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Flatrate ist kein Freibrief

Bernd Neumann Die Missachtung des Urheberrechts im Internet lässt sich durch eine Kulturflatrate wahrscheinlich nicht bekämpfen, sagt der Kulturstaatsminister

22.02.2010
2023-08-30T11:25:48.7200Z
5 Min

Herr Neumann, in Zeiten riesiger Haushaltslöcher haben Sie es wieder einmal geschafft, auch im Haushalt 2010 zusätzliche Mittel für die Kultur locker zu machen. Über welches Wundermittel verfügen Sie?

Im Koalitionsvertrag haben wir uns ausdrücklich dazu bekannt, dass Kulturförderung keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Das bringen wir auch mit dem Kulturhaushalt 2010 zum Ausdruck, bei dem zum fünften Mal in Folge eine Steigerung erreicht werden konnte.

Dass uns dies selbst in finanziell schwierigen Zeiten gelungen ist, hat auch mit harter und langwieriger Überzeugungsarbeit zu tun, die ein wesentlicher Teil meiner Arbeit als Kulturstaatsminister ist. Der Haushalt für 2010 liegt nun im Parlament. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestags von unserer Haushaltsaufstellung überzeugen können und diese unsere kulturpolitischen Vorstellungen unterstützen.

In der ersten Sitzung des Kulturausschusses nach der Wahl haben Sie gesagt, die Lobby für die Kultur halte sich in Grenzen. Die Steigerung Ihres Etats um zehn Prozent seit Ihrem Amtsantritt 2005 spricht doch eine andere Sprache. Wo liegen also diese Grenzen?

Wenn es konkret ums Geld geht, muss man immer kämpfen. Durch die derzeitigen weltwirtschaftlichen Entwicklungen und die daraus resultierenden finanziellen Nöte in Ländern und Kommunen, aber auch beim Bund, ist die Situation für die Kultur nicht einfacher geworden. Im Gegenteil. Der Glaube aber, mit Bibliotheks- oder Theaterschließungen Haushalte sanieren zu können ist vollkommen abwegig. Mit einem durchschnittlichen Anteil von 1,9 Prozent des Kulturbereichs am Gesamthaushalt der Länder und Kommunen schafft man selbst bei einer massiven Absenkung keine finanziellen Spielräume. Man richtet im Gegenteil unermesslichen Schaden an.

Im Januar wurde in der Zeche Zollverein in Essen die Ruhr2010 mit einem Riesenevent eröffnet. Die Kulturindustrie wird als Retter einer ganzen Region gefeiert. Ist das nicht etwas zu optimistisch?

Wir sollten uns vor Augen führen, welchen Wandel das Ruhrgebiet durchgemacht hat: Dafür steht stellvertretend die Zeche Zollverein, heute Unesco-Welterbe und ein Kulturort, der die beeindruckende Kulisse für die Eröffnungsveranstaltung zur Kulturhauptstadt bot. Mit Mut und Innovation ist es dort gelungen, aus dem ehemals von Kohle und Stahl dominierten Ruhrgebiet eine Metropolenregion mit Zukunft zu machen, in der die Kultur- und Kreativwirtschaft eine bedeutende Rolle spielt. Die vielen kleinen Unternehmen dieser innovativen Zukunftsbranche sind wichtige Motoren der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Modernisierung. Die Bundesregierung hat unter anderem auch deshalb die Ruhr2010 als größter Förderer mit 19 Millionen Euro unterstützt.

Essen als Kulturhauptstadt 2010 symbolisiert das, was man als Transformation von einer industriellen zu einer kreativen Wirtschaft bezeichnet. Was ist das Besondere der "Kreativwirtschaft"?

Die Branche hat erst einmal eine große volkswirtschaftliche Bedeutung, deren jährliche Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden Euro zwischen dem Anteil der Automobil- und Chemieindustrie liegt und in der etwa 1 Million Menschen arbeiten. Darüber hinaus ist ihr Einfluss auf die Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte und Dienstleistungen, auf die Innovationsfähigkeit unseres Landes insgesamt, nicht zu unterschätzen. Hier entstehen zum Teil großartige Werke, das kulturelle Leben unseres Landes wird entscheidend durch die Kraft der Kultur- und Kreativwirtschaft geprägt. Viele Künstler und Kulturschaffende bekommen zudem die Möglichkeit dadurch ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Zu dieser Erfolgsgeschichte gehört aber auch deren Preis, und der ist nicht selten sehr hoch für die Kreativen, von denen viele eine mangelnde soziale Absicherung und sehr geringe Löhne in Kauf nehmen.

