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Das Axiom der mutwilligen Selbstzerstörung

USA Der Historiker Andrew J. Bacevich geht mit der Außenpolitik der Vereinigten Staaten hart ins Gericht

08.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
4 Min

Jeder Satz aus der Feder des amerikanischen Historikers und Hochschullehrers Andrew J. Bacevich, der in den USA mit seiner messerscharfen Kritik an der Politik der vergangenen Jahrzehnte und ihren Protagonisten für Aufsehen sorgte, ist ein Richterspruch. Schon der Klappentext seines Buches "Grenzen der Macht" lässt den Leser schaudern: "Die USA sind wirtschaftlich, militärisch und administrativ am Ende. Jahr für Jahr verschulden sie sich in einem permanenten Kriegszustand, der Billionen schluckt, und die politischen Kräfte im Land blockieren sich gegenseitig." Diese Feststellung liefert den Oberton zur Lektüre, die die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ereignisse in den Vereinigten Staaten sowie die Folgeerscheinungen für die Welt und insbesondere für die politischen Anrainer der westlichen Führungsmacht in die Erinnerung zurückruft.

US-Präsident Barack Obama spielt in diesem Kontext kaum eine Rolle. Der Autor hat die immensen Fehlentwicklungen unter seinen Vorgängern im Blick, die Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen lassen wie nie zuvor in der Geschichte. Eine wissenschaftliche Arbeit ist dabei nicht herausgekommen, aber immerhin eine höchst interessante und die Diskussion bereicherndere Lektüre.

Amerika und wie es die Welt sieht - Bacevich mangelt es nicht an Belegen, um die seiner Auffassung nach verquere Selbstein- und -überschätzung der Amerikaner und ihren Krieg gegen den Terror zu geißeln. Sie verstünden sich als friedliches Volk und "beharren darauf, dass die Konflikte, in die sie sich verwickelt sehen, ohne ihr Zutun entstanden sind". Das betreffe auch den globalen Krieg gegen den Terror. Von ihren wohlwollenden Absichten zutiefst überzeugt, schöben sie "die Verantwortung für Kriege reflexartig anderen in die Schuhe".

Endloser Konflikt

Das seien, so schreibt Bacevich, meist finstere, Hitler-ähnliche Gestalten, unerklärlicherweise entschlossen, "uns den Frieden, den wir aufs innigste ersehnen, zu verweigern". In der Tat: Man muss schon ein kompromissloser Freund der USA sein, um diese Sichtweise der Dinge so zu übernehmen. So will der Historiker, der seinen Sohn im Irak-Krieg verlor, dann auch zeigen, dass "die Taten von Saddam Hussein und Osama bin Laden, so bösartig sie auch sein mögen, nicht erklären können, warum die Vereinigten Staaten sich in einen scheinbar endlosen Konflikt verstrickt finden".

Aber Bacevich kritisiert auch die Kritiker der Politiker von Präsident George W. Bush: Sie hätten Bush, Mitglieder seines engeren Kreises, chauvinistische Neokonservative, gierige Erdölbosse oder gar die Israel-Lobby dafür verantwortlich gemacht. Er schließt diese Deutung zwar nicht aus, auch wenn die Genannten erheblich Schuld an der Lage trügen, aber "diese Erklärungen reichen nicht hin". Denn die Impulse, die die Nation in einen Krieg ohne Auswege und ohne absehbares Ende gestürzt hätten, kämen letztlich von innen. "Seit Jahrzehnten ist die amerikanische Außenpolitik eine nach außen gerichtete Manifestation innerstaatlicher Bestrebungen, Antriebe und Befürchtungen. In der Gegenwart ist sie zunehmend zum Ausdruck innergesellschaftlicher Funktionsstörungen geworden." Dies sei ein Versuch, mit den Widersprüchen, die dem "american way of life" anhafteten, fertig zu werden. Ihren höchsten Ausdruck hätten diese Widersprüche in dem permanenten Kriegszustand gefunden, unter dem die USA heute litten. Die von ihnen als höchsten Zweck des Lebens besungene Freiheit ist für Bacevich eine Chimäre - "ein Altar, vor dem die Amerikaner beten, gleichgültig, welchem religiösen Glauben sie nominell angehören. Doch während die Amerikaner die Freiheit feiern, nehmen sie das Objekt ihrer Verehrung von einer kritischen Prüfung aus." Früher hätten die Amerikaner das Imperium als Antithese zur Freiheit verstanden. Unter Präsident Bush "ist das Imperium - nehmen wir nur die Bemühungen seiner Regierung um Vorherrschaft am erdölreichen Persischen Golf - anscheinend zu einer Voraussetzung der Freiheit geworden".

Atmosphäre des Misstrauens

Der politischen Krise folge zwangsläufig die militärische Krise und mit ihr das Versagen nahezu aller Institutionen, die die Macht sichern sollten. Bush, Reagan, Rumsfeld, Cheney, Frums und Perle sind die bekannten negativen Helden des Geschehens. Nach Bacevich setzten sie Teile des nationalen Sicherheitsapparates, die möglicherweise Ärger machen konnten, weil sie sich nicht fügten, außer Kraft. Wenn die Dinge schief gingen, wurde die Verantwortung für das Fiasko der zivilen Führung in die Schuhe geschoben. Das hatte unter dieser Führung offenbar Methode. Das Resultat sei eine nicht beseitigte Atmosphäre des Misstrauens zwischen Militärs und Zivilisten in Washington, die dem Land großen Schaden zufüge.

Alles in allem ist Bacevichs Philippika nicht mehr und nicht weniger als eine Abrechnung mit der Führungsmacht USA, eine Bilanz des Scheiterns einer Macht, die nach seinem Urteil ihre moralischen Qualitätsansprüche dauerhaft aufs Spiel gesetzt hat: "Hartnäckig an der Überzeugung festhaltend, dass die Regeln, denen andere Nationen sich fügen müssen, für sie nicht gelten, scheinen die Amerikaner entschlossen zu sein, (...) das Axiom von der mutwilligen Selbstzerstörung zu bestätigen."

Müssen die Europäer sich also Sorgen machen um ihren wichtigsten Verbündeten, um die Führungsnation in den Zeiten der Krise? Bacevich würde die Frage uneingeschränkt bejahen.

Andrew J. Bacevich:

Grenzen der Macht.

Das Ende des amerikanischen Traums.

Hoffmann und Campe, Hamburg 2009; 238 S., 20 €