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Auf dem Weg in eine neue Zeit

Mannheim Die Stadt steckt im Strukturwandel und prüft derzeit eine Bewerbung als »Kulturhauptstadt 2020«

22.02.2010
2023-08-30T11:25:48.7200Z
5 Min

Ganz ehrlich: Mit Mannheim verbindet man nicht an erster Stelle Kultur. Industrie, Handel, ein großer Binnenhafen, eine quadratisch angelegte Innenstadt: Dafür steht Mannheim mehr als für schicke Ateliers, traditionelle Hoch- und moderne Subkultur. Dabei ist die Stadt an Rhein und Neckar keineswegs kulturelle Diaspora. Das älteste kommunale Theater der Welt steht in Mannheim. Die Stadt gilt als deutsche Wiege der Musikrichtung Drum'n'Bass. Seit sieben Jahren gibt es eine Popakademie, die musikalischen Nachwuchs fördert. Und in längst vergangenen Zeiten stammten die Wurzeln der Wiener Klassik von einem Komponistenzirkel aus Mannheim. Vielleicht ist das der Grund, warum die Stadt derzeit ernsthaft mit dem Gedanken spielt, sich als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2020 zu bewerben. In gut einer Woche will der Stadtrat entscheiden, ob Mannheim ins Rennen geht.

Ob es mit den anderen baden-württembergischen Bewerberstädten Ulm und Freiburg mithalten kann, ist fraglich. Das schreckt die Mannheimer allerdings nicht. Schon im Bewerbungsprozess sehen sie eine große Chance. Identität soll wachsen, eine urbane Atmosphäre entstehen. Mit diesen Schlagworten erklärt Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) die Ziele des angestrebten Bewerbungsverfahrens. Kultur soll helfen, den schon seit Jahrzehnten andauernden Strukturwandel weg von der Industrie hin zur Dienstleistung positiv zu begleiten. Dabei hat der Politiker ein durchaus weit gefächertes Kulturverständnis. "Das Handlungsfeld ist breit", erläutert er. "Wir zählen alles, was bewusst gestaltet wird dazu."

Eine lange Tradition

Dass gerade in schwierigen Zeiten Kultur in Mannheim immer eine Rolle gespielt hat, wird bei allen Vorurteilen leicht vergessen. "Wir werden ganz zu Unrecht nicht als Kulturstadt wahrgenommen", klagt der Sozialdemokrat. Es gebe in Mannheim aber eine lange Tradition, von der man sich nie verabschiedet habe. Im Jahr 1720 begann die künstlerische Glanzzeit Mannheims, als Kurfürst Karl Philipp seinen Hof vom nahen Heidelberg dorthin verlegte. Philipp ließ ein Schloss bauen und förderte Kunst, Musik, Wissenschaft und Handel. Die deutsche Hochkultur hielt Einzug: Goethe, Schiller und Lessing weilten an Neckar und Rhein. Wirtschaftliche Zugpferde der Region wurden dann aber nicht Theater und Museen, sondern Industrie und Handel. 1865 wurde die BASF in Mannheim gegründet und zog später ins benachbarte Ludwigshafen um. Mit einem Daimler-Werk setzte die Stadt auf die Maschinenbauindustrie, und ein großer Pharmakonzern spiegelt die chemische Seite wider. Keine Frage, die großen Unternehmen brachten viel Geld in die Stadt. Doch seit den 1970er Jahren sprudeln die Einnahmen längst nicht mehr so kräftig. Arbeitsplätze werden abgebaut, der Fokus liegt nun auf der Dienstleistung. "Wir stecken mitten in einem Wandlungsprozess", bilanziert Oberbürger- meister Kurz.

Wirtschaftliche Wünsche

Eine zentrale Herausforderung, das belegt der Blick in die Statistik, ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Integration. Im Bezirk der Arbeitsagentur Mannheim waren im Dezember vergangenen Jahres 18.290 Menschen arbeitslos gemeldet. Das ergibt eine Quote von 6,7 Prozent, der Schnitt in Baden-Württemberg ist mit 5,1 Prozent deutlich niedriger. Und noch ein anderer Umstand stellt die Atmosphäre der zweitgrößten Stadt des Bundeslandes oft auf die Probe: Der Ausländeranteil liegt bei 19,3 Prozent. Insgeamt haben 96.000 der 310.000 Einwohner einen Migrationshintergrund. Peter Kurz sieht darin Potenziale, die durch das geplante Bewerbungsverfahren gebündelt und in Kreativität münden sollen. "Wir wollen die Identifikation über Kultur. Damit setzen wir etwas in Bewegung", sagt er. Der Bewerbungsprozess bringe Impulse für das Selbstverständnis der Stadt. Kurz hofft auf mehr Ateliers, Galerien, eine urbane Atmosphäre. Ein Leitgedanke, der in der Bewerbung unter dem Motto "Kultur-Raum-Stadt" aufgegriffen wird. "In der Kultur definiert sich die Individualität einer Stadt", glaubt der Politiker.

