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Annäherung an eine blonde Unschuld

BIOGRAFIE Heike B. Görtmaker versucht ein neues Bild von Eva Braun zu zeichnen

15.03.2010
2023-08-30T11:25:51.7200Z
3 Min

Sie stand bis zum Untergang in Hitlers Schatten. Nur im engsten Freundeskreis auf dem Berchtesgadener "Berghof" und zuletzt im Bunker konnte und durfte sie zeitweilig daraus heraustreten. Als Geliebte des Führers war ihre Existenz das mit am besten gehütete Staatsgeheimnis im Dritten Reich. Schließlich war Hitler mit seinem Volk verheiratet. Für die Freuden der Liebe und des Alltags blieben dem vergötterten Diktator weder Zeit noch Kraft. So lauteten zumindest die offiziellen Propagandaparolen. Viele Biografen Eva Brauns haben sie im Nachhinein für bare Münze genommen und sie als blonde Unschuld porträtiert: bar jeder politischen Meinung und frei von ideologischer Verblendung.

Dieses verzerrte Bild möchte die Berliner Historikerin Heike B. Görtemaker endlich geraderücken. Ihre "ernsthafte, quellenkritische Beschäftigung mit Eva Braun" soll eine "neue Perspektive auf Hitler" freigeben, sein intimes Privatleben beleuchten und ihn gleichsam entdämonisieren. Doch nach der Lektüre dieser abgewogen argumentierenden, dennoch spannend geschriebenen Biografie gewinnt man weder einen "verstörend anderen Blick auf Hitler" noch einen bedeutend klareren auf seine Geliebte. Was nicht der Autorin anzulasten ist, sondern vielmehr daran liegt, dass sich Hitler über seine Beziehung öffentlich und privat weitgehend ausschwieg und auch der mutmaßliche Briefwechsel zwischen den beiden als verschollen oder niemals existent gelten muss. Lediglich ein aus dem Jahre 1935 stammendes und mit Vorsicht zu interpretierendes Tagebuch, Fotos, Filme und wenige Briefe an Freunde liegen als unmittelbare Lebenszeugnisse Eva Brauns vor.

Vage Rückschlüsse

Nur auf Umwegen kann sich die Historikerin also dem "wahren" Wesen der Geliebten und ihrer geheim gehaltenen Liebschaft nähern. Sie muss die Sentenzen ihrer Neider und Bewunderer in Hitlers Entourage kritisch prüfen, gegeneinander abwägen, um so das Verhältnis zu Hitler zu rekonstruieren. So vermag Görtemaker meist nur sehr vage und sehr mittelbar Rückschlüsse auf Brauns Charakter und ihre Bedeutung für Hitlers Seelenheil zu geben. Nicht selten bekennt die Autorin selbst, dass es über grundlegende - von ihr zu Recht aufgeworfene - Fragen dieses Verhältnisses gar keine oder kaum Klarheit geben kann. Weder über die wahren Gefühle der beiden füreinander noch über die Motive der beiden Selbstmordversuche Brauns oder ihr Rollenbild kann sie letztlich Verlässliches berichten.

Die schmale Quellenbasis nötigt sie, weit auszugreifen, zu mutmaßen oder offene Frage zu stellen. Um dennoch Antworten zu erhalten, wartet sie mit kühnen Analogieschlüssen auf. So wenn sie Eva Brauns Anziehungskraft auf Hitler mit der von Alfred Speer gleichsetzt. Schließlich habe der Führer seinen Architekten mit Bedacht erkoren, "weil er bescheiden, im Vergleich zu anderen Getreuen ‚normal', jung und beeinflussbar gewesen sei und der Diktator der Bewunderung des 16 Jahre Jüngeren sicher sein konnte". Es mag sein, dass diese Eigenschaften Hitlers Wahl seiner heimlichen Lebensgefährtin beeinflusst haben. Diese Beurteilungskriterien würden jedoch nur bestätigen, was Görtemaker im Grunde bezweifelt; nämlich, dass Hitler eine kühl kalkulierte und gefühlsarme Beziehung zu ihr pflegte. Aber genau das war diese Liaison nicht, wie Heike B. Görtemaker vor allem bei der Rekonstruktion der letzten Tage im Bunker beweist.

Vieles an dieser gegen alle moralischen Grundsätze der NS-Ideologie verstoßenden Liebschaft bleibt nach wie vor im Dunkeln. Auch wenn die Historikerin der blonden Unschuld plausibel nachzuweisen versucht, dass sie von Hitlers menschverachtender Politik wusste und sie vermutlich auch teilte, hatte sie auf seine politischen und militärischen Entscheidungen so gut wie keinen Einfluss. Nicht ohne Grund blieb Eva Braun deshalb in den bisherigen Hitler-Biographien eine Randfigur. Sie wird es in künftigen wohl auch bleiben.

Heike B. Görtemaker:

Eva Braun. Leben mit Hitler.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 366 S., 24,95 €