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Neustart im Netz

Neue Medien Bundestag setzt Enquete-Kommission »Internet und digitale Gesellschaft« ein - mit Bürgern als Sachverständige

08.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Die Zeichen der Zeit haben die Bundestagsabgeordneten erkannt: Eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest zum Informationsverhalten Jugendlicher fand 2009 heraus, dass es für die Hälfte der 12- bis 19-Jährigen wichtig ist, schnell über politische Entscheidungen in Deutschland informiert zu werden. Bedenklich aber sei, schreiben die Forscher, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen mit niedriger Bildung gar kein Interesse an der Wahl der Volksvertreter bekundete. Eklatante Unterschiede machten die Forscher beim Bildungshintergrund aus. Demnach war die Bundestagswahl 2009 nur für ein gutes Drittel der Jugendlichen mit formal niedriger Bildung von Bedeutung. Beim mittleren Bildungsabschluss zeigte knapp die Hälfte Interesse und unter den Abiturienten waren es drei Viertel.

Mit der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft", die der Bundestag am 4. März einstimmig einsetzte, wird alles anders. Das hoffen und erstreben zumindest die Abgeordneten, die über die Einsetzung der Kommission am vergangenen Donnerstag beraten haben. Am deutlichsten wurde Lars Klingbeil von der SPD. Er unterstellte dem Bundestag zunächst, dass dieser mit seinen Debatten vor allem im Jahr 2009 "nicht mehr auf der Höhe der Zeit" war. Deshalb hätten sich gerade junge Menschen "von dem abgewandt, was wir hier machen". Aber die Enquete-Kommission biete die Chance, "dass wir in Zeiten einer hohen Politikverdrossenheit und katastrophaler Wahlbeteiligung das Internet stärker aufstellen können, um Menschen an politischen Prozessen zu beteiligen". Auch die anderen Fraktionen betonten die Bedeutung der Bürgerbeteiligung. So plädierte Michael Kretschmer (CDU) dafür, zu den 17 Sachverständigen der Kommission "einen 18. Sachverständigen gedanklich hinzuzunehmen: den sachverständigen Bürger". Er äußerte die Hoffnung, dass es "eine breite Diskussion in Blogs, Foren und auf andere Art und Weise geben kann, sodass die Arbeit von all jenen, die mitarbeiten wollen, im Netz verfolgt werden kann".

Große Bandbreite

Tatsächlich ist die Bürgerbeteiligung zwar ein wichtiger aber eben nur ein Teil des Arbeitsauftrags der Kommission. Dieser wird in dem Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen (17/950) formuliert. Darin heißt es, das Internet sei die freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsform der Welt und trage maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei. Jedoch sei das Internet nicht länger nur eine technische Plattform, sondern integraler Bestandteil des Lebens.

Um die Veränderungen in ihrer Breite erfassen und analysieren zu können, wurden auch die Aufgaben des Gremiums entsprechend weit gefasst. Gegliedert in die Themenfelder Kultur und Medien, Wirtschaft und Umwelt, Bildung und Forschung, Verbraucherschutz, Recht und Innen sowie Gesellschaft und Demokratie soll es die spezifischen Auswirkungen auf die jeweiligen Bereiche analysieren. Dazu gehören unter anderem die Stärkung der Medienkompetenz, Fragen des Urheberrechts, die Wahrung des Grundrechteschutzes, Veränderungen der Arbeitswelt durch neue Medien und die Weiterentwicklung der eGovernment-Dienstleistungen. Ein Zwischenbericht zu einzelnen Teilbereichen soll bis Ostern 2011 vorliegen, bis zum Sommer 2012 soll dann der abschließende Bericht fertig sein. Auf der Internetseite des Bundestages wird nicht nur regelmäßig über diese Arbeit informiert, sondern es werden auch Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, um "Anregungen aus der Öffentlichkeit" in die Arbeit mit einfließen lassen zu können.

Konkrete Antworten

Der Kommission gehören 17 Mitglieder des Bundestages an, davon kommen sechs von der CDU/CSU, vier von der SPD, drei von der FDP und jeweils zwei von der Linken und Bündnis 90/Die Grünen. Darüber hinaus werden noch 17 Sachverständige in das Gremium entsandt, denn die Besonderheit von Enquete-Kommissionen besteht darin, dass sie als "Schnittstellen zwischen Politik und Wissenschaft" keine rein politisch besetzten Gremien sind. Diesen Punkt unterstrich auch Manuel Höferlin (FDP) in der Debatte: Die Enquete-Kommission sei bewusst als "Querschnittskommission" ausgelegt und solle gerade nicht Tagespolitik machen, sondern langfristige Perspektiven entwickeln.

Zu diesen gehört für die Linksfraktion, die sich enttäuscht zeigte, nicht in den fraktionsübergreifenden Antrag mit eingebunden worden zu sein, unter anderem der Datenschutz und das Urheberrecht. Das geltende Recht tauge nicht für die digitale Welt, sagte deren Redner Herbert Behrens. Nötig sei nicht nur ein Datenschutz, der zu der neuen Netzgeneration passe, sondern auch ein modernes Urheberrecht. Michael Kretschmer betonte in diesem Zusammenhang, im Internet gelten keine anderen Gesetze als im "wahren Leben". Es sei eine staatliche Aufgabe, Persönlichkeitsrechte, Rechte auf Privatsphäre, Selbstbestimmung und Chancengleichheit auch im Internet zu garantieren. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz kritisierte jedoch, die bisherige Politik in diesen Bereichen sei "Stückwerk" gewesen, mit schnellen Reaktionen ohne Nachhaltigkeit. Beim Urheberrecht, Datenschutz oder der Barrierefreiheit "brauchen wir konkrete Antworten aber auch große Linien", sagte er. "Deshalb glauben wir, dass sich heute ein Neustart in diesem Bereich vollzieht."