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Der Bürger ist mit dabei

internet-Enquete Der Vorsitzende Axel E. Fischer über die künftige Arbeit des Gremiums

10.05.2010
2023-08-30T11:25:55.7200Z
5 Min

Herr Fischer, wie "internetaffin" muss der Vorsitzende einer Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" sein?

Wer ein Auto fahren will, muss es nicht konstruieren und bauen können. So muss auch ein Vorsitzender einer Enquete-Kommission nicht bis ins letzte Detail die Technik kennen und verstehen. Er muss vielmehr politische Erfahrung haben und Erfahrung bei der Sitzungsführung. Ansonsten verhalte ich mich wie mehr als 90 Prozent der Internetnutzer: Ich verschicke E-Mails, habe eine Facebookseite, bestelle beim Online-Versand oder steigere auch mal bei Ebay mit.

Also sind Sie kein "Dauer-Surfer"?

Als Bundestagsabgeordneter habe ich in Ausschüssen viel zu tun und auch in meinem Wahlkreis jede Menge Arbeit - da bleibt nicht so viel Zeit fürs Surfen. Wir reden ja im Übrigen nicht nur über exzessive Internetnutzer, sondern über die Gesamtbevölkerung, dafür ist das Parlament schließlich da. Und da passe ich ganz genau hin.

Warum braucht es denn Ihrer Ansicht nach diese Enquete-Kommission?

Die Bedeutung des Internets hat in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen und wird auch noch weiter zunehmen. Es ist daher an der Zeit, dass sich der Bundestag perspektivisch mit dem Thema beschäftigt. Eine Enquete-Kommission soll ja 20 bis 30 Jahre vorausschauen, soll Empfehlungen an den Bundestag geben und Leitplanken setzen.

Hat die Einsetzung der Kommission auch mit den unerwartet starken Protesten gegen die vom Gesetzgeber in der vergangenen Legislaturperiode verfügten Internetsperren zu tun?

Für mich hat es mehr damit zu tun, dass ich im Wahlkreis öfter auf Probleme im Bereich Internet angesprochen werde. Es fällt auch gleichzeitig auf, dass immer mehr Anfragen per E-Mail und weniger Briefe kommen. Ob anderes eine gewisse Rolle gespielt hat, möchte ich nicht ausschließen, aber es war bestimmt nicht der entscheidende Antrieb.

Nun ist der Arbeitsauftrag der Kommission sehr breit gefächert: Urheberrecht, Persönlichkeitsrechte, Zugangssperren sind nur einige Aspekte. Wo liegen für Sie die Schwerpunkte?

Wir wollen vier Themenblöcke angehen. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Recht. Wir wollen erörtern, wie man durch das Internet wirtschaftlichen Erfolg haben kann. Wir wollen wissen, wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat und wie sich der Zusammenhalt in der Gesellschaft verändern wird. In den Bereich Kultur gehört das Thema Medienkompetenz, das ein ganz wichtiges sein wird. Im juristischen Bereich geht es beispielsweise um den Verbraucherschutz und die Frage, welche Rechtsetzungen dringend notwendig sind.

Die Themen Urheberrecht und Internetsperren zum Beispiel sollen aber nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Haben Sie nicht Bedenken, von der Tagespolitik eingeholt zu werden?

Die Tagespolitik wird in den entsprechenden Fachausschüssen behandelt. Wir versuchen - natürlich auch vor dem Hintergrund der Tagespolitik - in die Zukunft zu schauen und grundsätzliche Dinge anzugehen. Selbstverständlich wird uns auch die aktuelle Diskussion begleiten, wenn wir etwa über Verbraucherschutz oder über das Thema Medienkompetenz reden. Wir müssen uns aber dennoch von ihr lösen und darüber nachdenken, wie es in 20 oder 30 Jahren aussieht.

