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Der Hecht im Karpfenteich

Energiemarkt Als Konkurrent der vier großen Anbieter soll die Thüga als neuer kommunaler Konzern den Wettbewerb beflügeln - Synergieeffekte erwartet

25.01.2010
2023-08-30T11:25:45.7200Z
5 Min

Hoffnungen blühen parteiübergreifend. Die Schaffung eines kommunalen Konzerns sei "eindeutig positiv zu bewerten", meint Joachim Pfeiffer. Der Energiepolitiker der Unionsfraktion im Bundestag ist überzeugt, dass jetzt "der Wettbewerb bei Strom und Gas neuen Schwung bekommt". Peter Götz assistiert: Die neue Thüga als fünfter Player neben Eon, RWE, Vattenfall und EnBW würdigt der CDU-Kommunalfachmann im Bundestag als "rundum positiv". Der SPD-Abgeordnete Rolf Hempelmann beurteilt diese Zäsur ebenfalls als "grundsätzlich positiv". Allerdings müsse man erst einmal sehen, wie erfolgreich sich das Novum eines republikweit organisierten Stadtwerke-Konsortiums als Träger der Thüga am Markt schlagen wird, so der Energieexperte. Während den monatelangen Verhandlungen über einen Verkauf dieser Eon-Beteiligungsgesellschaft an rund 50 Stadtwerke hatten auch die Fraktionen von FDP, Linkspartei und Grünen diesen Schritt befürwortet.

Die Thüga als Herausforderer von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW aus der Taufe zu heben, ist das bislang spektakulärste Beispiel für den Trend hin zu einer Kommunalisierung der Daseinsvorsorge bei Elektrizität, Gas und Wasser. Diese Entwicklung setzt ein Jahrzehnt nach Beginn der Liberalisierung eine Gegenbewegung in Gang.

Erzeugung in Eigenregie

Zwischen Ostsee und Alpen diskutieren derzeit angesichts des bevorstehenden Auslaufens vieler Konzessionsverträge, die den Konzernen und größeren Regionalunternehmen die profitable Belieferung zahlreicher Städte und Dörfer mit Strom, Gas oder Wasser gesichert haben, an vielerorts Bürgermeister und Lokalparlamente die Möglichkeit, dies mit Hilfe von Stadtwerken wieder in Eigenregie zu managen. Solche staatlichen Unternehmen kooperieren zusehends mit anderen Betrieben dieser Art, um etwa beim Einkauf von Elektrizität oder Gas günstige Konditionen auszuhandeln. Manche Stadtwerke schließen sich zusammen, um spezielle Projekte bei der Energieerzeugung zu verwirklichen. So betreibt etwa das Konsortium Trianel Kraftwerke. Die Gesellschaft Südweststrom, hinter der Stadtwerke vor allem aus Baden-Württemberg stehen, will mit dem Windpark "Bard Offshore 1" die erste kommerzielle Elektrizitätsgewinnung in der Nordsee mit 400 Megawatt (MW) starten.

Mit der Übernahme der Thüga drehen nun Stadtwerke am ganz großen Rad. Von einem "Umbruch" der Branche spricht Hannovers Rathauschef Stephan Weil (SPD), der dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) präsidiert: "Erstmalig entsteht ein kommunaler Energiekonzern." Immerhin mussten rund 50 Stadtwerke fast 3 Milliarden Euro aufbringen, um Eon die Thüga abzukaufen. Die in München residierende Firma mit annähernd 20.000 Beschäftigten bündelt Minderheitsbeteiligungen an 90 lokalen und regionalen Energieversorgern: Mehr als 3,5 Millionen Bürger werden mit Strom beliefert, knapp 3 Millionen beziehen Gas, eine Million erhält Trinkwasser.

Freiwillig hat Eon seine Tochter nicht herausgerückt: Der Konzern stand unter erheblichem wettbewerbsrechtlichem Druck der EU und des Bundeskartellamts, das im Dezember endgültig grünes Licht für die neue Thüga gab, die als Nummer fünf auf dem Markt agiert.

Die im Verbund Integra organisierten drei mächtigen Stadtwerke aus Hannover, Frankfurt und Nürnberg halten als Kerngruppe der neuen Eigentümer rund 62 Prozent der Anteile an der Thüga. Aufsichtsratsvorsitzende ist Petra Roth (CDU), Frankfurter Oberbürgermeisterin und Präsidentin des Städtetags. Auf das Konsortium KOM9, dem unter Führung des südbadischen Regionalversorgers Badenova etwa vier Dutzend kleinere Stadtwerke angehören, entfallen rund 38 Prozent. Integra hat für den Thüga-Erwerb 1,8 Milliarden Euro investiert, KOM9 über eine Milliarde.

