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FAMILIE : Mehr Kontrolle und mehr Beratung

Im zweiten Anlauf will die große Koalition eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe umsetzen

01.02.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
3 Min

In der vergangenen Legislaturperiode war der Versuch für eine Reform der Kinder- und Jugendhilfe noch gescheitert. Am vergangenen Freitag war der Bundestag nun bereit, über den von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) eingebrachten Gesetzesentwurf (19/26107) zu debattieren, um das politische Vorhaben in einem zweiten Anlauf zu realisieren.

Mit dem sogenannten Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) sollen zum einen Kinder und Jugendliche in Heimen und Pflegefamilien oder in belastenden Lebensverhältnissen besser geschützt und unterstützt werden. Zum anderen soll die Kinder- und Jugendhilfe konsequent inklusiv gestaltet und alle Hilfen für junge Menschen mit oder ohne Behinderung im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII) angesiedelt werden. Zudem sollen mehr Beratungs- und Beschwerdemöglichkeiten für Kinder, Jugendliche und deren Eltern geschaffen werden.

Der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marcus Weinberg (CDU), betonte, welche Bedeutung der Kinder- und Jugendhilfe zukommt. In den 35 Minuten der Debatte im Bundestag würden durchschnittlich drei Kinder in Deutschland die Erfahrung von Gewalt oder Missbrauch machen. Sie bräuchten die "Unterstützung durch den Nachtwächterstaat". Weinberg lobte Giffey für den Gesetzesentwurf. Allerdings kündigte er Nachbesserungsbedarf an. So müsse über das Problem der Obdachlosigkeit von Jugendlichen - unter ihnen 6.000 Minderjährige - gesprochen werden.

Norbert Müller, jugendpolitischer Sprecher der Linksfraktion, griff Weinbergs Ausführung direkt auf. Er freue sich, dass der Unionsabgeordnete darüber jetzt im Ausschuss verhandeln wolle. Schließlich habe die Union die Anträge der Linken zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit von Jugendlichen abgelehnt.

Konkret sieht das Gesetz eine strengere Aufsicht und Kontrolle von Einrichtungen und Auslandsmaßnahmen vor. Zudem soll die Kooperation zwischen der Kinder- und Jugendhilfe, dem Gesundheitswesen, den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz verbessert werden.

Deutlich verringert werden soll die Kostenbeteiligung junger Menschen, die sich in vollstationärer Betreuung in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung leben. Mussten sie bislang gemäß des SGB VIII 75 Prozent ihres Einkommens aus einer Ausbildung oder einem Nebenjob an das Jugendamt für ihre Betreuungskosten abführen, sollen dies in Zukunft nur noch 25 Prozent gehen. Der Opposition geht diese Regelung jedoch nicht weit genug. Übereinstimmend forderten FDP, Linke und Grüne, auf die Kostenbeteiligung ganz zu verzichten. Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Katja Suding argumentierte, dass die Kostenbeteiligung in zweifacher Hinsicht keinen Sinn ergebe. Auf die betroffenen Jugendlichen wirke sie demotivierend, zum anderen würde sie bei einer Senkung auf 25 Prozent nicht einmal die Bürokratiekosten decken, um sie einzutreiben. "Die Kostenbeteiligung muss weg", forderte Suding. Den entsprechenden Antrag ihrer Fraktion (19/26158) überwies der Bundestag zusammen mit dem Gesetzentwurf zur weiteren Beratung in den Familienausschuss.

Mit der Gesetzesnovelle sollen in den kommenden sieben Jahren zudem alle Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung stufenweise im SGB VIII gebündelt werden. Prinzipiell soll die Inklusion als Leitgedanke in der Kinder- und Jugendhilfe verankert werden. Die SPD-Familienpolitikerin Ulrike Bahr bezeichnete dies als eine "wesentliche Säule" der Reform. In Deutschland lebten etwa 360.000 Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung. Sie bräuchten unbürokratische und bedarfsgerechte Hilfen "aus einer Hand".

An dieser Stelle entzündete sich die Hauptkritik der AfD-Fraktion. Deren Familienpolitiker Johannes Huber monierte, die Familienministerin wolle bei Kindern mit Behinderung "ihre Ideologie der Inklusion" durchsetzen. Inklusion könne zwar richtig sein, aber Behinderte benötigten Hilfe in einer spezialisierten Form. "Wir brauchen mehr Spezialisierung statt Gleichmacherei", forderte Huber.

Die Grünen-Familienpolitikerin Ekin Deligöz begrüßte den inklusiven Ansatz des Gesetzes hingegen ausdrücklich. Zugleich monierte sie allerdings, dass die Funktion der ab 2024 vorgesehenen Verfahrenslotsen bei den Jugendämter als Ansprechpartner für Eltern "völlig vage" sei. Das Gesetz müsse konkreter formuliert werden.