Piwik Webtracking Image

Kurz rezensiert : Angelesen

12.10.2009
2023-08-30T11:24:09.7200Z
13 Min

Mit der Sicherheitspolitik, so meint Johannes Varwick, verhalte es sich wie mit dem Rentensystem und der Kanalisation: "nicht gerade unterhaltsam, aber sehr wichtig". Da mag man den renommierten Politologen gerne Recht geben. Doch leider schafft es der von ihm herausgegebene Band nur sehr bedingt, das Thema einmal griffig an den Leser zu bringen. Die Beiträge zu den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen, zu Statebuilding, zur Nato und zur EU als kooperierenden beziehungsweise konkurrierenden Akteuren auf der Weltbühne sind stellenweise so abstrakt und theoretisch gehalten, dass zumindest für den Laien das Thema auch weiterhin "nicht unterhaltsam" bleiben wird. Zumindest die Texte zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und zum völkerrechtlichen Gewaltverbot schaffen es, dem Anspruch einer Einführung gerecht zu werden. Sie verzichten auf ein Übermaß an Fachvokabular und orientieren sich an konkreten Beispielen.

Insgesamt bietet der schmale Band aber einen fundierten Überblick über die aktuellen Probleme und Diskussionen.

Johannes Varwick (Hg.):

Sicherheitspolitik. Eine Einführung.

Wochenschau Verlag, Schwalbach 2009; 155 S., 9,90 €

Auf 128 Seiten einen verständlichen und fundierten Einblick in das komplexe Thema "Völkerrecht" zu vermitteln, ist unmöglich - so möchte man zumindest meinen. Andrea Nußberger hat bewiesen, dass es doch funktioniert. Eine gute Gliederung leitet den Leser von den Ursprüngen des Völkerrechts über eine Definition der Akteure bis hin zu aktuellen Beispielen, die zeigen, wann Völkerrecht greift: Von Unfällen auf hoher See über das Verbot der Sklaverei bis hin zum Völkermord in Bosnien-Herzegowina.

Gleichzeitig macht die Professorin für Verfassungs- und Völkerrecht deutlich, wie schwierig es ist, ein weltweit einheitliches Völkerrecht zu etablieren. Dies sei mehr Wunschdenken als Realität. Nicht nur die westliche Welt lege etwa mit den sogenannten "humanitären Interventionen" eigene Maßstäbe an. Auch die Entwicklung eines islamischen Völkerrechts, "das dem säkularen, auf den modernen Staat zugeschnittenen Völkerrecht ein auf einer religiösen Überlieferung basierendes Recht gegenüberstellt", erschwere dies. Doch die Autorin zeigt sich optimistisch. In der Praxis sei es zumeist gelungen, eine "gemeinsame (Rechts-)Sprache zu finden".

Angelika Nußberger:

Das Völkerrecht.

Verlag C.H. Beck, München 2009; 128 S., 7,90 €

Die Veränderungen im Zuge der Globalisierung ließen die kommunistische Staatsführung in Peking nach einem neuen ideologischen Fundament für ihre Gesellschaftsordnung Ausschau halten. Es musste nicht weniger als eine Brücke zwischen Marxis- mus-Maoismus und Kapitalismus geschlagen werden. Bei ihrer Suche entdeckten sie Konfuzius (etwa 551 - 479 vor Christus): Ausgerechnet in den Moralvorstellungen des "ersten Lehrers" und "Meisters" entdeckte die Parteiführung ihr Heil, obwohl sie Konfuzius früher als Vertreter einer "feudalen Gesinnung" geschmäht hatte. Als Instrument zur Propagierung der nationalen Wiedergeburt reaktiviert, sollen seine Weisheiten die kommunistischen Parolen weitgehend ersetzen. An seinen Äußerungen zu Familie und Bildung, Bescheidenheit und Ordnung, Gehorsamkeit und Konformismus sollen sich die Chinesen nun orientieren.

Annping Chin, Professorin an der Yale Universität, verfasste eine bemerkenswerte Biografie über den großen chinesischen Philosophen, dessen Wissensdrang und Streben nach Vervollkommnung sein ganzes Leben durchzogen.

Annping Chin:

Konfuzius. Geschichte seines Lebens.

