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Das Recht auf Kindheit

FAMILIE Die Oppositionsparteien fordern die Gleichbehandlung von Flüchtlingskindern

30.11.2009
2023-08-30T11:24:14.7200Z
3 Min

The same procedure as every year", der gleiche Ablauf wie jedes Jahr: Mit dieser Klage eröffente die SPD-Abgeordnete Marlene Rupprecht am Donnerstagabend ihre Rede im Bundestag. Thema der Diskussion: Die UN-Kinderrechtskonvention, die die Vereinten Nationen vor zwanzig Jahren beschlossen haben. Die internationale Übereinkunft definiert die Rechte von Kindern in Hinblick auf Sicherheit, Gesundheit und Bildung; Heute haben die meisten Länder weltweit die Konvention ratifiziert. Auch die Bundesrepublik verpflichtete sich bereits 1992, die vereinbarten Kinderrechte auch in Deutschland umzusetzen. Doch die damalige Regierung unter Helmut Kohl stellte die Ratifizierung unter Vorbehalt: In dem von der Bundesrepublik hinterlegten Dokument heißt es, die UN-Kinderrechtskonvention könne nicht so ausgelegt werden, dass minderjährige Ausländer illegal nach Deutschland einreisen dürften. Es bleibt dem deutschen Gesetzgeber vorbehalten, "Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthal- tes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen".

Widerstand im Bundesrat

Über die Rücknahme dieses Vorbehaltes hat der Bundestag bereits während der vergangenen Legislaturperioden mehrere Anträge verabschiedet. Ihre Umsetzung scheiterte jedoch am Widerspruch der in den letzten Jahren mehrheitlich unionsregierten Länder im Bundesrat. Die Kosten für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen werden von den Bundesländern getragen. Im Koalitionsvertrag hat die schwarz-gelbe Koalition festgelegt, dass sie "die Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen" will. Eine entsprechende Vorlage hat sie noch nicht eingebracht. Diskutiert wurden am Donnerstag deshalb drei Anträge von SPD (17/57), Grüne (16/61) und Linke (17/59), die alle die Rücknahme des deutsches Vorbehaltes fordern.

616 Flüchtlingskinder

Die SPD-Familienpolitikerin Marlene Rupprecht drückte in ihrer Rede die Hoffnung aus, "dass Kinder im Alter von null bis 18 Jahren, egal wo sie auf dieser Welt geboren wurden, in jedem Land so behandelt werden wie inländische Kinder." Ihr Hauptkritikpunkt in Deutschland ist die Behandlung minderjähriger Asylsuchender. "Flüchtlingskinder im Alter von16 bis 18 behandeln wir wie Erwachsene. Wir geben sie in Abschiebungsräume und halten sie monatelang in Clearing-Stellen fest", kritisierte Rupprecht. Dafür würden der Bundesrepublik "auf internationaler Ebene permanent Vorwürfe gemacht". Die Linken-Abgeordnete Diana Golze gab an, dass dieses Jahr bislang 616 minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung in der Bundesrepublik eingetroffen sind. "Diese Kinder sind geflüchtet vor Krieg, vor drohender Zwangsrekrutierung, vor Verfolgung, vor Beschneidung, vor Zwangsverheiratung", zählte sie auf. In Deutschland erhielten sie aber nicht die Unterstützung, die "jedes Kind bekommen würde, dem so etwas hier in Deutschland widerfahren wäre". Stattdessen folge "ein Asylverfahren ohne Beistand, die Unterbringung in Sammelunterkünften und fragwürdige Altersfeststellungsverfahren", beklagte Golze. Auch Sibylle Laurischk (FDP), die neue Vorsitzende des Familienausschusses, schloss sich dieser Kritik an: "Es kann und darf nicht sein, dass Flüchtlingskinder ab 16 Jahren im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt werden und keinen juristischen Beistand bekommen." Sie kritisierte, dass minderjährige Flüchtlinge "beim Schulbesuch, bei der medizinischen Versorgung oder bei den Ausbildungsmöglichkeiten schlechter als deutsche Kinder gestellt sind" und sogar in Abschiebehaft geraten können. Michaela Noll (CDU/CSU) betonte hingegen, dass im Zusammenhang mit der UN-Konvention auch viele positive Projekte auf den Weg gebracht wurden: Beispielsweise die Kindschaftsrechtsreform von 1998, deren Herzstück Regelungen zum gemeinsame Sorgerecht beider Eltern sind.

Welche rechtlichen und politischen Konsequenzen sich aus einer Rücknahme des deutschen Vorbehaltes ergeben würden, darüber herrscht zwischen den Fraktionen Uneinigkeit. Dorothee Bär (CDU/CSU) betonte die positiven Errungenschaften der vergangenen Jahre: "Ich glaube, dass wir auf die vergangenen 20 Jahre mit Stolz zurückblicken können, weil wir für die Kinder weltweit, aber natürlich ganz besonders hier in Deutschland in diesen 20 Jahren sehr viel erreicht haben." Ihr Fraktionskollege Peter Tauber sah durch eine mögliche Rücknahme des Vorbehaltes keine Notwendigkeit für Gesetzesänderungen: "Das deutsche Asylverfahrensrecht und das Aufenthaltsrecht entsprächen schon heute in vollem Umfang der UN-Kinderrechtskonvention". Das gehe aus einer Antwort der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 hervor (16/6076). Die Grünen-Abgeordnete Katja Dörner widersprach dem: Die Rücknahme des Vorbehaltes zur UN-Kinderrechtskonvention sei "mitnichten ein formaler Akt". Sie vermisse im Koalitionsvertrag "ein klares Bekenntnis zu der Tatsache, dass die Rücknahme echte rechtliche Folgen haben muss", führt Dörner aus. "Wir müssten alle Regelungen überprüfen, die noch Diskriminierungen von Kindern enthalten, zum Beispiel im Flüchtlingsrecht und im Ausländerrecht", betonte auch SPD-Abgeordnete Marlene Rupprecht.

Die Anträge wurden an den Familienausschuss überwiesen. Ein ähnlicher Antrag, den die SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz, Berlin, Brandenburg und Bremen am Freitag im Bundesrat einbrachten (829/09), soll imAusschuss Frauen und Jugend beraten werden.