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Gepflegte Langeweile

TV-GESCHICHTE Hartnäckig hält sich der Mythos Fernsehen sei früher besser gewesen. Doch vieles von heute gab's schon gestern

23.02.2009
2023-08-30T11:23:47.7200Z
5 Min

Es ist nicht leicht, heute von einer Gerichtsshow wegzuschalten, ohne bei Köchen oder putzigen Tieren zu landen. Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, ob das deutsche Fernsehen auch von einer Welle der Gerichts-, Koch- oder Zooshows überschwemmt worden wäre, wenn es Richter Sommerkamp, Clemens Wilmenrod und den Axolotl nicht gegeben hätte. Also dann: vermutlich ja. Denn zeitgenössische deutsche Programmmacher bedienen sich eher aus Amerika als aus ihrer eigenen Vergangenheit. Doch die genannten Herren und der Schwanzlurch etablierten diese Formate hierzulande schon, als die ARD noch allein war.

Die Wurzeln für vieles, was heute das Fernsehprogramm prägt, liegen in diesen ersten Jahren ab Ende 1952: Schon damals gab es große Samstagabendshows und kleine Fernsehspiele, aktuelle Magazine und populäre Familienserien und eben Justiz-, Küchen- und Tiershows. Dr. August Detlev Sommerkamp, Protagonist der populären Reihe "Das Fernsehgericht tagt", wurde 1961 als "Papa Gnädig" berühmt. Wie die heutigen Fernsehrichter Barbara Salesch und Alexander Hold hatte er vor seiner TV-Karriere den Beruf des Richters tatsächlich ausgeübt. Und schon damals war der echte Richter von hölzern agierenden Laiendarstellern umgeben.

18 Jahre vor Tim Mälzers Geburt ging 1953 Clemens Wilmenrod auf Sendung, der neben der Kochshow auch die Schleichwerbung erfand. Als Vertragspartner von Pott-Rum schwärmte er von Rumtöpfen, und gebraten wurde mit dem Schnellbrater "Heinzelkoch". "Bitte in 10 Minuten zu Tisch" wies viele Parallelen zu Mälzers Sendereihe "Schmeckt nicht - gibt's nicht" auf, die 50 Jahre später auf Vox startete: Wilmenrod ließ sich von seiner Gattin Erika assistieren, Mälzer von seiner Lebensgefährtin Nina Heik, die einfache Schnippelaufgaben erledigte und dazwischenplapperte. Bei beiden Fernsehköchen ging es darum, einfache Gerichte herzustellen, die trotzdem nach etwas aussahen - 1956 verbrachte Wilmenrod sogar eine ganze Sendung damit, Tee zu kochen. Und beide veröffentlichten mehrere Kochbücher, die Bestseller wurden.

Fernsehfossile

Ebenfalls 1953 startete der "Fernseh-Zoo", dessen Macher sich einen Wettstreit zu liefern schienen, wer das kleinste Tier auftreiben konnte. Mikroskope waren im Dauereinsatz, wenn den Zuschauern neben dem Axolotl auch der Waldkauz, der Iltis, Molche, Kröten, Quallen, Spinnen, Schmetterlinge, Mücken, der Wasserfloh oder das Plankton nähergebracht wurden. Die Vorfahren der Beimers und Drombuschs starteten 1954: "Unsere Nachbarn heute abend: Familie Schölermann", die erste Familienserie. Während heute Live-Sendungen teurer und aufwendiger sind als Aufzeichnungen, war damals gar nichts anderes machbar. Aufzeichnungen waren noch ein größeres technisches Problem, also wurden fast alle Episoden live gespielt, und wenn sie vorbei waren, waren sie weg. Nichts blieb für die Archiv-Ewigkeit. Das unterscheidet die Schölermanns von jeder moderneren Fernsehfamilie: Es gab keine Wiederholungen.

In den Episoden ging es im Grunde genommen um Nichts. Die Familie saß am Esstisch, war nett zueinander und redete über Allerweltliches, zum Beispiel den neuen Staubsauger. 35 Jahre später warb die wegweisende US-Serie "Seinfeld" damit, "die Show über Nichts" zu sein. Nur die heile Welt war etwas gehässiger geworden. Beim Blick auf die Anfänge des Fernsehens und die ersten Stars , dominieren die Showmaster: Peter Frankenfeld und Hans-Joachim Kulenkampff, die das Fernsehen der Bundesrepublik über Jahrzehnte prägten, oder Heinz Quermann und Margot Ebert, die in der DDR Stars der frühen Jahre waren. Selten geht aus solchen Rückblicken hervor, dass es auch damals schon Flops und kurze Karrieren gab. So wird ein wahrer Star der Fernsehfrühzeit meist verschwiegen, weil er schon 1954 wieder vom Bildschirm verschwunden war.