Insel Verlag, Frankfurt/M. 2009; 288 S., 24,80 €

Wer immer seine Hoffnungen in der derzeitigen Finanz- und Weltwirtschaftskrise auf China und sein hunderte Milliarden schweres Konjunkturpaket setzt sollte dieses Buch lesen: Jürgen Bertram, langjähriger China-Korrespondent der ARD, hat nichts anderes als eine bittere Bilanz seiner Jahre in China gezogen und eine Warnung vor Peking geschrieben: Traut diesem Land nicht! Es ist reich, es ist stark, es ist nationalistisch - und es will noch viel mehr! Eine kommunistische Partei regiert samt Armeeführung dieses Riesenreich, in dem sie sich in übelster kapitalistischer Manier zu allererst auf Kosten ihrer eigenen Landsleute bereichert und die eigene Umwelt ruiniert, aber darüber hinaus eben auch die gesamte westliche Welt für den eigenen Aufstieg brutal ausnutzt. Sichtbarstes Zeichen: die unzähligen Plagiate und Verletzungen des Urheberrechts westlicher Industrieprodukte.

Deshalb lautet auch der eigentliche Appell Bertrams an deutsche Unternehmer und Politiker: Macht keinen Kotau vor Peking und macht nicht auf Teufel komm raus Geschäfte mit einem Regime, das nur auf seinen eigenen Machterhalt aus ist.

Jürgen Bertram:

Die China-Falle. Abgezockt im Reich der Mitte.

FischerTaschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2009; 240 S., 9,95 €

Für einen ausgewachsenen Roman taugt der Mauerfall allemal: ein unvergleichliches historisches Ereignis, die große Weltpolitik und unzählige Einzelschicksale trafen im Herbst 1989 zusammen. Ein Stoff, den sich kein Literat besser erfinden könnte. Das dachten sich auch die beiden französischen Journalisten Olivier Guez und Jean-Marc Gonin, der als Reporter über den Fall der Mauer und den Untergang des Kommunismus in Mitteleuropa berichtete. So stiegen die beiden Autoren in die Archive, verwerteten historische Dokumente und führten Interviews mit Zeitzeugen. Das Ergebnis, das der Verlag als Tatsachenroman und Doku-Drama unter dem Titel "Die Mauer fällt" anpreist, vermag nicht zu überzeugen.

Guez und Gonin gelingt es nicht, den Protagonisten des Geschehens wirklich Leben einzuhauchen - weder den politischen Führern in Ost und West, noch den Frauen und Männern auf der Straße. Zu brav erzählen die beiden Franzosen die historischen Fakten nach, die Spannung jener Tage vermag ihr Buch nicht einzufangen.

Olivier Guez, Jean-Marc Gonin:

Die Mauer fällt. Ein Tatsachen-roman.

Piper Verlag, München 2009; 334 S., 19,95 €

Was hat die deutsche Einheit gekostet? Diese Frage lassen zahlreiche Darstellungen im Freudentaumel des diesjährigen Gedenkens an den Wendeherbst von 1989 offen. Nicht so die fundierten Analysen von Gerhard A. Ritter. Der renommierte Sozialhistoriker hat bereits vor drei Jahren Bilanz gezogen. In seiner vielgelobten Studie zur Wiedervereinigung und der Krise des Sozialstaats hat er den Deutschen und ihren Politikern die Rechnung präsentiert.

Obgleich er darin die Fehler und Versäumnisse bei der Übertragung des bundesdeutschen Sozialsystems genauestens bilanziert, sieht auch er kaum Alternativen zu den damals getroffenen Entscheidungen. Wollte man die staatliche Vereinigung zu diesem einmaligen Zeitpunkt nicht gefährden, waren schnelle und kostspielige Lösungen so gut wie nicht zu vermeiden. Das angesichts dieser historischen Analyse eine Reform des Sozialstaats dringlicher denn je ist, dazu mahnt Ritter zurecht noch einmal in geraffter Form.

Sein schmales Buch zur "Geschichte der deutschen Einigung" sei deshalb allen empfohlen, die am wahren Preis der deutschen Einheit interessiert sind. Politisch wie wirtschaftlich.

Gerhard A. Ritter:

Wir sind das Volk! Wir sind ein Volk! Geschichte der deutschen Einigung.

C.H. Beck Verlag, München 2009; 191 S., 12,95 €

Warum klapperte der Trabant, warum brachte sich der Westbesuch sein Toilettenpapier mit und liebte Erich Mielke, Chef des Ministeriums für Staatssicherheit wirklich alle Menschen? Ilko-Sascha Kowalczuk zeigt in seinen "101 wichtigsten Fragen" zur DDR, dass diese so amüsant klingenden Fragen einen handfesten und ernsten Hintergrund haben.

Der Historiker aus der Birthler-Behörde, der für sein "Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR" viel Lob des Fachpublikums einsammelte, legt mit dem schmalen Band einen leicht verständlichen und flüssig zu lesenden Überblick zur Entstehung, Geschichte und zum Untergang des sozialistischen Deutschlands vor. Ebenso klärt er Fragen zur Kultur- und Alltagsgeschichte, zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, zu Widerstand und politischer Verfolgung sowie zur Wahrnehmung der DDR nach ihrem Zusammenbruch. Und jenen, die es noch immer nicht oder schon nicht mehr wahr haben wollen, schreibt er klipp und klar ins Stammbuch: Ja, die DDR war eine Diktatur vom ersten Tag an. Insgesamt eine gerade für Schüler und Jugendliche zu empfehlende Lektüre.

