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Mit viel Getöse

KUNDUS-AUSSCHUSS In dieser Woche beginnt die öffentliche Aufarbeitung des Bombardements vom 4. September

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
6 Min

Die Aura mutet geheimnisvoll an, und der "Verrat", wenn man es denn so nennen will, macht alles noch prickelnder. Kein Journalist, kein Paparrazzi hat es auf die Präsidialebene im Reichstagsgebäude geschafft, wo der Kundus-Untersuchungsausschuss bislang perfekt abgeschirmt Bundeswehrangehörige in einem kleinen Raum zu befragen pflegt. Der muss so eng sein, dass Unions-Obmann Ernst-Reinhard Beck schon von einer "Strafe" für alle Beteiligten spricht.

Gleichwohl bleibt natürlich nicht alles geheim. Bei ihren Statements am Rande der Sitzungen lassen sich die Sprecher der fünf Fraktionen vor den TV-Kameras zwar nur wenig über die Zeugenanhörungen entlocken. Doch mehrere Zeitungen berichteten bereits ausführlich etwa über das Protokoll der Vernehmung von Oberst Georg Klein, der in der Nacht zum 4. September den Befehl zur tödlichen Bombardierung zweier von den Taliban gekidnappter Tanklaster gab. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat in einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bereits die Einhaltung des Geheimschutzes im Ausschuss angemahnt. So manche Abgeordnete argwöhnen wiederum, die Quelle für ein besonders spektakuläres Informationsleck könnte im Ressort des CSU-Politikers selbst zu suchen sein: So zitierte Spiegel Online aus Unterlagen, wonach die Generäle Rainer Glatz, Chef des Einsatzführungskommandos in Potsdam, und Jörg Vollmer, im September Isaf-Kommandeur in der Region Kundus, schon frühzeitig vorliegende Hinweise eines Nachrichtenoffiziers auf zivile Opfer aus dem internen Netz der Isaf-Truppen entfernt haben sollen.

Ränkespiele und Indiskretionen, die das Kundus-Gremium weiterhin begleiten werden, gehören zum politischen Geschäft. Das hat bereits der BND-Ausschuss gelehrt. Untersuchungsausschüsse sind auch ein Kampfinstrument der Opposition, alle Beteiligten kämpfen mit Haken und Ösen. Da mag FDP-Obmann Hellmut Königshaus noch so sehr davor warnen, die Aufklärung für "politische Grabenkämpfe" zu instrumentalisieren.

Auftakt am 18. März

Dass die politischen Scharmützel derzeit besonders hochkochen, verwundert nicht: Vom 18. März an wird die Kundus-Affäre öffentlich aufgerollt. Allerdings ist damit zu rechnen, dass beim Hinzuziehen geheimer Papiere das Publikum auch an diesem Tag zeitweise ausgeschlossen wird.

Zuerst treten Ex-Staatssekretär Peter Wichert und der frühere Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan auf, die auf Druck Guttenbergs ihren Hut nehmen mussten. Mehrfach hat Unions-Obmann Beck beide als "militärisch und politisch Verantwortliche" im Ressort für das Geschehen in Afghanistan bezeichnet. Ende März wird dann Franz-Josef Jung (CDU) vor dem Ausschuss aussagen, der im September Chef im Bendlerblock war und nach Vertuschungsvorwürfen im Fall Kundus von seinem neuen Amt als Arbeitsminister zurücktreten musste.

Sein Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg muss erst Ende April vor dem Ausschuss erscheinen. Er hatte erklärt, er habe sich bei seinem anfänglichen Urteil, der Angriff in Kundus sei "militärisch angemessen" gewesen, auf die Einschätzung im "Haus" gestützt. Später korrigierte er seine Einschätzung des Luftangriffs und sprach von einem Vorgehen, das "nicht angemessen" gewesen sei.

Im politisch-medialen Getöse geht leicht unter, wieso das Bombardement eigentlich für so viel Zoff sorgt: Die vielen zivilen Opfer machen den von zwei US-Piloten auf Oberst Kleins Befehl ausgeführten Angriff zu einem der dramatischsten Ereignisse in der Geschichte der Bundeswehr. Zur Aufarbeitung der Tragödie hat sich der Untersuchungsausschuss bei seiner Konstituierung am 16. Dezember drei wichtige Themenkomplexe vorgenommen: Was geschah genau in der Bombennacht und warum und wie konnte es zu den vielen zivilen Opfern kommen? Wie ging die Bundeswehr mit der Attacke und deren Folgen um, welche Informationen gelangten in welcher Form nach Berlin? Wie spielten sich zwischen Bendlerblock, Kanzleramt und Außenressort Aufarbeitung, Bewertung und öffentliche Kommunizierung des Vorfalls in Kundus ab? Und die finale Frage, welche die Fraktionen in ihrem Abschlussbericht beantworten müssen: Wurde getrickst, heruntergespielt, vertuscht? Und wenn ja, wer trägt die Verantwortung dafür?

