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Heile Welt der Genossen

LITeRATUR Erich Loest über alte Linke in der neuen Zeit

12.10.2009
2023-08-30T11:24:10.7200Z
2 Min

Vor zehn Jahren bot Erich Loest mit "Gute Genossen" so amüsante wie absurde Innensichten aus dem Alltag einer ganz normalen sozialistischen Familie. Am Ende hatten der Vater, Grenzoffizier, die Mutter, am Puls der Mangelgesellschaft, und der Sohn, der fast den Sprung in das Auswahlkader im Bob-Sport schafft, nichts gelernt. In seiner jüngsten Erzählung versetzt er seine Leser in das Denkmuster eines Ehepaares aus der linken Parteiveteranenschaft. 20 Jahre nach ihrer großen Niederlage sind die Erfolge der Partei mit Gregor und Oskar an der Spitze wie Medizin gegen diverse Alterswehwehchen. Das Paar freut sich über die Wahlerfolge in Hessen und Niedersachsen, liest in der "Leipziger Volkszeitung" unter dem Balken "Stasi-Rentner machen mobil", wie Genossen die Republik verändern, und es ist sich sicher, auch der Leserbriefredakteur ist einer von ihnen. Die Tage sind heller, seit das umstrittene Marx-Monument in Leipzig wieder steht und "ihr Mann" Kulturbürgermeister wurde.

Sie, Suse, ist stolz, dazu zu gehören, zum Genossenstammtisch und auch sonst. Sie hatte die große Austrittswelle 1989/90 einfach ausgesessen. Ihn, Bernhard, belastete es dagegen lange, dass er sein Parteidokument in einer hitzigen Sitzung damals so einfach wegwarf. Ein Wäschekorb spielte dabei eine ungute Rolle.

Nun denkt Bernhard, einst mäßig erfolgreicher DDR-Staatsschriftsteller - der immerhin auch zwei Romane mit Hilfe seiner Lektoren zustande gebracht hatte - über eine besondere Wiedergutmachung nach. Ihm ist aufgefallen: "Seit 1990 gibt es keine Parteibelletristik mehr." Das sollte zu ändern sein. Material schlummert genügend im Keller, seit das ZK seine Biografie über Paul Böttcher (1891-1975), einen Kommunisten der ersten Stunde, abgelehnt hatte. Zu problematisch war dessen Lebenskurve: Abgeordneter im Sächsischen Landtag, abtrünnig in der KP-Opposition, sowjetischer Agent in der Schweiz, nach dem Krieg zehn Jahre Gulag, danach in der DDR mit Orden und als Stellvertretender Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung" ruhig gestellt.

Stück für Stück klopft Bernhard die Biografie des in Stalins Räderwerk Geratenen ab. Dabei stößt er auch auf Böttchers unrühmliche Verwicklung in das Stasi-Kidnapping eines Westjournalisten, einem einstigen Lagergenossen. Er wird zunehmend unschlüssiger, von welcher Position aus er diese Geschichte erzählen soll. Zu unterschiedlich sind die Strömungen in der Linkspartei. Wie früher dominiert das ideologische Kalkül und lähmt ihn auch dieses Mal.

Wer sich auf Erich Loests gut 100-seitigen "Wäschekorb" einlässt, lässt sich auch ein auf fast 100 Jahre Sozialismus im Glanz seines Elends. Schade, dass diese Erzählung nur ein schmales Bändchen ist. Der Stoff reicht problemlos für einen großen Roman, wie er ihn zuletzt im Frühjahr mit "Löwenstadt" vorgelegt hat.

Erich Loest:

Wäschekorb.

Erzählung.

Steidl Verlag, Göttingen 2009; 109 S., 9.90 €