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Unbemerkt am Denkapparat vorbei

Medien Der Journalist Tom Schimmeck geht mit der eigenen Zunft hart ins Gericht

15.03.2010
2023-08-30T11:25:51.7200Z
4 Min

Die veröffentlichte Meinung hat einen Grad von Gleichklang erreicht, der jeden nervös machen sollte. Das meint zumindest der Journalist Tom Schimmeck. Schimmeck, der zu den Gründern der links-alternativen "taz" zählt und für zahlreiche namhafte Medien arbeitet, fragt sich, ob die Meinungsvielfalt in Deutschland wohlmöglich schon eine Schimäre ist. Gibt es in Deutschland nur noch einen "gleichgeschalteten Schmierenjournalismus"?

Der rasante Abstieg der hessischen SPD-Hoffnung Andrea Ypsilanti nimmt in der Analyse breiten Raum ein. Schimmeck rekapituliert die Ereignisse und führt den Leser zu der Erkenntnis, dass der flächendeckende Protest gegen die Mehrheitsbeschaffung der SPD-Kandidatin gar nicht so selbstverständlich war. Das Nichteinhalten von Wahlversprechen gehöre in der Bundesrepublik zum ganz normalen demokratischen Alltag. Schimmecks zutreffender Hinweis auf die abtrünnige FDP beim Bruch der Koalition mit der SPD und alle möglichen anderen nicht eingehaltenen Wahlversprechen verweist auch ein wenig darauf, dass der Gründungstazler die aktuell doch etwas anders gelagerten politischen Einwände gegen die Linkspartei ausblendet. Das könnte der Triftigkeit seiner Ausführungen schaden. Er kombiniert jedoch klug seine Befunde mit den Betrachtungen von Medien- und Kommunikationswissenschaftlern. Es macht sogar eine besondere Würze der Darstellung aus, dass Schimmeck seine Einzelfall-Polemik durch wissenschaftliche Beobachter und deren Thesen in Gesamtzusammenhängen spiegelt. So wird aus dem Fall Ypsilanti auch keine Parteinahme.

Eine seiner zahlreichen Anekdoten aus dem deutschen Mediensumpf trägt Züge einer altmodischen Fabel, die die rhetorischen Aspekte von Kuckuckseiern aufarbeitet. In der Berliner Tageszeitung "Der Tagesspiegel" tat sich ein Redaktionsmitglied laut Schimmeck in drei Dutzend Artikeln mit harten Attacken und wohl platziertem Insider-Wissen über Ypsilanti hervor. Schimmeck fasst die abwertende Tonlage all dieser Artikel zusammen: "Diese Frau" sei im Urteil von "Kritikern", "Zeitzeugen", "Weggefährten" und sogar "Vertrauten" - alle namentlich nicht genannt - "kaltschnäuzig, unsozial und berechnend". Der "Tagesspiegel"-Autor erweise sich als Fan des Ypsilanti-Widersachers Jürgen Walter.

Dies wäre nichts Ungewöhnliches in der allgemeinen Schelte, möchte man meinen. Doch fiel Schimmeck auf, dass das Blatt Walter bereits breite Unterstützung der hessischen SPD bescheinigte, als selbst "Ypsilanti-Fresser" (O-Ton Schimmeck) wie der "Spiegel" dem SPD-Politiker noch bescheinigten, an der Basis "schwer unterdrückten Zorn" auszulösen. Schimmecks Recherche ergab, dass der Autor, der die redaktionelle Linie in Sachen Ypsilanti dominierte, ein Volontär war, der zuvor nie für das Politik-Ressort geschrieben hatte. Warum also jetzt? Und so offenkundig parteiisch? Was den Volontär für die Hessen-Berichterstattung empfahl? Es könnte damit zu tun gehabt haben, dass er rein zufällig zuvor jahrelang als Pressesprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten Nina Hauer tätig war, die mit Walter eng vertraut sei. Hauer ist Vorsitzende des hessischen SPD-Unterbezirks Wetterau. Im Wahlkreis Wetterau I kandidierte Jürgen Walter.