Omnipräsentes Multitalent

Der ehemalige Theaterintendant Hanspeter Rieschel ging am zweiten Sendetag des damaligen NWDR-Fernsehens erstmals auf Sendung, Weihnachten 1952, und war im folgenden Jahr das omnipräsente erste Multitalent der TV-Geschichte: Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler, Konzeptentwickler, vor allem aber moderierte Rieschel ungefähr jede Unterhaltungssendung der Anfangsphase. Viele kamen nicht über die erste Ausgabe hinaus, andere brachten es auf ganze zwei. Darunter das erste Quiz "Erzählerstafette", bei dem Schriftsteller aus dem Stegreif um die Wette erzählen mussten, und die erste große Samstagabendshow "Er oder sie", die abgesetzt wurde, weil herauskam, dass die Spielteilnehmer der zweiten Sendung nicht aus dem Publikum ausgelost, sondern vorab ausgesucht worden waren. Rieschel erfand also quasi auch die Improvisations-Comedy und das heute übliche Kandidatencasting. Doch seine einzige beständigere Reihe war "Was machen wir heute abend?", in der Rieschel monatlich nach der "Tagesschau" Tipps zur Abendgestaltung gab. Es ging weniger um Veranstaltungshinweise als um Vorschläge zum Zeitvertreib daheim, um aufregende Spiele mit Namen wie "Wer pustet mit?". Auf das TV-Programm konnte man sich damals schließlich noch nicht verlassen, das endete oft schon kurz nach dieser Sendung. Die Reihe brachte es dann auf sagenhafte vier Ausgaben.

Langsam wie eine Schnecke

Dass früher alles besser war, ist der gängigste Irrglaube über das Fernsehen. Zwar mussten damals in Familienshows Kandidaten noch nicht wie 2009 in "Wetten, dass...?" an Kot riechen und das Tier identifizieren, das ihn ausgeschieden hatte, aber auch damals gab es Sendungen mit dem Unterhaltungswert einer Topfpflanze. Im Gegensatz zu heutigen Produktionen, die das Publikum mit vielschichtigen Geschichten und schnellen Schnitten befeuern, hatte das Fernsehen von einst oft auch die Geschwindigkeit einer Topfpflanze. Zwischen zwei Sendungen gab es gern mal eine fünfzehnminütige Umschaltpause, und der Stoff, mit dem frühe Kriminalspiele einen ganzen Abend füllten, reicht heute gerade noch für den Teil einer 45-minütigen Krimiepisode vor der ersten Werbeunterbrechung. Drehbuchautor Herbert Reinecker konnte eine Episode von "Der Kommissar" nur füllen, indem er jeden Schauspieler jeden Satz dreimal sagen ließ. Hans-Joachim Kulenkampff scheiterte mit einer langweiligen Spielshow nach der anderen, bis er sich immer wieder überreden ließ, doch mit "Einer wird gewinnen" weiterzumachen. Und Ilja Richters Lippen trafen in "Disco" kein einziges Playback, wenn er mit prominenten Gästen, die nicht singen konnten, Sketche sang.

Leben ohne Fernbedienung

Die Vergangenheit wird nicht nur beim Fernsehen verklärt. Erinnert man sich an seine Schulzeit oder an zurückliegende Urlaube, blendet man die unangenehmen Erfahrungen ebenfalls aus. Nur am Ende einer Ehe mag das anders sein. Früher war nicht alles besser. Früher war vor allem weniger. Im Anfang war nur ein Programm, und den größten Teil des Tages sendete das eine Programm gar nichts. Unter dem Wenigen mag prozentual ein geringerer Anteil geistiger Armut als heute gewesen sein, selbst das ist allerdings fraglich, aber nie konnten Fernsehzuschauer in absoluten Zahlen aus so vielen intelligenten, informativen und unterhaltsamen Programmen auswählen wie heute. Nur die Suche ist schwieriger geworden. Und wer sich nach einem ruhigen Abend zurücksehnt, an dem das Fernsehprogramm schon gegen 22.00 Uhr endet, hat es selbst in der Hand. Denn Damals musste man noch aufstehen und zum Gerät gehen, um es zu beenden.

Michael Reufsteck ist Radiomoderator und Autor des "Fernsehlexikons".