Ilko-Sascha Kowalczuk:

DDR. Die 101 wichtigsten Fragen.

Verlag C.H. Beck, München 2009; 159 S., 9,95 €

An so manchem Stammtisch wird Adolf Hitler bis heute als Politiker gehandelt, der die Autobahnen baute und die Arbeitslosen von der Straße holte. Propagandistische Lügen überleben als Legenden auch Jahrzehnte historischer Aufarbeitung. Dies gilt auch für die DDR. Selbst 20 Jahre nach ihrem Zusammenbruch haften der SED-Diktatur noch die aufgeklebten Labels an.

Der Historiker Thomas Großbölting hat zusammen mit 16 ausgewiesenen Fachleuten die gängigen Ost-Legenden unter die Lupe genommen. Sachlich und wissenschaftlich fundiert klären sie ihre Leser darüber auf, was es mit der "Sportnation", dem "Leseland" und dem "Friedensstaat" wirklich auf sich hatte, zeigen, wie es um die emanzipierte Frau im Osten stand, ob die "internationale Solidarität" wirklich hoch gehalten wurde oder ob die NVA tatsächlich die "Armee des Volkes" war. Zwei Beiträge über die bis heute anhaltende Wirkung jener Mythen, die in der DDR staatliche Identität stiften sollten, und über den aktuellen Umgang mit der DDR-Vergangenheit vervollständigen den gelungenen und anspruchsvollen Band.

Thomas Großbölting (Hg.):

Friedensstaat, Leseland, Sportnation? DDR-Legenden auf dem Prüfstand.

Ch. Links Verlag, Berlin 2009; 336 S., 19,90 €

Das Reich der Mitte ist ein Vielvölkerstaat, was aus Pekinger Sicht natürlich potenzielle Instabilität bedeutet. Ungefähr acht Prozent der gut 1,3 Milliarden Chinesen gehören 55 nationalen Minderheiten an, beispielsweise die nach mehr Autonomie strebenden, muslimischen Uiguren in der rohstoffreichen Nordwest-Region Xinjiang. Sie und all die anderen Minoritäten charakterisiert Asien-Experte Klemens Ludwig in seinem bebilderten Taschenbuch.

Er beschreibt ihre sozio-ökonomische Lage, kulturelle Besonderheiten und die politische Situation im entsprechenden Siedlungsgebiet; außerdem geht er auf die unterschiedlichen Maßnahmen der Zentralregierung ein: Sie unterdrückt nicht nur Minderheiten wie etwa in Tibet, sondern versucht auch geschickt durch Zugeständnisse - etwa beim Gebot zur Ein-Kind-Familie - manche Volksgruppen für sich zu gewinnen.

Eine Karte hilft bei der Orientierung, aber leider fehlt ein Register für das Nachschlagen der zahlreichen Ethno-Portraits von Achang über Mandschuren oder Tadschiken bis Zhuang.

Klemens Ludwig:

Vielvölkerstaat China. Die nationalen Minderheiten im Reich der Mitte.

Verlag C. H. Beck, München 2009; 192 S., 12,95 €

Wer jenseits der Großen Mauer unterwegs war, weiß: China ist anders. Aber nicht bloß die fremdartigen Schriftzeichen, sondern auch Denk- und Verhaltensweisen sind oft ungewohnt. Auf solch mentale Unterschiede geht der renommierte Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer unter anderem näher ein, um den chinesischen Modernisierungsprozess samt seiner Probleme verständlich zu machen.

Schmidt-Glintzer erklärt, dass man im Reich der Mitte gerne westliches Wissen für praktische Anwendungen übernimmt, doch sich für grundlegende Entscheidungen nach wie vor eher an konfuzianische Lebensweisheiten hält. Zudem hat das Individuum in Ostasien meist immer noch einen anderen Stellenwert als im freiheitlich geprägten Westeuropa. Hierarchisch eingebunden und zugleich geborgen in seiner jeweiligen Gruppe hat sich der Einzelne einzufügen; bei Abweichungen funktioniert die soziale Kontrolle durch die Mehrheit und übergeordnet durch die ängstlich auf Harmonie bedachte Staatsmacht. So verwundert das skeptische Fazit nach fünf kenntnisreich verfassten Kapiteln kaum: "An Demokratie ist in naher Zukunft nicht zu denken."