Rüde Methoden der Verleger

Leider ist von Schimmeck nicht zu erfahren, wie die publizistisch Verantwortlichen beim "Tagesspiegel" diesen Umgang mit einem klassischen Diener zweier Herren begründen. Der Fall ist für ihn nur ein Mosaiksteinchen in all seinen Beobachtungen von "Demagogoskopen" und "character assassins", die den unabhängigen Journalismus in die Sinnkrise geführt haben. Der Autor fokussiert zwar den politischen Journalismus, handelt aber genauso das Versagen des Wirtschaftsjournalismus in der Krisenvoraussage ab, wie die rüden Methoden einzelner Verleger zur Steigerung von Renditen und Marktbeherrschung. Der klassische Journalismus mit seiner gesellschaftlichen Relevanz komme darin kaum noch vor, dafür aber alle Schattierungen von Verflachung, Hofschranzentum, Herdentrieb, Schmuddel, Selbstdarstellungszwang und Selbstüberhebung und eben einer ganz unverfrorenen Bedienung politischer Interessengruppen.

Intellektuelle Inzucht

Schimmecks Formulierungen sind griffig. Sätze wie "Will ein schlichtes Parteimitglied auf dem medialen Radar aufleuchten, sollte es seinem Vorsitzenden mit einem Attentat drohen" sind in ihrem brachialen Gestus eigentlich das, was Schimmeck in den Medien nicht lesen will. Doch er entlarvt mit der Überzeichnung die Methoden: "Es geht darum, auf dem Weg zur Seele des Politkonsumenten möglichst unbemerkt am Denkapparat vorbeizukommen." Aber braucht es wirklich seitenlange Tiraden über die längst allseits wahrgenommene intellektuelle Inzucht der Berliner Republik? Das Posing von Hans-Ulrich "Ulli" Jörges vom "Stern" als besserer Kanzler ist seit gefühlten 30 Jahren der Running Gag beim Alphajournalisten-Watching.

In die Falle missverstandener Rollenbilder gehen neben Journalisten auch Politiker. Nicht das bessere Argument siege im freien Spiel der intellektuellen Kräfte, sondern die bessere Performance. "Politische Kommunikation wird zum Marketing, dem das beworbene Produkt, die Politik, abhanden gekommen ist, da sich Politik auf Kommunikation reduziert und nun alles nur noch Kommunikation ist", wird ein Kommunikationsforscher der Konrad-Adenauer-Stiftung zitiert. Was es bedeutet, dass Politik zur reinen Show-Veranstaltung degeneriert, zeigt der Autor an zahlreichen Beispielen aus der allerjüngsten Vergangenheit auf. Die Erkenntnis ist nicht neu. Schimmeck will offenbar auch noch die letzten Zweifel an dieser gefährlichen Degeneration des politischen Systems beseitigen.

Aber warum attackiert er dann noch heftig Berlusconi und Co. und die Umtriebe der Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft"? Wenn Medien und Politikern sowieso niemand mehr glaubt, dann müsste man auch keine Angst vor der Monopolisierung der Medien haben. Man könnte hierzulande sogar die gesetzlichen Beschränkungen für Pressekonzentration abschaffen und alle Hoffnungen auf das Internet setzen. Darauf soll Schimmecks Bestandsaufnahme aber ganz und gar nicht hinauslaufen. Am Ende erweist sich der zornige Journalist als unverbesserlicher Idealist und als altmodischer Verfechter des klassischen Journalismus.

Trotz aller desillusionierenden Befunde glaubt Tom Schimmeck weiter an die "vierte Gewalt". Die müsse den Fall im Hinterkopf haben, für den das Vorhandensein einer funktionierenden Presse zwingend notwendig ist, "ihr scharfer Blick, ihre genaue Beschreibung, ihre kluge Bewertung, ihre mahnende Stimme, ihre Unabhängigkeit, ihre Vielstimmigkeit". Er erinnert an die deutsche Diktaturerfahrung. Eine Nummer kleiner wäre die Mahnung vielleicht näher an den tatsächlichen Bedrohungen und überzeugender.

Tom Schimmeck:

Am besten nichts Neues. Medien,Macht und Meinungsmache.

Westend Verlag, Franfurt/M. 2010; 306 S., 17,95 €