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Am Gängelband

Russland Ulrich Heyden und Ute Weinmann zeichnen ein höchst unscharfes Bild von der politischen Opposition

05.10.2009
2023-08-30T11:24:08.7200Z
3 Min

Die in Deutschland weit verbreitete Kritik am Machtapparat Wladimir Putins in den vergangenen Jahren verband sich stets mit der Erwartung, es müsse eine russische Opposition gegen dessen Herrschaft entstehen. Kein Wunder also, dass deutsche Medien einige Zeit lang der Bewegung des Schachweltmeisters Gari Kasparow große Aufmerksamkeit schenkten, die sich als Oppositionsbündnis "Das andere Russland" im Juli 2006 zusammenfand. Doch seitdem auch außerhalb Russlands nicht mehr zu übersehen ist, dass Kasparow in der russischen Bevölkerung kaum noch Rückhalt findet oder die Menschen auf die Straße treibt, haben sich zunehmend Zweifel eingestellt, ob von oppositionellen Kräften in Russland jemals ein demokratischer Wandel ausgehen könnte.

Die spannende Frage ist, wie sich nach Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs die Finanz- und Wirtschaftskrise auf die russiche Gesellschaft auswirken wird. Da macht es neugierig, wenn die zwei langjährigen Moskau-Korrespondenten Ulrich Heyden und Ute Weinmann in ihrem Buch "Opposition gegen das System Putin. Herrschaft und Widerstand im modernen Russland" behaupten, dass sich in Russland eine Opposition von unten gebildet habe, die "der Westen" kaum zur Kenntnis genommen habe. "Protestverhalten ganz normaler Leute ist aus dem oft wenig beschaulichen russischen Alltag längst nicht mehr wegzudenken", schreiben die Autoren. Es gebe in Russland heute ein breites Spektrum von Protestbewegungen und die oppositionelle Szene in Russland agiere höchst innovativ.

Protestgruppen

Doch wer sich von der Lektüre ganz neue Einsichten verspricht, wird sehr schnell enttäuscht. Schon die ersten Portraits von drei angeblichen Köpfen der Opposition bleiben nicht nur merkwürdig blass, sondern entpuppen sich als eine willkürliche Auswahl von Einzelpersönlichkeiten. Vor allem bei der Beschreibung des Linkssozialisten Boris Kagarlizkij bleibt die Frage, was die "russische junge Linke" heute eigentlich sein soll, völlig unbeantwortet. Auch beeindruckt es wenig, dass die Gruppe der Moskauer Anarchisten bereits 60 Mitglieder haben soll. Eher steigt beim Lesen des Buches das Befremden über die oberflächliche und wenig strukturierte Darstellung von Einzelphänomen zersplitterter Protestgruppen. Es gelingt den Autoren nicht, diese glaubhaft einzuschätzen und in ein politisches Gesamtbild einzuordnen.

Einige Kapitel, wie das über die Entwicklung der Medien zwischen Selbstzensur und Aufbegehren irritieren nicht nur durch die Wiederholung längst bekannter Fakten, sondern auch durch geradezu politisch naive Ausblicke: "Sollte es in Russland irgendwann zu einem politischen Frühling kommen, stünde wohl sehr bald eine talentierte Schar von Journalisten für die Redaktionen der großen Medien bereit", schreibt Heyden, nachdem er vorher noch die Defizite der russischen Medienlandschaft grob umrissen hat.

Versammlungsrecht

Lohnend ist dagegen das Kapitel "Der politische Raum oder Wer sucht, wird nicht immer fündig", in dem Weinmann darlegt, dass sich die traditionelle Aufteilung der russischen Gesellschaft in die "Staatsmacht" und "Wir - die Untergebenen" in den 1990er Jahren deutlich verfestigt habe. Es ist eine der wenigen Stellen des Buches, an denen anhand der Einschränkungen des Versammlungsrechts sehr konkret verdeutlicht wird, was Opposition in Russland so stark erschwert. Die Autorin schildert anschaulich, wie kompliziert es bis heute ist, eine Versammlung anzumelden und warum öffentliche Versammlungen in Russland immer noch von einer "Atmosphäre der Illegalität" umgeben sind.

Sehr viel Raum widmen die Autoren den Anwohnerinitiativen, die in Russland in Reaktion auf den Bauboom der vergangenen Jahren im Aufwind sind. "Die Themen punktueller Bebauung und Stadtplanungspolitik verdienen besondere Aufmerksamkeit, denn sie rufen heute in Russland die zahlenmäßig größten sozialen Proteste hervor", heißt es. Aber die Autoren versäumen es auch an dieser Stelle genauer herauszuarbeiten, wieso sie solche Protestformen, die vor allem der Durchsetzung persönlicher Interessen dienen, bereits als politische Opposition werten. Völlig unklar bleibt auch die Auswahl der beschriebenen Gruppen, die die Autoren der Opposition zurechnen. Es fällt nicht nur auf, dass sie wichtige Menschenrechtsgruppen wie Memorial oder die Soldatenmütter einfach auslassen, sondern auch faschistische und fundamentalistisch religiöse Gruppen gar nicht aufführen. All das bestätigt eher den wenig überzeugenden Gesamteindruck eines Buches, dem gründliche Recherche und fundierte politikwissenschaftliche Analyse gut getan hätten.

Die Autoren verzichten auf jede Schlussbetrachtung, vielleicht auch deshalb, weil sich eher feststellen lässt, dass ihr Buch seine eigene Ausgangsthese nicht nur nicht einlöst, sondern sogar konterkariert. Die eher mühselige Lektüre bestätigt die traurige Erkenntnis, dass Russland von der Entstehung einer politischen Opposition noch weiter entfernt ist, als gedacht.

Ulrich Heyden, Ute Weinmann:

Opposition gegen das System Putin. Herrschaft und Widerstand im modernen Russland.

Rotpunktverlag, Zürich 2009, 326 S., 24 €