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Harsche Töne aus der Truppe

Isaf-Einsatz Ein ehemaliger Bundeswehrsoldat rechnet ab - mit Generalen und der Politik

15.03.2010
2023-08-30T11:25:50.7200Z
3 Min

Da hat sich jemand Frust von der Seele geschrieben: "In den Augen einer überragenden Mehrheit kämpft eine kleine Gruppe von Freiwilligen (was unterschwellig impliziert, dass diese sich das selbst eingebrockt hat und sich daher auch nicht beschweren darf) einen unverständlichen Kampf in einem Haufen Geröll namens Afghanistan. Was sich dort, Tausende Kilometer entfernt, zuträgt, interessiert deutsche Staatsbürger grundsätzlich so gut wie überhaupt nicht."

Der Verfasser dieses Zitats, Marc Lindemann, ist zwar nicht der erste ehemalige deutsche Soldat, der seine Erfahrungen und Erlebnisse seines Einsatzes in Afghanistan zu Papier gebracht hat. Vor ihm haben bereits der einstige Fallschirmjäger Achim Wohlgethan ("Endstation Kabul", "Operation Kundus") und die ehemalige Bundeswehrärztin Heike Groos ("Ein schöner Tag zum Sterben") diesen Weg beschritten. Aber es kann auch wahrlich nichts schaden, dass die Stimme der Soldaten in der Diskussion über das deutsche Engagement am Hindukusch öfter als bisher zu Gehör kommt.

Zweimal - in den Jahren 2005 und 2009 - war der Hauptmann der Reserve als Nachrichtenoffizier bei der Isaf-Truppe im Einsatz. Nach eigenen Angaben war er in dieser Zeit verantwortlich für die Sammlung und Aufbereitung sicherheitsrelevanter Informationen. Das sind keine schlechten Vorraussetzungen, um sich einen Überblick über die Lage vor Ort zu verschaffen. Und Lindemann gelingt es auch, die Einsatzrealitäten deutscher Soldaten und ihrer Verbündeten plastisch und drastisch zu beschreiben. Seine Ausführungen mögen zwar dem zivilen Leser all zu sehr militärischer Logik und Denkweisen entspringen. Aber wer verstehen will, warum sich Soldaten die geballte Feuerkraft einer modernen Panzerhaubitze - über die die Bundeswehr in Afghanistan eben nicht verfügt - herbeisehnen, wenn sie unter einem Raketenbeschuss der Taliban liegen, der sollte Lindemanns Ausführungen nicht einfach als kraftmeiernde Krieger-Attitüde abtun.

Kritik an der Führung

Überhaupt ist Marc Lindemann darum bemüht, die Dinge unmissverständlich beim Namen zu nennen. Und so entzündet sich ein Großteil seiner Kritik daran, dass die Bundesregierung, Abgeordnete und Generale zu lange davor gescheut hätten, der Öffentlichkeit klipp und klar zu sagen, dass sich die Bundeswehr in Afghanistan in einem Krieg befinde.

Und endgültig endet sein Verständnis, wenn Soldaten gerüffelt werden, die nach dem Tod eines ihrer Kameraden davon sprechen, den "Punkteausgleich" erzielen und "dann in Führung gehen" zu wollen. Das sei nun mal die Sprache der Männer, die sich auf Befehl der Bundesregierung und mit Mandat des Bundestags Gefechte mit Aufständischen in Nordafghanistan liefern: "Wenn die Wortwahl der Führung im Verteidigunsgministerium nicht passt, schlage ich vor, sich auf die Suche nach Akademikern zu begeben, die eine Karriere als Maschinengewehrschütze in Kundus einschlagen wollen."

Nach solchen Sätzen wundert es dann auch nicht mehr, wenn der ehemalige Reserve-hauptmann für die öffentliche Debatte über den Luftangriff auf die von Taliban-Kämpfern entführten Tanklastzüge bei Kundus im September 2009 nur noch Hohn und Spott übrig hat. Aus seiner Sicht war die Entscheidung des Oberst Klein für den Angriff richtig und ohne Alternative. Für die Moral der Truppe sei das Nachspiel allerdings eine Katastrophe. Für die in Afghanistan eingesetzten Soldaten laute die Botschaft: "Triff einen unbequemen, aber notwendigen Beschluss, und ein politisch-medialer Sturm bricht über dich herein. Verlasse dich auf deine Vorgesetzten - und du bist verlassen."

Marc Lindemann hat ein sehr subjektives Buch vorgelegt. Sein dick aufgetragenes Soldaten-Ethos mag hier und da auch nerven bei der Lektüre. Und sicherlich gibt es auch bessere und fundiertere Bücher über die verfahrene Lage in Afghanistan. Und trotzdem hat es seine Berechtigung.

Marc Lindemann:

Unter Beschuss. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert.

Econ Verlag, Berlin 2010; 283 S., 18,95 €