Sie haben völlig Recht - die ökonomische Situation von selbstständigen Künstlern und Publizisten ist schwierig. Viele haben Jahreseinkommen, die um 12.000 Euro liegen. Deshalb steht beispielsweise die weitere Stabilisierung der Künstlersozialversicherung für mich ganz oben auf der Agenda. Die Bundesregierung hat in dieser Hinsicht in der zurückliegenden Legislaturperiode viel bewegt. Wir haben die Beiträge gerechter verteilt und damit die Künstlersozialversicherung zukunftsfest gemacht. Diesen Kurs gilt es fortzusetzen.

Ein weiterer großer Durchbruch ist uns für die Kulturschaffenden im Bereich des Arbeitslosengeld I gelungen, mit dem sich die soziale Lage bei Verlust des Arbeitsplatzes deutlich verbessert hat. Mit der Neuregelung für den Bezug von Arbeitslosengeld für überwiegend kurzzeitig befristet beschäftigte Personen werden Kulturschaffende - insbesondere der Film- und Fernsehbranche - künftig solche Leistungen erhalten können. Zudem haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, den Freibetrag beim Schonvermögen, der verbindlich der Altersvorsorge dient, auf 750 Euro pro Lebensjahr anzuheben. Für Kulturschaffende ist das eine erhebliche Verbesserung.

Ein zentrales Thema ist der Schutz geistigen Eigentums im Internet. Eine Reform des Urheberrechts ist seit Jahren Dauerthema.

Richtig. Der Schutz geistigen Eigentums im Internet ist die Herausforderung der kommenden Jahre, der zumal hoch komplex ist. Es muss auch in Zeiten des Internet möglich sein, von kreativer Arbeit zu leben. Wichtig ist, für die Akzeptanz des Urheberrechts auch in der digitalen Welt zu werben - die häufige Missachtung des Urheberrechts im Internet bedroht nicht nur ganze Wirtschaftszweige, sondern individuelle Existenzen. Aber natürlich muss auch die Freiheit im Netz gewahrt bleiben. Wir haben uns deshalb im Koalitionsvertrag darauf verständigt, das Urheberrecht noch durchsetzungsfähiger zu gestalten. Hier setzen wir in erster Linie auf die Selbstregulierungskräfte der Marktteilnehmer. Es sind Internetprovider und Rechteinhaber gefragt, Lösungen zu entwickeln. Ich will auch gesetzliche Maßnahmen nicht ganz ausschließen.

Wäre eine Kulturflatrate, eine Pauschalabgabe auf Internetanschlüsse zugunsten der Rechteinhaber digitaler Inhalte, eine Lösung?

Verschiedenste Modelle einer Kulturflatrate werden ja schon länger diskutiert. Wenn man darunter versteht, dass gegen eine Gebühr alles aus dem Internet heruntergeladen werden kann, halte ich dies für nicht vertretbar. Denn auch eine pauschale Abrechnungsmethode legalisiert nicht alles, was heruntergeladen wird. Wenn zum Beispiel ein Film vor der Premiere auf kriminellem Weg ins Internet gelangt, wird weder das Einstellen noch das Herunterladen des Films durch die Flatrate legal. Wir müssen auch berücksichtigen, dass es am Markt schon etliche Modelle mit pauschaler Abrechnung für legale Inhalte gibt. Deshalb habe ich erhebliche Zweifel, ob die vorhandenen Probleme mit einer staatlich verordneten Kulturflatrate gelöst werden können. Bei allen Vorschlägen muss man jedenfalls die Vereinbarkeit mit europäischem Recht, aber auch Fragen der Akzeptanz und Praxistauglichkeit bedenken.

Auch die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB), von Ihnen als Gegenoffensive zu Google Books angekündigt, wird sich mit den Rechten der Urheber befassen müssen.

Ja, das ist ja auch ein ganz zentraler Punkt bei der DDB. Dort dürfen nur Werke mit Einverständnis des Rechteinhabers digitalisiert und veröffentlicht werden. Im Unterschied zu Google werden hier die Rechteinhaber zuerst gefragt und dann wird gehandelt. Autoren, Verlage und andere Rechteinhaber erhalten somit eine Alternative zu Google Books.

Solange die Urheberrechte noch 70 Jahre nach dem Tod eines Autors geschützt sind, könnte aber vor allem die Digitalisierung junger Werke schwierig sein.

Bei urheberrechtlich geschützten Werken, die auf dem Markt noch verfügbar sind, soll die DDB jeweils einen Link zu den kommerziellen Anbietern enthalten, die das Urheberrecht beachten. Bei Werken, die nicht mehr verfügbar sind und bei denen auch keine neue Auflage geplant ist, soll die DDB den Rechteinhabern die Möglichkeit bieten, diese zu vereinbarten Konditionen über die DDB online verfügbar zu machen.

Die Fragen stellte Claudia Heine.

Bernd Neumann (68), CDU-Bundestagsabgeordneter, ist seit 2005 Kulturstaatsminister.