Neue Beteiligungen

Für die Thüga markiert der Besitzerwechsel nicht das Ende der Fahnenstange. War der einstigen Eon-Tochter aus Wettbewerbsgründen Expansion verwehrt, so "kann die Thüga nun wachsen, kartellrechtliche Probleme existieren nicht mehr", freut sich der CDU-Abgeordnete Götz. Neue Beteiligungen an Versorgern sind wieder möglich. Es hätten sich bereits viele Stadtwerke gemeldet, "die sich für die Thüga als Kapitalpartner interessieren", berichtet Vorstandschef Ewald Woste.

Freilich ist schiere Größe kein Wert an sich: Welchen Nutzen hat eine kommunale Thüga eigentlich? Alles dreht sich um die Förderung des Wettbewerbs. Mit Hilfe der Thüga könnten Stadtwerke ihre "Marktposition ausbauen", hofft Unionsabgeordneter Pfeiffer, deren Zukunft liege "nicht mehr nur im Netzbetrieb, auch Vertrieb und Erzeugung bieten Chancen".

Ein Zauberwort lautet Einkaufsmacht: Der SPD-Abgeordnete Hempelmann sieht eine Hauptaufgabe zunächst einmal darin, bei den Beschaffungspreisen von Strom und Gas durch entsprechenden Druck günstige Konditionen zu erzielen. Allerdings müsse sich noch zeigen, ob die Marktmacht der Thüga ausreicht, um den Konzernen besonders bei Gas Paroli zu bieten. Optimismus demonstriert Pfeiffer (CDU): Die Thüga-Partner "können ihre Kräfte beim Energiehandel oder dem Materialeinkauf künftig bündeln".

Werden die Bürger von moderaten Tarifen profitieren? Das wäre "natürlich wünschenswert", meint Götz zurückhaltend. Ob der Trend zur Kommunalisierung und der Thüga-Kauf "Einfluss auf den Strompreis" haben werden, "ist offen", sagt Pfeiffer. Aribert Peters, Vorsitzender des Bundes der Energieverbraucher, begrüßt zwar die Stärkung des Wettbewerbs durch die Thüga, das sei günstig für die Konsumenten. Mit Preisreduzierungen für die Kunden rechnet er allerdings nicht.

Position verbessern

Angefacht werden Wettbewerbsträume indes vor allem durch die Aussicht auf einen Einstieg der Thüga in die Elektrizitätsproduktion, die bislang zu 80 Prozent von den vier großen Konzernen beherrscht wird - weswegen VKU-Präsident Weil eine "ungesunde Marktkonzentration" kritisiert. Laut VKU verfügen Stadtwerke bisher über eine Kraftwerksleistung von gut 13.000 MW, das sind zehn Prozent der bundesweit installierten MW-Kapazität. Im Bau oder konkret geplant sind von kommunaler Seite zusätzlich 3.500 MW, von denen gut ein Drittel auf regenerative Energien entfällt: Damit würden die Stadtwerke ihre Quote an der Stromgewinnung auf knapp 13 Prozent steigern. Hempelmann sieht diese Unternehmen "vor einem langen Weg" bei dem Bemühen, ihre Position bei der Elektrizitätsherstellung zu stärken und so die vier Konzerne zurückzudrängen.

Pfeiffer meint, der "Aufbau einer eigenständigen Stromerzeugung" durch das Münchner Unternehmen werde "sicher ein interessantes Thema". Hempelmann gibt freilich zu bedenken, dass die Thüga für solche Investitionen erst einmal Reserven bilden müsse. Gleichwohl richten sich hochgesteckte Erwartungen auf den neuen Player. Die Thüga könne Vorhaben angehen, so Thorsten Radensleben, die ein einzelnes Stadtwerk nicht zu schaffen vermöge. Der Badenova-Chef denkt etwa an Hochseewindparks oder an den Handel mit Biomasse. Die Hoffnungen sind groß, dass Stadtwerke mit der finanziellen Kraft der Thüga im Rücken ihre Aktivitäten für eine dezentrale umweltverträgliche Energieversorgung ausweiten können.

Noch steht der Praxistest für das Experiment eines von kommunalen Konsortien getragenen Energiekonzerns aus. Doch von diesem Modell geht bereits eine gewisse Faszination aus. In Freiburg peilt die ökologisch ausgerichtete Genossenschaft "Energie in Bürgerhand" durch ein Andocken an den Verbund KOM9 den Einstieg in die Thüga an. Die Initiative will 100 Millionen Euro investieren. 4.000 Bürger haben bereits 25 Millionen aufgebracht, sind 40 Millionen zusammen, sollen Banken noch 60 Millionen als Kredit beisteuern.