Bei Schneiderhans und Wicherts Vernehmung dürfte auf Umwegen so manches erörtert werden, was bisher nur über Indiskretionen durchgesickert ist: Die geheimen Anhörungen Oberst Kleins und seines im Kommandostand anwesenden Fliegerleitoffiziers W. - wegen seines Funknamens "Roter Baron" genannt - haben den Abgeordneten Munition für ihre Fragen geliefert. Das gilt auch für den am 15. März anstehenden (geheimen) Auftritt der Generäle Glatz und Vollmer. Jedenfalls orteten Oppositionsparlamentarier in den Aussagen der bisher geladenen Zeugen beträchtliche Widersprüche. Wenn zwei Personen zur gleichen Sache "völlig unterschiedliche Angaben" machen, sagte Grünen-Obmann Omid Nouripour, sage einer nicht die Wahrheit. Unions-Mann Beck hingegen meint, es handele sich nur um differierende "Wahrnehmungen" des Geschehens in jener Nacht.

Klein hat vor dem Gremium bereits die Verantwortung für das Bombardement auf sich genommen, in einer öffentlichen Stellungnahme stufte er seinen Befehl dennoch als "rechtmäßig" ein. Er habe Bedrohungen der Bundeswehrtruppe durch die Taliban abwenden wollen. Jedoch konstatiert ein (eigentlich streng geheimer) Nato-Bericht, dass bei dem Angriff diverse Isaf-Einsatzregeln verletzt worden seien. So hat Klein die beiden US-Flugzeuge mit der Begründung angefordert, man habe direkten Feindkontakt und es liege eine akute Gefahr vor. Das aber wird bezweifelt. Vor dem Ausschuss soll der Oberst seine Auslegung der Isaf-Richtlinien als vertretbar bezeichnet haben. Der Ausschuss hat nun zu klären, wie interpretierbar Begriffe wie "akut" und "unmittelbar" sind, wo doch die gekidnappten Fahrzeuge in einer Sandbank im Kundus-Fluss feststeckten.

Auch den US-Piloten kam die Lage offenbar nicht ganz sauber vor: Mehrfach fragten sie nach, ob sie tatsächlich Bomben abwerfen oder nicht zuerst Tiefflüge absolvieren sollen, um Personen im Umfeld der Tanklaster zu vertreiben. Diese Gespräche liefen jedoch über den "Roten Baron" - und es ist für die Öffentlichkeit bislang unklar, was Klein davon mitbekam und inwiefern die Zweifel der Piloten in seine Entscheidung einflossen.

Nach allem, was man weiß, stützte sich die Annahme, keine Zivilisten zu treffen, auf die Angaben eines afghanischen Informanten. Die Isaf-Regeln besagen jedoch, dass man sich nicht auf eine einzige Quelle verlassen soll. Für Jan van Aken (Die Linke) kristallisiert sich daher als Kernfrage der gesamten Affäre heraus, wieso vor dem Bombenbefehl nicht näher nachgeforscht worden sei, ob sich bei den Tanklastern tatsächlich keine Zivilisten aufhalten. Man hätte doch, sagt der Linkspolitiker, Aufklärungsdrohnen losschicken können.

Vermutete Vertuschung

Knistern wird es am 18. März wohl, wenn die Indiskretionen um Glatz und Vollmer zur Sprache kommen: Was hat es damit auf sich, dass unter deren Verantwortung schon am Tag nach dem Bombardement vorhandene Hinweise auf zivile Opfer aus dem militärischen Netz gelöscht worden sein sollen mit der Begründung, Details seien "noch nicht valide nachgeprüft"? Der SPD-Obmann im Ausschuss, Rainer Arnold, äußert den Verdacht, dabei handele es sich um den Versuch einer "Vertuschung" und "Vernebelung". Zu fragen sei, ob dabei auch die Leitungsebene des Ministeriums mitgemischt habe. So legt Arnold vorab Spannung in Schneiderhans und Wicherts Auftritt.

Vor deren Aussagen versucht Guttenberg offenbar, etwas Luft aus seinem Konflikt mit Schneiderhan und Wichert zu lassen. Beide mussten gehen, nachdem der Ressortchef den Vorwurf erhoben hatte, ihm seien wichtige Papiere zum Fall Kundus vorenthalten worden, womit seine anfängliche Fehleinschätzung eines "militärisch angemessenen" Angriffs zu erklären sei. Im Gegenzug beschuldigte der Ex-Generalinspekteur den CSU-Politiker, die Unwahrheit zu sagen: Da der Minister den zusammenfassenden Nato-Bericht gekannt habe, seien ihm Vorläuferexpertisen nicht eigens vorgelegt worden. Von einer absichtlich erfolgten Zurückhaltung von Informationen könne keine Rede sein. Jetzt sagte Guttenberg in einem Interview, er wolle Schneiderhan und Wichert nicht unterstellen, "vorsätzlich oder böswillig" gehandelt zu haben.

Ob dies beide Zeugen im Ausschuss ebenfalls zurückhaltender argumentieren lässt? Der Minister habe bei seinen neuesten Äußerungen nur eine "vorauseilende Schadensbegrenzung" im Sinn, kritisiert der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels. Beck hingegen findet es gut, "Missverständnisse" zu bereinigen. Der Ausschuss richtet sich am Donnerstag schon mal auf eine Nachtsitzung ein.