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Braune Sandkastenspiele

KOLONIALISMUS Karsten Linne über die expansiven Afrikapläne der Nationalsozialisten

20.04.2009
2023-08-30T11:23:53.7200Z
3 Min

Auch wenn Adolf Hitler kein Kolonialenthusiast war, wurden während der nationalsozialistischen Diktatur trotzdem detaillierte Pläne für die Wiedergewinnung der 1919 verloren gegangenen Kolonien, vor allem in Afrika, geschmiedet. Dies belegt der Hamburger Historiker Karsten Linne überzeugend in seinem Buch "Deutschland jenseits des Äquators?".

Die braunen Machthaber konnten auf die Unterstützung der deutschen Kolonialbewegung setzen, die bereits in den 20er Jahren für Kolonien agitiert hatte - freilich ohne Erfolg. Denn der Versailler Friedensvertrag legte unzweideutig fest, dass Deutschland "auf alle seine Rechte und Ansprüche in bezug auf seine überseeischen Besitzungen" verzichtete. Gleichwohl war der Kolonialgedanke in weiten Kreisen populär. Konrad Adenauer zum Beispiel, damals Oberbürgermeister von Köln und 1931 bis 1933 stellvertretender Präsident der 25.000 Mitglieder starken "Deutschen Kolonialgesellschaft" schrieb 1927: "Wir müssen für unser Volk mehr Raum haben und darum Kolonien." Mit seinem Roman "Volk ohne Raum" gab der völkische Schriftsteller Hans Grimm der Kolonialbewegung ihre griffige Parole vor.

Nach dem Machtantritt brachten die Nationalsozialisten die Kolonialbewegung rasch unter ihre Fuchtel. Schon im Juni 1933 wurde der "Reichskolonialbund" als gleichgeschaltete Dachorganisation gegründet. In der Vita des Berufssoldaten Franz Xaver Ritter von Epp, beteiligt an der Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Südwestafrika, wird die Verschmelzung von Kolonialbewegung und Nationalsozialismus beispielhaft deutlich. Von Epp wurde 1934 Leiter des Kolonialpolitischen Amtes der NSDAP und galt lange als Anwärter für den letztlich aber nie geschaffenen Posten eines Kolonialministers.

Keine Besiedlung

Dennoch waren die Interessen von Partei und Kolonialbewegung nie völlig deckungsgleich. Linne schildert akribisch, wie sich die Nazis ein künftiges "Mittelafrika" unter ihrer Knute vorstellten. Denn mit den ehemaligen und verstreuten Kolonien Deutsch-Ostafrika - dem heutigen Tansania, Ruanda und Burundi - Togo, Kamerun sowie Deutsch-Südwestafrika - dem heutigen Namibia - gaben sich die Strategen nicht zufrieden. Auf Kosten der portugiesischen, belgischen und französischen Kolonien sollte ein rießiges "Mittelafrika" zwischen Atlantik und Indischem Ozean entstehen. Aber anders als manche Kolonialbewegte, die von schmucken und zahlreichen Deutschen besiedelten Fachwerkstädtchen wie dem namibischen Swakopmund träumten, lehnten die NS-Ideologen eine massenhafte Besiedlung Afrikas ab. "Wir werden in die Kolonien nur so viele deutsche Menschen schicken, wie nötig ist, um sie wirtschaftlich und politisch zu führen", schrieb 1941 die SS-Zeitschrift "Das Schwarze Korps".

Für die Nationalsozialisten war Afrika in erster Linie ein wirtschaftlicher "Ergänzungsraum". Vor allem Tropenhölzer, Erze, Kautschuk, Sisal und pflanzliche Fette sollten die künftigen Kolonien dem darbenden Reich liefern. Eine zahlenmäßig schmale deutsche Oberschicht aus Beamten, Offizieren, Industriellen und Plantagenbesitzern sollte vor Ort sicherstellen, dass das Gewünschte geliefert wird. "Richtige Eingeborenenpolitik ist Rassenpolitik", dozierte der Tropenmediziner Fritz Zumpt. Nach dem Vorbild der Nürnberger Rassegesetze ließ man sich 1940 ein "Kolonialblutschutzgesetz" einfallen, das Ehen und Geschlechtsverkehr zwischen Weißen und Schwarzen unter schwerste Strafen stellte. Als Vorbild diente auch Südafrika, wo bereits vor der offiziellen Einführung der Apartheid 1948 Rassismus die Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß prägte.

All diese Sandkastenspiele hatten freilich einen Schönheitsfehler: Es gab keine deutschen Kolonien, denen man die in Berlin vorfabrizierte Zwangsjacke hätte überstülpen können. Der fremde Boden, den das vermeintliche "Volk ohne Raum" an sich reißen sollte, lag für Hitler eindeutig im Osten Europas. Das wirft die Frage nach Ernsthaftigkeit und Relevanz der Kolonialplanungen auf.

»Madagaskar-Projekt«

Karsten Linne weist mit Recht darauf hin, dass für einen kurzen Zeitraum die hochfliegenden Pläne durchaus in blutige Taten hätten umschlagen können. Der Zeitpunkt dafür schien nach den "Blitzkriegen" gegen die Niederlande, Belgien und Frankreich Mitte 1940 gekommen. Die Einverleibung der belgischen und französischen Kolonien in Afrika rückte damit in den Bereich des Vorstellbaren. Das zeigt sich exemplarisch am so genannten, ungeheuerlichen "Madagaskar-Projekt": Eine Zeitlang spielte die Nazis mit der Idee, die Juden Europas auf die französische Inselkolonie zwangsumzusiedeln. Im August 1940 notierte Joseph Goebbels: "Dort können auch sie ihren eigenen Staat aufbauen." Ein Propagandacoup, der die klammheimliche Vorbereitung des Holocaust kaschieren sollte? Leider behandelt Linne das "Madagaskar-Projekt", das spätestens mit der berüchtigten Wannsee-Konferenz im Januar 1942 zu den Akten gelegt wurde, nur am Rande.

Mit seiner Untersuchung hat Linne einen bisher vernachlässigten Aspekt nationalsozialistischen Expansionsstrebens in den Mittelpunkt gerückt. Er kann belegen, dass zumindest bis zum Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 die Wiedergewinnung von Kolonien durchaus eine gewünschte Option war.

Karsten Linne:

Deutschland jenseits des Äquators? Die NS-Kolonial- planungen für Afrika.

Ch. Links Verlag, Berlin 2008; 216 S., 24,90 €