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Europa : Die Schuldenfrage

Der Streit über die künftigen EU-Finanzen spaltet Opposition wie auch Koalition

01.03.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
3 Min

Das bisher größte europäische Konjunkturpaket ist geschnürt. Darin enthalten: Der EU-Haushalt bis 2027 plus 750 Milliarden Euro für den Corona-Wiederaufbaufonds "Next Generation EU". Die 1,8 Billionen Euro-Finanzspritze auspacken können jedoch nur die 27 Parlamente der EU-Mitgliedstaaten. Denn ohne ihre Zustimmung zu dem nach monatelangen Verhandlungen im Dezember vom Rat der Europäischen Union verabschiedeten Eigenmittelbeschluss (siehe Text unten) kann sich die Union kein Geld an den Finanzmärkten leihen und über den Fonds an die Mitgliedstaaten verteilen. Es ist das erste Mal, dass die EU-Staaten sich gemeinsam verschulden.

Vergangenen Donnerstag begann der Bundestag mit seinen Beratungen über das von der Bundesregierung vorgelegte Eigenmittel-Ratifizierungsgesetz (19/26821), und dabei zeigten sich einmal mehr die Gräben, die das Thema europäische Schulden selbst innerhalb der Koalition zieht. So widersprach der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg (CDU), Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in der Debatte vehement. Während Scholz lobte, die EU sei nun endlich auf dem Weg in eine Fiskalunion, also eine gemeinsame EU-Finanzpolitik, und vollende, was mit Blick auf den Binnenmarkt und die gemeinsame Währung oft beklagt worden sei, stellte Rehberg (siehe Interview auf Seite 2) klar: "Eine Vergemeinschaftung der Schulden in Europa können Sie mit der Union im Bundestag nicht durchsetzen."

»Vertragsverletzung« Auch die Opposition zeigte sich gespalten. Während FDP und Linksfraktion ihr Abstimmungsverhalten offen ließen, stellten sich Bündnis 90/Die Grünen hinter Corona-Fonds und Fiskalunion. Sven-Christian Kindler (Grüne) forderte gar die Auflage eines "Nachfolgeinstruments" zur Finanzierung des klimaneutralen Umbaus der Wirtschaft. Die AfD positionierte sich indes gegen europäische Schulden. Diese seien laut den EU-Verträgen nicht gestattet, urteilte AfD-Fraktionsvertreter Peter Boehringer. Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, auf den sich die Kommission berufe, legitimiere lediglich den finanziellen Beistand der EU gegenüber einzelnen notleidenden Mitgliedstaaten. Boehringer sprach von einer "historischen Zäsur" und einem letzten Schritt in eine "faktische, aber illegale EU-Fiskalunion". Wolle oder könne eine Mitgliedstaat seine Schulden nicht zurückzahlen, müsse Deutschland bis zum Zehnfachen des offiziellen Tilgungsanteils haften, woraus ein Schadenpotenzial von mehr als 750 Milliarden Euro entstehen könne.

CDU-Haushälter Rehberg wertete den Rückgriff auf Artikel 122 hingegen als gerechtfertigt. Er versicherte, die Union werde "strikt darauf achten, dass die Mittel nur für die Bewältigung der Krise ausgegeben werden". Das exportorientierte Deutschland würde außerdem am meisten profitieren, "auch wenn wir viermal mehr einzahlen, als wir zurückbekommen".

Die FDP forderte eine stärkere Beteiligung des Bundestages bei der Kontrolle von "Next Generation EU" und legte dazu auch einen Gesetzentwurf (19/26877) vor. Darin heißt es, der Haushaltsausschuss solle "verstärkte und ausdifferenzierte Informationsrechte und erweiterte Möglichkeiten zur Stellungnahme" erhalten. Konstantin Kuhle (FDP) ergänzte, seine Fraktion wolle vor der finalen Entscheidung über den Eigenmittelbeschluss die weiteren Beratungen im Bundestag abwarten, etwa die am 22. März anberaumte Expertenanhörung im Haushaltsausschuss. Man wolle das Thema "ausgiebig diskutieren".

Nach Ansicht von Finanzminister Scholz wird mit dem Aufbaufonds nicht nur die Corona-Krise bekämpft. Das Instrument lege mit Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung auch die Grundlage für eine bessere Zukunft. Auch die im Eigenmittelbeschluss vorgesehen eigenen EU-Steuern, etwa für CO2, digitale Konzerne und Finanztransaktionen, begrüßte der SPD-Politiker, im Gegensatz zur Union, ausdrücklich. "Wir müssen dafür sorgen, dass es zur Finanzierung auch europäische Einnahmen gibt", betonte Scholz. Gesine Lötzsch (Die Linke) erinnerte die Bundesregierung bei der Gelegenheit an ihr Versprechen, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Die Einnahmen brauche Europa unbedingt, um mehr Verteilungsgerechtigkeit zu schaffen.

Der Bundestag überwies die Gesetzentwürfe von Bundesregierung und FDP im Anschluss an die von vielen Zwischenrufen unterbrochene Debatte zur Beratung an die Ausschüsse unter Federführung des Haushaltsausschusses.

Drohende Klagen Vor einem möglichen Bumerang für den Wiederaufbau-Fonds warnen indes Verfassungsrechtler und Alexander Graf Lamsbdorff (FDP), sollte der Bundestag das Eigenmittel-Ratifizierungsgesetz wie geplant mit einfacher Mehrheit verabschieden. Der Aufbaufonds erlaube der EU eine Schuldenaufnahme in dreistelliger Milliardenhöhe, sagte Lambsdorff vergangene Woche dem "Tagesspiegel". Das gleiche einer Änderung der europäischen Verträge, wofür das Bundesverfassungsgericht eine Zweidrittelmehrheit verlange. Auch Matthias Ruffert von der Berliner Humboldt-Universität warnt, die Hilfen könnten wegen dieser und weiterer rechtlicher Bedenken in Karlsruhe scheitern.

Für eine Zweidrittelmehrheit benötigt die Bundesregierung Stimmen aus der Opposition. Der Bundestag will voraussichtlich Ende März über das Ratifizierungsgesetz abstimmen.