Helwig Schmidt-Glintzer:

Chinas Angst vor der Freiheit. Der lange Weg in die Moderne.

Verlag C.H. Beck, München 2009;

149 S., 10,95 €

Im vergangenen Jahr sorgte der ehemalige Fallschirmjäger der Bundeswehr für gehörigen Wirbel, als er in seinem Buch "Operation Kundus" behauptete, Angehörige der deutschen ISAF-Truppen hätten auch außerhalb des vom Bundestag bestimmten Mandatgebietes operiert.

Nun hat Achim Wohlgethan nachgelegt: In seinem neuen Buch "Operation Kundus" berichtet er über seinen Einsatz als Mitglied der Vorauskräfte, die den deutschen Stützpunkt in Kundus errichten sollen. Auch diesmal spart der Ex-Soldat nicht mit Kritik, berichtet über mangelhafte Ausrüstung der Soldaten und erhebliche Stimmungsschwankungen und Streitereien in der Truppe vor Ort. Dass Wohlgethan mit seiner Kritik an der Situation der deutschen Soldaten am Hindukusch nicht falsch liegt, davon kann man sich im jährlich erscheinenden Bericht des Wehrbeauftragten überzeugen.

Deutlich sind die Worte, die er in Richtung der deutschen Politik spricht, wenn er einen Fahrplan für den Aufbau eines lebensfähigen afghanischen Staates einfordert. Wohlgethans Buch weist zwar einige Längen auf, die Lektüre ist trotzdem erhellend.

Achim Wohlgethan:

Operation Kundus. Mein zweiter Einsatz in Afghanistan.

Econ Verlag, Berlin 2009; 317 S., 19,80 €

"Die dünne Rettungsdecke hatte nicht ausgereicht, ihn vollständig zu bedecken. Die Hände lugten heraus, beide waren verbrannt, blutig und schwarz. Auch die Füße sahen unter der Decke hervor. Bekleidet mit unseren Kampfstiefeln, mit unserer Tropenhose. Ein deutscher Kampfanzug." Die Oberstabsärztin Heike Groos ist eine der ersten, die die verletzten deutschen Soldaten des Selbstmordanschlages am 7. Juni 2003 auf der Jalalabad Road in Kabul versorgen muss. Und sie muss die Toten bergen.

Zwei Jahre hat die Medizinerin und Zeitsoldatin in Afghanistan verbracht. Ihre Erinnerungen an den Einsatz hat sie nun unter dem Titel "Ein schöner Tag zum Sterben" veröffentlicht. Auch wenn Verteidigungsminister Franz Josef Jung bis heute das Wort Krieg nach Möglichkeit meidet, wenn er über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan spricht, so lassen die sehr persönlichen Schilderungen von Heike Gross keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich die 3.800 deutschen Soldaten in einem solchen befinden. Und es ist ein Krieg, aus dem viele deutsche Soldaten nicht nur mit physischen, sondern auch mit psychischen Verletzungen zurückkehren - gepeinigt von Depressionen und Angstzuständen. Gross' Buch ist auch ein Plädoyer, diesen Soldaten eine bessere Betreuung zukommen zu lassen.

Heike Groos:

Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehr- ärztin in Afghanistan.

Krüger Verlag, Frankfurt/M. 2009; 272 S., 18,95 €

Ende 2007 legte Russland den 1990 unterschriebenen Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) und das Abkommen über seine Anpassung (AKSE) aus dem Jahr 1999 auf Eis. Die Begründung lautete: die Raketenabwehrpläne der USA und die NATO-Osterweiterung hätten eine neue Realität geschaffen. Tatsächlich hatte außer Moskau keiner der westlichen Vertragspartner das KSE-Abkommen ratifiziert.

In einem Sammelband analysieren 25 Wissenschaftler und Diplomaten die Bedeutung der Rüstungskontrolle für das gegenwärtige strategische Umfeld. Dabei wird auch hinterfragt, ob das Konzept des militärischen Gleichgewichts noch der Anforderungen entspricht.

Auch wenn sich der KSE-Vertrag in einem "komatösen Zustand" befinde, wolle niemand auf ihn verzichten, schreibt der russische Botschafter Vladislav Chernov. Das Abkommen müsse lediglich an die Realitäten des Jahres 2009 angepasst werden. Dazu müssten die Nato und Russland jedoch auf ihre Maximalforderungen verzichten, fordert Oberst Wolfgang Richter in seinen programmatischen Artikel.

Wolfgang Zellner, Hans-Joachim Schmidt, Götz Neuneck (Hg.):

Die Zukunft konventioneller Rüstungskontrolle in Europa.

Nomos Verlag, Baden-Baden 2009; 560 S., 89 €