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Die Utopie vom dritten Weg

DDR Andreas H. Apelt über die Bürgerrechtsbewegungen und ihre Haltung zur Einheit

15.02.2010
2023-08-30T11:25:47.7200Z
3 Min

Nahezu die Hälfte aller Ostdeutschen gab in Umfragen noch vor einem Jahr an, die DDR hätte mehr gute als schlechte Seiten gehabt. Da drängte sich die Frage auf, wieso kam es dann überhaupt zu jener lawinenartigen Ausreisebewegung? Woher nahmen Millionen den Mut zur Revolution und waren sich einig: Nie wieder ein sozialistisches Experiment!

Im 20. Jubiläumsjahr haben die Dokumentationen und Publikationen jene Erinnerungen wieder freigelegt, die der gewachsenen DDR-Verklärung viel von ihrem Reiz nehmen. Allein vier gewichtige Bücher empfehlen sich mit einer Gesamtschau auf die Ursachen, den Verlauf und den friedlichem Ausgang der Revolution in die deutsche Einheit: Ilko-Sascha Kowalczuk mit seinem Standardwerk "Endspiel", Ehrhart Neubert mit dem Blick des Historikers und Bürgerrechtlers ("Unsere Revolution"), Andreas Rödder als Chronist, der sich auf teils unbekannte Akten stützt ("Deutschland einig Vaterland") und Wolfgang Schuller mit seinem Panorama "Die deutsche Revolution 1989".

Aus der Distanz verwundert es, wie lange die Mehrheit der DDR-Opposition an ihrer Utopie eines "dritten Weges" mit zwei sich aufeinander zu reformierenden deutschen Staaten festgehalten hat. Eine Erklärung dafür, mit Nahfokus auf die "Opposition in der DDR und die deutsche Frage 1989/90", bietet Andreas Apelts akribische Fleißarbeit mit zahlreichen Dokumenten und Erinnerungen Beteiligter. Mit dem wissenschaftlichen Anspruch einer Doktorarbeit vertieft der Mitbegründer des kirchennahen, liberal-konservativen Demokratischen Aufbruchs aber letztlich doch nur grundsätzlich Bekanntes.

Schockstarre

Die Verantwortung angesichts einer noch im Oktober '89 im Raum stehenden "chinesischen Lösung" ließ die neuen Bürgerrechtsgruppen, besonders die Basisbewegung Neues Forum auf den Dialog - auch mit der SED - bedacht sein. Wie richtig sie mit ihrer Deeskalation lagen, weiß jeder, der damals dabei war. Auch darum war in der - nach Apelt - zweiten, "demokratischen Phase" der Revolution, in den Wochen nach der Demonstration der 70.000 am 9. Oktober in Leipzig, das Thema Einheit für Bürgerrechtler ebenso wenig aktuell, wie für die in "Schockstarre verharrende Bundesregierung". Erst in der "nationalen Phase", so analysiert der Autor, sei dem Mauerfall am 9. November und der drängenden Forderung der Straße "Wir sind ein Volk" das Ob und Wie eines Zusammenwachsens auf die Agenda gerückt.

Die Gefahr einer Destabilisierung der DDR, aber auch der Bundesrepublik durch die massenhafte Abwanderung waren der eigentliche Motor. Doch die Mehrheit der Bürgerrechtler, geprägt durch 40 Jahre SED-Indoktrination, verweigerte sich als Vordenker fundamentaler Veränderungen. Als Helmut Kohl am Abend des 28. November mit seinem Zehn-Punkte-Plan hin zur Deutschen Einheit im Rahmen des "europäischen Hauses" millionenfach Hoffnungen weckte, hatten namhafte Bürgerrechtler bereits Stunden zuvor ihre Zukunftsvorstellung manifestiert. In dem von Christa Wolf verlesenen, durch die Unterschriften von Egon Krenz und Hans Modrow diskreditierten "Aufruf für unser Land" bekannten sie sich zu einem reformierten Sozialismus.

Der Bürgerbewegung fehlte nicht nur ein charismatischer Führer, ihr fehlte auch ein Programm, das dem Mehrheitswillen nach schneller Einheit entsprach. Die Quittung dafür erhielt "Bündnis 90/Grüne" mit 2,9 Prozent Wählerstimmen bei den ersten freien Wahlen.

Leider streift Andreas Apelt die bundesdeutsche Deutschlandpolitik in dieser hochdramatischen Zeit nur am Rande. Ganz offen lässt er die spannende Frage, welche Fäden der sowjetische Geheimdienst KGB und mit ihm Teile des MfS seit 1987 zur Neuausrichtung der SED-Führung zogen. Ebenso offen bleibt ein Ausblick auf den Preis der Einheit. Das sind Aspekte, die noch eine eingehende Analyse verdienen.

Andreas H. Apelt:

Die Opposition in der DDR und die deutsche Frage1989/90.

Ch. Links Verlag, Berlin 2009; 344 S., 34,90 €