Mit der Bewerbung um den Titel der europäischen Kulturhauptstadt 2020 sind aber auch wirtschaftliche Wünsche verknüpft. Mit einem Masterplan soll die Kreativwirtschaft in Mannheim und der gesamten Rhein-Neckar-Region angekurbelt werden. Zu dieser gehören beispielsweise selbstständige Künstler, Architekten, Theater, Museen, Verlage oder Filmproduktionsfirmen. Ein unbeschriebenes Blatt ist Mannheim in diesem Sektor nicht: Mit der Popakademie - einer 2003 gegründeten Hochschule, die sich aus öffentlichen und privaten Mitteln finanziert - wird der musikalische Nachwuchs gefördert, der Duden-Verlag hat seinen Sitz in der Stadt und etliche Werbeagenturen kamen in jüngster Zeit hinzu. Mit dem Image der Kulturstadt könnte dies weiter vorangetrieben werden. Darauf hofft auch die Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar. "Ich schätze die Kreativwirtschaft. Sie ist ein wichtiger zusätzlicher Wirtschaftsfaktor und eine Bereicherung für die Lebensvielfalt in unserer Region", betont darum Gerhard Vogel, Präsident der IHK. Dennoch könnten die Unternehmen der Kreativwirtschaft alleine die zunehmenden Beschäftigungsprobleme anderer Sektoren nicht ausgleichen. Derzeit gehören in Mannheim 435 Firmen zu der Branche, in der 6.383 Menschen beschäftigt sind.

Immer noch Arbeiterstadt

Gänzlich will auch Oberbürgermeister Peter Kurz das Bild Mannheims als Arbeiterstadt nicht loswerden. "Das geht mit der Kultur gut zusammen und ist dem Grunde nach nicht neu", betont er. Das Kultur und Kunst in Mannheim wirklich schon immer eine Rolle gespielt haben, belegt nicht nur das Nationaltheater. Der Mannheimer Kunstverein wurde schon 1833 gegründet und bietet heute vorwiegend junger Kunst aller Sparten ein Forum. Doch die Einrichtung ist finanziell nicht auf Rosen gebettet. Geld bekommt der Kunstverein von Mitgliedsbeiträgen sowie einem kleinen Zuschuss von Stadt und Land. "Das reicht gerade für die laufenden Kosten. Die Ausstellungen müssen sich durch Sponsoren finanzieren", erklärt der Ausstellungsleiter Martin Stather. Darum hofft er auf ein positiveres Image durch das Bewerbungsverfahren. "Wenn Geld in die Kultur gesteckt wird, nutzt das auch den freischaffenden Künstlern", sagt er. Künftig, so sein Wunsch, könne die Werbung von Sponsoren aus der Wirtschaft leichter fallen. Außerdem sei die Bewerbung um den Titel als Kulturhauptstadt Europas 2020 ein logischer Schritt des bisherigen politischen Handelns in Mannheim. "Hier wird viel getan. Das wird nur von außen nicht gesehen", betont Museumsmann Stather den hohen Stellenwert der Kultur in der Stadt. Die Bewerbung bringe das ganze Thema auf den Punkt und sei eine Bestätigung der bisheriger Politik.

Dass das Bewerbungsverfahren Geld kostet, weiß Oberbürgermeister Peter Kurz und greift damit einen Hauptpunkt der Kritiker seines Kurses auf. "Kann man ein solches Projekt überhaupt angehen, wenn überall öffentliche Mittel gekürzt werden", lautet ein Hauptargument der Bewerbungsgegner.

Tatsächlich würde der Titel der europäischen Kulturhauptstadt für Mannheim nicht ganz billig werden. Das ist der Politik klar. Kurz kalkuliert mit etwas mehr als 60 Millionen Euro für das Jahr. Davon könnte rund ein Drittel bei der Stadt hängen bleiben, der Rest soll privat finanziert werden. Und trotzdem: "Allein durch die Auseinandersetzung mit dem Thema ergeben sich Impulse, die wir sonst nicht hätten", sagt der Oberbürgermeister. Für Mannheim gilt beim Thema Strukturwandel und Kultur ganz das Motto: "Der Weg ist das Ziel".

Der Autor ist freier Journalist in Wiesbaden.