Piwik Webtracking Image

WAHLRECHT : Kandidatenkür trotz Corona

Bundestag billigt Verordnung zur Aufstellung von Bundestags-Bewerbern ohne Präsenzversammlungen

01.02.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
4 Min

Am 26. September ist Bundestagswahl. Das Hochamt der deutschen Demokratie sozusagen, der Tag, an dem der Souverän spricht, an dem das Volk entscheidet, wem es für die nächsten vier Jahre die Geschicke des Landes anvertraut. Fast 61,7 Millionen Menschen waren beim vergangenen Mal 2017 wahlberechtigt, von denen mehr als drei Viertel ihre Stimme abgaben; 42 Parteien stellten sich dem Votum der Wähler; 4.828 Frauen und Männer bewarben sich um ein Mandat.

Und 2021, im zweiten Jahr der Pandemie? Kontaktbeschränkungen und Lockdown dimmen das öffentliche Leben herunter, Parteivorsitzende werden auf digitalen Veranstaltungen gekürt und dann in schriftlicher Wahl bestätigt, Versammlungen sind untersagt oder zumindest hoch riskant, doch schreibt das Bundeswahlgesetz eigentlich für die Aufstellung der Kandidaten-Versammlungen vor.

»Ausnahmsweise« Vergangene Woche gab der Bundestag mit 357 Ja-Stimmen bei 170 Enthaltungen und 84 Nein-Stimmen seine notwendige Zustimmung zu einer Verordnung des Bundesinnenministeriums (19/26009) in modifizierter Fassung (19/26244), die es Parteien ermöglicht, die Kandidatenaufstellungen für die Bundestagswahl 2021 "ausnahmsweise abweichend von den wahlrechtlichen Bestimmungen" des Bundeswahlgesetzes ohne Versammlungen durchzuführen. Während die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD ebenso geschlossen für die Vorlage votierten, wie sich die FDP- und die Grünen-Abgeordneten enthielten, gab es bei der AfD 72 Nein-Stimmen und eine Enthaltung; bei der Linken waren es neun Nein-Stimmen und 41 Enthaltungen. Die für die Verordnung erforderliche Feststellung, dass angesichts der Covid-19-Pandemie "die Durchführung von Versammlungen für die Wahl der Wahlbewerber und der Vertreter für die Vertreterversammlungen zumindest teilweise unmöglich ist", hatte das Parlament bereits in der vergangenen Sitzungswoche getroffen.

Nach der Verordnung können die "Wahlvorschlagsträger" bei der Kandidatenaufstellung von Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes, der Bundeswahlordnung und ihrer Satzungen über die Wahl von Wahlbewerbern und von Vertretern für die Vertreterversammlungen nach Maßgabe der vorgesehenen Bestimmungen abweichen. Sie enthält dazu Regelungen für die Durchführung von Versammlungen mit elektronischer Kommunikation, für die Kandidatenaufstellung im schriftlichen Verfahren und für die Schlussabstimmungen.

Möglichkeiten Danach können Versammlungen zur Wahl von Wahlbewerbern und Vertretern für Vertreterversammlungen mit Ausnahme der Schlussabstimmung ganz oder teilweise via elektronischer Kommunikation erfolgen. So kann eine Versammlung beispielsweise ausschließlich per Videokonferenz abgehalten werden, bei der alle Teilnehmer zusammengeschaltet werden und miteinander kommunizieren können. Auch können einzelne oder ein Teil der Parteimitglieder mittels elektronischer Kommunikation an einer Präsenzversammlung teilnehmen. Ebenso darf eine Versammlung durch mehrere gleichzeitige Teilversammlungen an verschiedenen Orten, die über elektronische Kommunikation verbunden sind, durchgeführt werden. Bei allen Versammlungsformen mit elektronischer Kommunikation müssen das Vorschlagsrecht der Vorschlagsberechtigten, das Vorstellungsrecht der Bewerber und die Möglichkeit der Kommunikation der Teilnehmer gewährleistet werden.

Zudem können Wahlbewerber und Vertreter für die Vertreterversammlungen auch in schriftlichem Verfahren aufgestellt werden. Dabei sind auch hier Vorschlagsrecht, Vorstellungsrecht sowie der Zugang der Stimmberechtigten zu Angaben über Person und Programm der Kandidaten zu gewährleisten.

Die Schlussabstimmung kann durch Urnen- oder Briefwahl oder eine Kombination aus beidem erfolgen, auch wenn diese Verfahren in der Parteisatzung nicht vorgesehen sind. "Schlussabstimmungen sind die endgültigen Abstimmungen über einen Wahlvorschlag", heißt es dazu in der Verordnungsbegründung. Bei der Wahlbewerberaufstellung könnten elektronische Verfahren zur Vorermittlung, Sammlung und Vorauswahl der Bewerbungen benutzt werden, seien aber "nur im Vorfeld und als Vorverfahren zur eigentlichen, schriftlich mit Stimmzetteln geheim durchzuführenden Abstimmung der Stimmberechtigten zulässig".

In der Debatte erinnerte der Parlamentarische Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) daran, dass die Wahlvorschläge für die Bundestagswahl bis zum 19. Juli eingereicht sein müssen. Würde die Pandemie verhindern, dass Bundestagskandidaten rechtzeitig aufgestellt werden können, "gäbe es keine verfassungskonforme Bundestagswahl", sondern eine "veritable Verfassungskrise". Denn: "Ohne Wahlen gibt es keine Demokratie, ohne Kandidaten aber gibt es keine Wahlen."

Fabian Jacobi (AfD) bekräftigte die Kritik am zurückliegenden Bundestagsbeschluss, dass Aufstellungsversammlungen teilweise unmöglich seien. Seine Fraktion lehne die Verordnung aus grundsätzlichen Erwägungen ab, "aber auch, weil sie einfach schlecht gemacht ist", betonte er.

Für Konstantin Kuhle (FDP) wäre es "besser gewesen, die gesamte Regelung im Wege eines Parlamentsgesetzes zu beschließen" statt im Verordnungswege. Das Wahlrecht müsse "auch in der Pandemie die Domäne des Parlaments sein".

Als "falsch" verwarf Friedrich Straetmanns (Linke) "die grundsätzliche Vorgehensweise" der Bundesregierung, "hier an der üblichen Befassung des Bundestages vorbei mit Verordnungen zu agieren".

Auch Britta Haßelmann (Grüne) monierte, statt einer Rechtsverordnung wäre ein vom Bundestag auf den Weg gebrachtes Gesetz "für ein selbstbewusstes Parlament der richtige Weg gewesen".

Mahmut Özdemir (SPD) wies die Kritik, "dass wir uns als Bundestag hier per Rechtsverordnung einer gewissen Souveränität entledigen", mit dem Hinweis zurück, dass die Verordnung "einem doppelten Parlamentsvorbehalt" unterliege.

Ansgar Heveling (CDU) nannte es eine Abwägungsfrage, "ob man es für besser hält, die Punkte der Rechtsverordnung gesetzlich zu regeln". Nach Auffassung der Koalition biete eine Verordnung mehr Flexibilität. Ziel sei, dass die Wahl im September mit einer Vielfalt von Kandidaten erfolgen kann.