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Kurz rezensiert : Angelesen

06.07.2009
2023-08-30T11:24:02.7200Z
4 Min

Der Wirtschaftsprofessor Marshall I. Goldman gehört zum internationalen "Putin-Pool", für den bislang viermal exklusive Begegnungen mit dem russischen Präsidenten organisiert wurden. Davon lässt sich Goldman nicht beeinflussen: Er hält mit seiner Kritik an Russland beziehungsweise der totalen Abhängigkeit des Landes von seinen Öl- und Gasexporten nicht hinter dem Berg. Bereits US-Präsident Ronald Reagan habe diese Schwachstelle erkannt und 1984 versucht, den Bau einer Gaspipeline von der UdSSR nach Westeuropa zu verhindern. Marshall lässt unerwähnt, dass die Bush-Administration an diesem Kurs festhielt: Der Bau der "Ostsee-Pipeline" und damit die russischen Gasexporte nach Deutschland sollten unterbleiben.

Das gut recherchierte Buch endet dort, wo es beginnen sollte: auf dem Höhepunkt des Reichtums - dem letzten Jahr der Präsidentschaft Putins. Er wollte seinem Nachfolger das Land schuldenfrei übergeben. Leider berücksichtigt Goldman die aktuelle Krise in Russland nicht. Immerhin deutet er an, dass der Verfall des Ölpreises das Land in eine Krise stürzen kann.

Marshall I. Goldman:

Das Öl-Imperium. Russlands Weg zurück zur Supermacht.

Börsenbuchverlag, Kulmbach 2009; 350 S., 24,90 €

Im Unterschied zum Mythos erhebt sich der "russische" Phönix nicht aus der Asche, sondern ein Mantel aus Ruß hält ihn am Boden fest, meint Gerhard Mangott, Professor für internationale Politik an der Universität Innsbruck. In seinem Sachbuch "Der russische Phönix" erläutert Mangott die Hintergründe der dramatischen Krisen, die Russland unter dem "vielfach überforderten und kranken Präsidenten Jelzin" durchlebte. Zudem zeichnet er die Umstände der machtvollen Rückkehr des Landes auf die internationale Bühne unter Präsident Putin nach.

In einer klaren Sprache, die der Leser gerade bei "Russland-Experten" zu oft vermisst, schreibt er, dass der Aufstieg des Landes auf Kosten der bürgerlichen Freiheitsrechte, rechtsstaatlicher Kontrolle und demokratischer Teilhabe vonstatten ging. Eine weitere Verhärtung der Herrschaftsordnung werde die innovativen und kreativen Elemente der Gesellschaft ersticken und die aktive Teilhabe der Bürger am politischen Prozess beenden. Mangotts Prognose: Je länger die gegenwärtige Wirtschaftskrise dauert, umso wahrscheinlicher wird die Kreml-Führung autoritäre Züge annehmen.

Gerhard Mangott:

Der russische Phönix. Das Erbe aus der Asche.

Kremayr & Scheriau Verlag, Wien 2009; 221 S., 19,90 €

Kurt Biedenkopf erlebte diesen Augenblick, der die Weltgeschichte verändern sollte, wie viele Bundestagsabgeordnete im Plenarsaal - mitten in einer Debatte über die Änderung des Vereinsrechts. Dass er bereits ein Jahr später Ministerpräsident des neuen Bundeslandes Sachsen werden würde, davon konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal träumen. Lothar de Maizière war zum gleichen Zeitpunkt auf einer Veranstaltung der evangelischen Kirche mit dem prophetischen Titel "Wie weiter in diesem Land?" eingeladen. Dass er sechs Monate später zum Ministerpräsidenten der DDR gewählt werden würde, auch daran konnte wohl niemand denken.

Der Journalist Heribert Schwan und Rolf Steininger, Professor für Zeitgeschichte, haben Interviews mit mehr als 40 deutschen und ausländischen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur über ihre Erlebnisse in der Nacht des Mauerfalls am 9. November 1989 und die Zeit danach geführt und in Buchform veröffentlicht. Die spannende Lektüre vermittelt einen guten Einblick in die Ereignisse vor 20 Jahren.

Heribert Schwan, Rolf Steininger (Hg.):

Mein 9. November.

Artemis & Winkler,

Düsseldorf 2009; 432 S., 19,90 €

Lange vergriffen, erschienen gleichsam als ein Vermächtnis zu Jürgen Fuchs' (1950 - 1999) 10. Todestag seine Vernehmungsprotokolle in einer Foto-Text-Edition. Authentisch wie kein anderer zeigt der Schriftsteller und Bürgerrechtler darin das rechtlose Ausgeliefertsein im politischen U-Haft-System des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Dank seines außerordentlichen Gedächtnisses rekonstruierte er Vernehmungen fast wortwörtlich. Als studierter Psychologe analysierte er die angewandte "Schwarze Psychologie" zum Konditionieren, Unterwerfen und Brechen von Häftlingen. Der Leser findet sich wieder in einem Psychokrieg mit Zellenspitzel, Wanzen und einem Anwalt, der subtil die Interessen der Staatsmacht gegen seinen Klienten vertritt.

Die Intensität dieses einmaligen Hafttagebuchs mit Fotos illustrieren zu wollen, ist ein Wagnis. Tim Deussen ist es gelungen.

Mit seinen Vernehmungsprotokollen dokumentierte Jürgen Fuchs erstmals die U-Haft-Praktiken moderner, nicht demokratisch kontrollierter Geheimdienste, ihre Vernehmungstechniken und angewandte Psychofolter. Dieses Buch ist heute so aktuell wie vor 30 Jahren.

Jürgen Fuchs:

Vernehmungs- protokolle.

Jaron Verlag, Berlin 2009; 176 S., 14,90 €