Piwik Webtracking Image

Klischees und ihre Korrektur

WELTPOLITIK Der Soziologe Marc Juergensmeyer sieht die Welt auf dem Weg in einen religiös motivierten »globalen Krieg«. Für den Politikwissenschaftler Kai…

08.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Es scheint, als habe Mark Juergensmeyer 20 Jahre nach Interviewpartnern gesucht, die seine Thesen bestätigen: Ja! Es gibt einen Anstieg der religiösen Gewalt, die sich globalisiert. Dabei handelt es sich bei Juergensmeyer gar nicht um einen Journalisten, der unbedingt wörtliche Zitate benötigt, sondern um einen Soziologie-Professor, der als Direktor des Orfalea Center for Global and International Studies an der University of California in Santa Barbara tätig ist.

Zu viel Verständnis

Seinen Gesprächspartnern, insbesondere den radikalen Mullahs, bringt der Autor viel Verständnis entgegen. Letztlich unterstützt er in seiner farblosen Studie Samuel P. Huntingtons Thesen vom "Kampf der Kulturen". Selbst noch den unbedeutendsten Konflikt auf regionaler Ebene wertet der Wissenschaftler als Beleg für religiös motivierte Gewalt und als ein weiteres Beispiel dafür, dass Globalisierung und religiöse Gewalt einander bedingen. Am Ende landen die unterschiedlichsten Phänomene in Juergensmeyers Eintopf: die neue Evangelisierungswelle in den USA und die Terroraktivitäten der Aum-Endzeitsekte in Japan, die Vorbehalte gegen Ausländer in Europa und die Religionsfreiheit im post-sowjetischen Raum, Tschetscheniens Unabhängigkeitskrieg und die Herrschaft der Taliban in Afghanistan, das kommunistische Regime in Nordkorea und der aufkeimende Hindu-Nationalismus oder der militante Zionismus und die sogenannten "Aufständischen im Irak".

Juergensmeyers Fazit lautet: Religiöse Kräfte haben die säkulare Politik zunächst auf lokaler Ebene herausgefordert, um schließlich in einer "globalen Rebellion" zu gipfeln. Es handle sich nicht nur um eine "bloße Anomalie", sondern um einen neuen "globalen Feind". Dabei sind seine Argumente für einen "globalen Krieg" letztlich gegenstandlos. Erschwerend kommt hinzu, dass er laviert und sich selbst widerspricht: Am Ende hat nach Ansicht des Professors nicht immer nur die Religion die Konflikte ausgelöst, tatsächlich seien für Krieg und Gewalt die ungerechten sozialen Verhältnisse sowie die Politik der USA und des Westens insgesamt verantwortlich.

Außerdem ist Juergensmeyer davon überzeugt, dass die zahlreichen terroristischen Gruppen, wie die muslimischen Separatisten in Kaschmir, die christlichen Religionskrieger in Nordirland oder die islamischen Revolutionäre im Iran über "verschiedene gemeinsame Merkmale" verfügen. Sie alle fühlten sich vom "modernen säkularen Nationalismus verraten". Sein Mitgefühl gilt dabei den iranischen Mullahs, deren menschenverachtendes Regime er verharmlost. Seine Ausführungen über die Entstehung der Iranischen Revolution, die führende Rolle der Mullahs im politischen System und die Verfassungsrealität im Iran in den letzten 30 Jahren könnten von der Propagandaabteilung der Revolutions-Wächter verfasst worden sein. Das Mullah-Regime beziehungsweise deren religiös-politische Herrschaft wird fälschlicherweise als eine typisch schiitische Tradition charakterisiert und so als legitime Herrschaft rechtfertigt.

Einseitige Betrachtung

Wie im Fall des Iran, so sind auch die übrigen Fallstudien in Juergensmeyers Buch oberflächlich und einseitig. Im Einzelnen gilt ihm die terroristische Tätigkeit islamistischer Gruppen, darunter Al Qaida, die sich für den islamischen Endsieg einsetzen, als das zentrale Beispiel für den globalen religiösen Krieg gegen den Westen. Tatsache ist jedoch, dass über eine Milliarde Muslime in Frieden leben, auch beteiligt sich keiner der islamischen Staaten an diesem globalen Krieg.

Der von Juergensmeyer herbei gezauberte neue Kalte Krieg des Westens gegen den Islam könnte abgewehrt werden, meint der Autor. Allerdings müssten dazu die toleranten Werte des Islam gegen seine rebellischen Extreme in Stellung gebracht werden. Dass "der Westen" keinen Krieg gegen den Islam führt, erfährt der Leser in Juergensmeyers Buch nicht. Der Soziologe hat offensichtlich die Sichtweise seiner zahlreichen islamischen Gesprächspartner allzu kritiklos übernommen.

Legitimer Vergleich

Im Unterschied zu den hysterisch-apokalyptischen Ausführungen Juergensmeyers betrachtet der Erfurter Politikwissenschaftler Kai Hafez, der zu den besten Kennern des Orients gerechnet werden kann, das Abrutschen der islamischen Welt in ein Zeitalter religiös motivierter Gewalt keineswegs als unausweichlich.

Der in der Fachwelt verbreitete Vergleich des gegenwärtigen Zustandes der Umma mit dem christlichen (Vor)-Reformationszeitalter ist legitim. Zu den konkreten Merkmalen gehören der Glaubenskrieg innerhalb der islamischen Konfessionen, der Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten im Irak, die Konflikte zwischen Säkularisten und Islamisten, zwischen gläubigen Muslimen und islamistischen Terroristen, zwischen Reformern und Konservativen. Dadurch kann die nicht-islamische Welt die Ereignisse in der Umma besser verstehen und bewerten. Hafez weist zu Recht darauf hin, dass bei einem Vergleich der historischen Entwicklungender Weltreligionen, sich die islamische Welt heute in einem sehr viel besseren Zustand befindet als das christliche Abendland damals. Mit Indonesien, Bangladesch, der Türkei und dem Libanon lebt immerhin ein großer Teil der Muslime in demokratischen Verhältnissen.

Auf der Suche nach Erklärungen für die politische Rückwendung zum Islam kritisiert Hafez den völkerrechtswidrigen und aussichtslosen "Krieg gegen den Terror" sowie die hegemoniale Politik der USA und Europas im Nahen und Mittleren Osten. Durchaus zu hinterfragen sind dabei seine Thesen über das modernisierende und emanzipatorische politische Potenzial des religiösen Fundamentalismus, darunter die aktuelle Welle des islamischen Fundamentalismus, dessen politische Rationalität er betont. Hier und nicht in seinen extremistisch-terroristischen Randerscheinungen, meint der Erfurter Wissenschaftler, verliefen die entscheidenden Bruchlinien, die zurzeit schwer zu deuten seien. In diesem Zusammenhang verweist er auf das Frauenwahlrecht in Ägypten, das bereits nach dem Ersten Weltkrieg eingeführt wurde, also 20 Jahre früher als in Italien oder in Frankreich - und ein halbes Jahrhundert vor der Schweiz.

Zurückhaltend und argumentativ überzeugend korrigiert Hafez viele Klischees über die islamische Welt, die lediglich mit langsamerem Tempo in die Globalisierung aufgebrochen sei.

Mark Juergensmeyer:

Die Globalisierung religiöser Gewalt. Von christlichen Milizen bis al-Qaida.

Hamburger Edition, Hamburg 2009; 485 S, 35 €

Kai Hafez:

Heiliger Krieg und Demokratie. Radikalität und politischer Wandel im islamisch-westlichen Vergleich.

Transcript Verlag, Bielefeld 2009; 279 S., 25,80 €