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Kinderpornografie löschen statt sperren

INTERNETSPERREN Opposition, Bürger und FDP fordern ein neues Gesetz

01.03.2010
2023-08-30T11:25:49.7200Z
4 Min

Franziska Heine könnte sich eigentlich beruhigt zurücklehnen. Schließlich hatte Max Stadler (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, während der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses am 22. Februar wieder und wieder erklärt: "Es wird zu keinen Sperrungen von Internetseiten kommen."

Dies lasse das im vergangenen Sommer verabschiedete Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen zwar grundsätzlich zu, doch habe sich die Bundesregierung darauf verständigt, dem ebenfalls in dem Gesetz verankerten Grundsatz "Löschung vor Sperrung" zu folgen, sagte Stadler. Eben gegen jene Sperrung hatte sich eine von der Berliner Mediengestalterin Heine Mitte April 2009 eingebrachte Online-Petition an den Bundestag gerichtet.

Darin bezeichnete sie das geplante Vorgehen, Internetseiten vom Bundeskriminalamt (BKA) zu indizieren und von den Providern sperren zu lassen, als "undurchsichtig und unkontrollierbar". Die "Sperrlisten" seien weder einsehbar noch sei genau festgelegt, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Dies bedeute eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit, heißt es in der Petition.

Beteiligung war ein Rekord

Dass die 30-Jährige mit ihren Bedenken nicht allein ist, zeigt die Zahl der 134.015 Mitzeichner, die die Petition bis zum Ende der Zeichnungsfrist Mitte Juni vorigen Jahres gefunden hat - ein absoluter Rekord. Grund genug für den Petitionsausschuss, sich mit dieser Petition in öffentlicher Sitzung zu beschäftigen. Unter immer wieder aufbrandendem Beifall ihrer Freunde und Unterstützer, die sich auf der Zuschauertribüne des Europasaals im Paul-Löbe- Haus drängten, erläuterte Heine, warum sie die Regelung ablehnt. "Das Gesetz ist unwirksam, unnötig und intransparent", sagte sie. "Wir wenden uns gegen eine Symbolpolitik, die glaubt, mit technischen Mitteln soziale Probleme lösen zu können".

Über den inzwischen erreichten "breiten politischen Konsens, dass Netzsperren keine sinnvolle Maßnahme bei der Bekämpfung strafbarer Inhalte im Netz sind", freue sie sich, sagte die Petentin Heine.

Grauzone beseitigen

Beruhigtes Zurücklehnen kommt dennoch nicht in Frage. Schließlich sei das Gesetz inzwischen "politische Realität". "Wir müssen diesen schwierigen Zustand in der gesetzlichen Grauzone beenden", forderte sie und sprach sich für ein "Aufhebungsgesetz" aus.

Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition. Die Fraktionen von SPD, Grüne und Linke haben jeweils eigene Entwürfe vorgelegt (17/767, 17/646, 17/772), die ein solches Aufhebungsgesetz fordern. Während der ersten Lesung zu den Vorlagen am 25. Februar machten Redner der Opposition deutlich, dass das Gesetz ihrer Ansicht nach keinen Beitrag zum Kampf gegen Kinderpornografie leiste. Stattdessen stelle es einen Eingriff in die Informationsfreiheit dar. Während die Unionsfraktion eine Aufhebung ablehnt, da es keine neuen Erkenntnisse gebe, die dafür sprächen, begrüßte die FDP-Fraktion den Oppositionsvorstoß.

Der Unionsabgeordnete Ansgar Heveling sagte, die Inkraftsetzung des Gesetzes sei ein "völlig normaler parlamentarischer Vorgang", der von der Opposition zum "Kampfthema" gemacht werden solle. Insbesondere wundere er sich über die Haltung der SPD, die im letzten Jahr Netzsperren noch als wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Kinderpornografie bezeichnet hatte. "Es gibt keinen neuen Erkenntnisse, die für eine Aufhebung sprechen", sagte Heveling. Auch das Argument, dass es Umgehungsmöglichkeiten für eine Sperre gebe, dürfe nicht zur Kapitulation führen, forderte er.

FDP unterstützt Opposition

Ihm liege eine Dienstanweisung des Bundesinnenministeriums an das BKA vor, sagte Jörn Wunderlich (Die Linke). In dieser werde sinngemäß gefordert, "ein erlassenes, beschlossenes und verabschiedetes rechtskräftiges Gesetz nicht anzuwenden".

"Das soll ein völlig normaler parlamentarischer Vorgang sein?" fragte Wunderlich. Wenn die Regierung ein Gesetz, welches nichts für die Bekämpfung der Kinderpornografie bringe, nicht vollziehen wolle, sei das zwar "von der Sache her erfreulich - logisch, juristisch und rechtsstaatlich jedoch nicht nachzuvollziehen". Auch das als Alternative diskutierte Löschgesetz werde nicht gebraucht. "Löschen ist auch jetzt schon möglich", argumentierte Wunderlich. Die FDP-Fraktion unterstützt die Initiative der Opposition, sagte deren Parlamentarischer Geschäftsführer Christian Ahrendt. Das Gesetz sei in der Tat ungeeignet. "Wir haben schon immer gesagt: Löschen ist besser als Sperren", erinnerte Ahrendt. Daher sei zwischen Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium vereinbart worden, ein Löschgesetz zu erarbeiten.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, wollte ein "Zurückrudern in allen Reihen" erkannt haben. Vor wenigen Wochen erst habe der Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl im Parlament erklärt, man habe vor Jahresfrist bei dem Gesetz "im Nebel gestochert", sagte von Notz. Umso erstaunter habe er den Redebeitrag des Unions-Abgeordneten Heveling aufgenommen, der wirkte, als habe in den letzten Monaten keine Debatte stattgefunden. "Das ist hochgradig merkwürdig", urteilte von Notz.

Symbolische Placebopolitik

Gerade angesichts der Tatsache, dass die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie ein schweres und gravierendes gesellschaftliches Problem sei, verbiete sich eine "rein symbolische Placebopolitik". Dass es sich bei dem Gesetz um eine solche handle, habe laut von Notz nicht zuletzt die Anhörung vor dem Petitionsausschuss gezeigt.

Auch der SPD-Abgeordnete Martin Dörmann bezog sich auf die Petition Heines. Diese habe "die Politik stark beeinflusst". Auf die Rolle seiner eigenen Fraktion eingehend sagte Dörmann: "Politik muss sich auch korrigieren können."

Er räume ein, dass die mit SPD-Unterstützung durchgesetzte Sperrung ein Fehler war. Gleichwohl sei das Vorhaben der Bundesregierung, das Gesetz "per Erlass auszuhebeln" verfassungsrechtlich nicht akzeptabel, sagte Dörmann.