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Auf dem Schuldengipfel

HAuSHAlT Opposition wirft Merkel Verschleierung der tatsächlichen Pläne bis nach der NRW-Wahl vor

25.01.2010
2023-08-30T11:25:45.7200Z
3 Min

Die Kanzlerin will Mut machen: Durch die Maßnahmen der großen und auch der christlich-liberalen Koalition sei es gelungen, die richtigen Lehren aus der Krise zu ziehen, "das Richtige zu tun und den Absturz zu verhindern". Jetzt müsse es darum gehen, verlangte Angela Merkel in der Generalaussprache zum Entwurf des Bundeshaushalts 2010 (17/200) am 20. Januar, mit "neuem Denken" wieder aus dem Tal herauszukommen. Wenn 2013 wieder das Vorkrisenniveau erreicht werde, "dann haben wir nach heutigem Stand gute Arbeit gemacht", stellte Merkel fest. Die Opposition äußerte starke Zweifel am Kurs der christlich-liberalen Koalition. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier meinte, das "schwarz-gelbe Phantasialand" habe sich bereits nach drei Monaten in Luft aufgelöst.

Die im Entwurf vorgesehene historisch einmalig hohe Nettokreditaufnahme von 85,8 Milliarden bezeichnete Merkel als einen Vorgang von großer Bedeutung, der jedoch ohne Alternative sei. Die Neuverschuldung sei nicht höher als im Sommer noch in der großen Koalition verabredet. Und dabei habe die neue Regierung zusätzlich das Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit einer Entlastung der Familien in Höhe von 4,6 Milliarden auf den Weg gebracht. Die Kanzlerin kündigte eine strikte Konsolidierung an und bezeichnete die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse als "Leitplanke" für ihre Regierung.

Längere Atomlaufzeiten

Die Kanzlerin wies darauf hin, dass die Konjunkturpakete der Wirtschaft wichtige Impulse gegeben hätten. Deutschland müsse jetzt an seine Stärken anknüpfen und starke Exportnation bleiben. Chemie, Automobilindustrie, Medizin- und Verkehrstechnik müssten weiterentwickelt und nachhaltiger gemacht werden, aber dürften "niemals aufgegeben werden". Merkel bekannte sich in der Energiepolitik zur Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke und zum Bau neuer Kohlekraftwerke. Diese Kraftwerke könnten auch ein "Exportschlager" werden. Im steuerpolitischen Teil ihrer Rede verwies Merkel auf die im Koalitionsvertrag beschlossenen Entlastung in Höhe von 24 Milliarden Euro, schränkte jedoch ein: "Warten wir die Steuerschätzung ab, dann wissen wir, was für Aufgaben noch vor uns liegen."

Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, warf Merkel und ihrer Regierung einen "völligen Fehlstart" vor. Außerdem habe ein "Gemeinschaftswerk von SPD, Grünen und Union sowie nun langsam auch von der FDP" dazu geführt, dass die Zahl der Vollzeitbeschäftigten seit 1999 um 1,4 Millionen abgenommen habe. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten, Minijobber und Mehrfachbeschäftigten habe sich im Gegenzug drastisch erhöht. Deutschland habe in diesem Bereich selbst die USA überholt. "Das Ganze ist ein Skandal", kritisierte Gysi. Er wandte sich gegen Forderungen, Ältere länger arbeiten zu lassen. Nur 7,4 Prozent der 63- bis 64-Jährigen seien noch beschäftigt, mehr als 90 Prozent nicht mehr.

Gysi kritisierte auch, dass die Kindergelderhöhung bei Hartz-IV-Haushalten nicht ankomme. Er verlangte die Einführung einer Millionärsabgabe und eine höhere Erbschaftsteuer für große Erbschaften.

Der Linken-Fraktionschef äußerte den Verdacht, die Koalition könnte nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Kürzungspläne präsentieren. "Das ist Wahlbetrug mit Ansage", kritisierte Gysi.

Vorwurf: Klientelpolitik

Auch Steinmeier warf Union und FDP vor, ihre tatsächlichen Pläne für soziale Kürzungen bis nach der Landtagswahl zu verschleiern. "Wir werden sie treiben", drohte Steinmeier. Merkel spreche von neuem Denken, aber in Wirklichkeit reiche sie "altem Denken, ich sage sogar uraltem Denken die Hand. Sie reichen die Hand einer Politik, die schon bei Frau Thatcher und Herrn Reagan vor Jahrzehnten gescheitert ist." Außerdem warf der Sozialdemokrat der Koalition Klientelpolitik etwa bei der Steuerentlastung für das Hotelgewerbe vor.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast zeigte sich irritiert von Merkels Forderung nach einem "neuen Denken". Die Kanzlerin hätte besser an die 1,8 Millionen armen Kinder denken sollen oder daran, wie junge Leute Arbeit bekommen. Die Neuverschuldung ist nach Ansicht der Grünen-Fraktionschefin viel höher als die angegebenen 85,8 Milliarden Euro. In Wirklichkeit seien es 130 Milliarden Euro, "wenn man alle Tricksereien mit einbezieht".

Dagegen bekräftigte die FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger das Ziel weiterer Steuerentlastungen. Union und FDP hätten vom Wähler einen Auftrag erhalten, der jetzt umgesetzt werde. Trotz der hohen Neuverschuldung sei eine Entlastung möglich, wenn gespart werde - etwa durch den Abbau von Bürokratie und eine andere Haushaltsstruktur: "Es geht, wenn man will", sagte Homburger. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder sagte, der Haushalt verhindere, dass auf die Wirtschafts- und Finanzkrise eine gigantische Arbeitslosigkeit folge. Eröffnet hatte die Debatte der SPD-Sozialpolitiker Anton Schaaf, der von 100 verlorenen Tagen seit Bildung der Regierung sprach. Bei den Koalitionsverhandlungen sei Merkel von der FDP "marktliberal über den Tisch gezogen" worden. "In Ihrem Koalitionsvertrag stehen nur Forderungen der FDP, sonst steht dort nichts."