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Stopp für »Datteln 4«

Energieversorgung Gericht verhindert Weiterbau des Kohlekraftwerks wegen Planungsfehler

12.10.2009
2023-08-30T11:24:10.7200Z
3 Min

Bis weit in das südliche Münsterland ist der 180 Meter hohe Kühlturm des Kohlekraftwerks "Datteln 4" im Ruhrgebietskreis Recklinghausen zu sehen. Der Turm wird möglicherweise zum Symbol der politischen Auseinandersetzungen um die Energieversorgung in Deutschland. Das Oberverwaltungsgericht Münster stoppte den Weiterbau der 1,2 Milliarden Euro teuren Anlage des Energiekonzerns Eon, die eigentlich ab 2011 1.100 Megawatt Strom liefern soll und eines der größten im Bau befindlichen Steinkohle- oder Braunkohlekraftwerke in der Bundesrepublik ist.

Die Gegner des Kraftwerkneubaus sehen das Urteil als Chance an, auch gegen andere Großprojekte vorzugehen. "Das Urteil zeigt, dass selbst im Bau befindliche Kraftwerke noch gestoppt werden können", sagte Daniela Setton, eine Sprecherin der "Klima-Allianz". Es zeige sich, dass Kohlekraftwerke selbst in der Bauphase noch Gefahr laufen zu scheitern, wenn die Vorgaben zum Schutz der Umwelt und der Bevölkerung nicht ausreichend berücksichtigt würden, stellte der Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND), der zusammen mit dem Besitzer eines nahegelegenen Bauernhofes gegen "Datteln 4" geklagt hatte, fest. Das Urteil und die Begründung der Münsteraner Richter lesen sich wie eine Ohrfeige für die regionalen Planungsbehörden. So kritisierten die Richter, gegen deren Beschluss keine Revision zugelassen ist, dass der geltende Dattelner Bebauungsplan nicht mit der Landesplanung übereinstimme und der Mindestabstand von 1.500 Metern zwischen Kraftwerk und Wohnhäusern nicht eingehalten worden sei. Der tatsächliche Abstand zur nächsten Siedlung soll bei 400 Metern liegen. Außerdem hätten sich die Planungsbehörden zu wenig mit der Gefahr möglicher Bergschäden befasst. Die Kraftwerksbaustelle befindet sich in unmittelbarer Nähe einer vor Jahrzehnten stillgelegten Kohlenzeche.

Gegner der Kohleverstromung weisen auf Umweltgefahren durch die Kraftwerke wegen ihres hohen Ausstoßes von Kohlendioxid hin. "Wir fordern, dass der geplante Klimakiller komplett rückgebaut wird", erklärt BUND-Sprecher Thorben Becker. "Aus diesem Schwarzbau wird nie ein legales Kraftwerk", erklärte die Deutsche Umwelthilfe. 50 Wirtschaftswissenschaftler vom "Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft" sprachen sich in einer Resolution gegen den Neubau von Kohlekraftwerken aus. Die heutigen Kraftwerksprojekte seien mit einem Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zu vereinbaren, so die Wissenschaftler.

17 neue Kraftwerke geplant

Die Kraftwerksbranche baut und plant eine Anlage nach der anderen. So geht aus einer Antwort der Bundesregierung (16/9032) auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor, dass 17 Projekte mit einer Gesamtleistung von 17.325 Megawatt im Bau oder in Planung sind. Zu den bekanntesten zählt das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg (geplant 1.650 Megawatt), dessen Bau zwischen den Koalitionspartnern an der Elbe, CDU und Grünen, heftig umstritten war. Viele der neuen Anlagen liegen wie "Datteln 4" in unmittelbarer Nähe von Wohngebieten, so dass sich die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster auch auf sie auswirken könnte.

Ein Stopp mehrerer Kraftwerksprojekte könnte negative Auswirkungen auf die Energieversorgung und auch auf die Umwelt haben. So schreiben die Deutsche Energieagentur (Dena) und die Technische Universität München in dem Gutachten "Kraftwerks und Netzplanung in Deutschland", dass bis 2020 effiziente Kohle- und Erdgaskraftwerke mit einer Leistung von 11.700 Megawatt gebaut werden müssten. Das Szenario unterstellt eine Senkung des Stromverbrauchs um acht Prozent und eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 30 Prozent. Doch der Stromverbrauch in Deutschland ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und erst 2008 wegen der Wirtschaftskrise leicht gesunken.

"Der Strom wird ohne den Bau effizienter Kohle- und Erdgaskraftwerke teurer und schmutziger", warnt Dena-Geschäftsführer Stephan Kohler. Wer neue Kohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 45 Prozent verhindere, sorgt dafür, dass "ältere, ineffizientere Anlagen länger laufen", so Kohler. Das würde zu höheren Strompreisen führen und die Klimabilanz belasten. Die Anlage in Datteln hat einen Wirkungsgrad über 45 Prozent. Kohler fordert neben dem Ausbau regenerativer Energien auch eine "gesicherte Kraftwerksleistung", um die Stromversorgung zu gewährleisten. "Woher sollen 70 Prozent der Elektrizität kommen, wenn wir bis 2020 erst 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien gewinnen können?".

Wie es mit "Datteln 4" weitergeht, ist noch unklar. CDU- und FDP-Politiker im Düsseldorfer Landtag sprechen sich dafür aus, die entstandenen Planungsfehler zu heilen. Gelingt dies nicht, müsste der Turm wieder abgerissen werden.