische Zusammenarbeit.

Als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) während der Plenarsitzung des Parlaments vergangene Woche die auf der Ehrentribüne sitzende belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja begrüßte, verband sie dies mit dem Wunsch, "dass auch das Volk von Belarus in Zukunft seine Geschicke mit freien und auch parlamentarischen Debatten gestalten wird". Mit stehendem Applaus ehrten die Abgeordneten Tichanowskaja, die 2020 bei der von massiven Manipulationsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in ihrer Heimat als Oppositionskandidatin gegen Diktator Alexander Lukaschenko angetreten war.

Dessen Repressionen gegen das eigene Volk prangerte der geschäftsführende Außenminister Heiko Maas (SPD) an, als der Bundestag anschließend über das Flüchtlingsdrama an der Grenze von Belarus zu Polen debattierte. "Seit dem vergangenen Jahr haben Sicherheitskräfte des Regimes tausende Menschen festgenommen; die Zahl der politischen Gefangenen ist auf über 800 gestiegen, und ein Dialog mit der Opposition findet nicht statt", konstatierte Maas. Er warf zugleich den Machthabern in Minsk vor, Migranten nach Belarus zu locken und von dort in Richtung Europäische Union zu schicken: "Ohne jeden Skrupel missbrauchen sie Tausende von Menschen als Geisel", betonte der Außenamtschef. Sie wollten die EU und insbesondere Polen sowie Litauen unter Druck setzen und spielten dabei mit Menschenleben. In dieser Situation sei es überfällig, die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Maas: Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime ausweiten

Priorität habe dabei besonders angesichts des nahenden Winters die humanitäre Versorgung der Menschen im belarussischen Grenzgebiet, fügte Maas hinzu. Auch werde die EU gegen illegale Schleusungen durch Belarus weiter vorgehen. Niemand solle sich "ungestraft an diesem Schleuserring beteiligen können" - diese Botschaft richte sich an die Transit- und Herkunftsstaaten ebenso wie an die Fluggesellschaften, mit denen die Migranten nach Belarus gebracht werden. Zwar sei es rechtlich nicht einfach, diese Fluggesellschaften "zu sanktionieren, weil sie formalrechtlich nichts Illegales tun". Sie müssten sich aber damit auseinandersetzen, dass Landerechte von jedem Mitgliedsstaat der EU selbst erteilt werden. Zugleich werde die EU ihre Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime ausweiten und verschärfen. Dabei trage die Mehrheit in der EU die Auffassung mit, dass "so wichtige Wirtschaftszweige wie die Kali-Industrie in Belarus jetzt sanktioniert werden müssen".


„ Wir sind anders als Lukaschenko - und das müssen wir auch bleiben.“
Franziska Brandtner (Grüne)

Thorsten Frei (CDU) sprach mit Blick auf die Lage an der belarussischen Grenze zu Polen von einer Tragödie, bei der Menschen "auf eine ganz perfide Weise" zur Erreichung machtpolitischer Ziele eingesetzt würden. Dies sei die Tat Lukaschenkos unter Mithilfe der Präsidenten Russlands und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan. Dies dürfe man ihnen nicht durchgehen lassen, forderte Frei und betonte wie Maas die Solidarität mit Polen, das wie Litauen und Lettland seinen Beitrag zur Sicherung der EU-Außengrenzen leiste. Forderungen, die Flüchtlinge in Europa zu verteilen, trügen dagegen dazu bei, dass Lukaschenkos Kalkül aufgehe.

Grüne: Hilfsorganisationen Zugang zum Grenzgebiet zu gewähren

Franziska Brantner (Grüne) wertete die Lage der Menschen an der belarussischen Westgrenze als unerträglich. Zugleich warb sie dafür, Hilfsorganisationen Zugang zu dem Grenzgebiet zu gewähren. Es dürfe keine europäische Politik sein, Menschen erfrieren und verhungern zu lassen, mahnte Brantner: "Wir sind anders als Lukaschenko - und das müssen wir auch bleiben", betonte sie. Lukaschenko instrumentalisiere die Migranten, doch diese seien Menschen und nicht eine Waffe. Notwendig seien weitere harte Sanktionen gegen das belarussische Regime und Wirtschaftszweige wie die Kali-Industrie des Landes.

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) betonte, Polen habe alle Unterstützung bei der humanitären Versorgung wie bei der Sicherung der gemeinsamen EU-Außengrenze verdient. Zur Wahrheit gehöre indes auch, dass man "die Hilfen dann auch annehmen" müsse.

Gottfried Curio (AfD) sagte, die Abwehr illegaler Migration sei "Staatspflicht". Während die Bundesrepublik diese Pflicht eklatant verletze, schütze Polen "sich, Deutschland und die ganze EU". Polen handele auch in deutschem Interesse, weil die Migranten "auf ihrer Reise durch sichere Drittstaaten offenbar keinen Schutz suchen, sondern nur den Weg ins Abzock-Schlaraffenland Deutschland". Wer "vor Polens Grenze ,Germany' schreit, sucht nicht Asyl", betonte Curio.

Linke: Zurückweisung Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention

Gökay Akbulut (Linke) beklagte dagegen, dass es täglich "Opfer von illegalen Pushbacks von Polen nach Belarus" gebe. Mindestens zehn Menschen seien bereits an dieser Grenze gestorben. Dies hätte nicht geschehen müssen, wenn geltendes Recht an der EU-Außengrenze eingehalten worden wäre. Die Zurückweisung von Geflüchteten ohne individuelle Asyl-Prüfung sei ein Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und EU-Asylrecht.

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Auch Lars Castellucci (SPD) mahnte, wer an die EU-Außengrenzen komme, solle menschenwürdig behandelt werden und ein faires Verfahren erhalten, wenn er nach Asyl nachfrage.

Zu der Debatte lagen ein CDU/CSU-Antrag mit dem Titel "Migration ordnen, steuern und begrenzen - Neue Pullfaktoren verhindern - Lukaschenko stoppen" sowie ein AfD-Antrag auf "Unterstützung für die Maßnahmen Polens, Ungarns und anderer europäischer Staaten zur Abwehr destabilisierender Migrationsbewegungen" vor. Beide Vorlagen wurden zur weiteren Beratung an den Hauptausschuss überwiesen.