Es verlangt schon ein gewisses Maß an visionärer Vorstellungskraft, wenn man sagt: Wir schauen mal, was in 20 oder 30 Jahren so relevant ist…

Das ist auch der Grund, warum wir die Sachverständigen in der Enquete-Kommission haben. Wir brauchen diesen visionären Blick und dazu sind Experten nötig, die in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sind. Die heterogene Zusammensetzung der Kommission ist eine ihrer Stärken. Zu den Sachverständigen gehören Voll-Blogger, Twitter-Stars und Universitätsprofessoren. Das schafft eine breite Palette an Blickwinkeln von außen. Und auf der anderen Seite sind viele erfahrene Abgeordnete dabei. Das ermöglicht uns, visionär zu schauen.

Mit Dieter Gorny vom Bundesverband der Musikindustrie und Constanze Kurz von Chaos Computer Club stehen sich Experten gegenüber, die teils absolut konträre Ansichten vertreten. Haben Sie keine Bedenken, dass dadurch die Arbeit der Kommission blockiert werden könnte?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit komplett unterschiedlichen Meinungen, wenn sie sich gegenseitig zuhören, auch die Probleme der anderen verstehen können. Gerade das ist eine Stärke der Kommission, die versucht, die unterschiedlichsten Positionen zusammenzuführen und einen Kompromiss zu finden.

Thema Datensicherheit im Netz: Für viele User ist sie von zentraler Bedeutung. Gleichzeitig wächst die Bereitschaft, persönliche Daten ins Netz zu stellen, etwa in sozialen Netzwerken wie Facebook. Ein Widerspruch?

Es wundert mich schon, wie man auf der einen Seite sehr vorsichtig gegenüber dem Staat ist, der irgendwelche Daten erfassen könnte, und auf der anderen Seite wie selbstverständlich persönliche Daten in sozialen Netzwerken preisgibt. Da sind wir sofort beim Thema Medienkompetenz. Wir müssen es schaffen, dass jeder weiß, was er für Daten ins Netz stellt. Und wenn er das dennoch tun möchte, ist das seine Entscheidung. Wichtig ist, dass den Menschen bewusst ist, was sie da machen, und dass sie auch die Wirkungen kennen.

Was ist mit jenen, die sich dem Internet bewusst oder unbewusst verschließen. Droht ihnen in Zukunft eine Abkopplung von der Gesellschaft?

Das gilt es zu verhindern. Wenn jemand bewusst sagt, ich verzichte auf das Internet, dann ist das seine freie Entscheidung. Aber er muss von der Gesellschaft genauso mitgenommen werden wie jener, der den ganzen Tag im Internet ist. Ganz bestimmt geht es nicht darum, denjenigen, die bisher ohne Computer auskommen, zu sagen, sie müssen jetzt unbedingt einen haben und damit ins Internet gehen.

In der Bundestagsdebatte zur Einsetzung der Kommission sprach ihr Fraktionskollege Michael Kretschmer davon, einen "18. Sachverständigen" gedanklich hinzuzunehmen, den "sachverständigen Bürger". Was heißt das konkret?

Wir haben mit Beginn der Enquete-Kommission einen Online-Auftritt gestartet, bei dem die Möglichkeit besteht, über Foren entsprechende Themen zu diskutieren. Wir laden die interessierte Öffentlichkeit ein, ihre Positionen dort zu vertreten. Der "18. Sachverständige" kann so deutlich machen, welches für ihn sehr wichtige Themen für die Enquete-Kommission sind und welche nicht. Oder auch, welche Erwartungen er an die Kommission hat. Diese Dinge wollen wir sammeln, auf einer Klausurtagung Mitte Mai auswerten und zusammen mit unseren eigenen Vorstellungen vergleichen.

Nun ist es allein keine Qualifikation, viel im Internet zu surfen. Wen meinen Sie also mit "sachverständigem Bürger?

Ein sachverständiger Bürger ist für uns jeder, der sich hinsetzt und uns Informationen über E-Mails, Foren, aber auch über Briefe zukommen lässt. Entscheidend ist, dass es konstruktive Vorschläge sind, die wir aufgreifen können.

Mit der Enquete-Kommission verbindet sich auch die Hoffnung, die Bürger näher an die Politik heranzuführen. Reichen dazu öffentliche Foren?

Wir haben schon darüber nachgedacht, ob man bei den Anhörungen beispielsweise eine sogenannte Twitter-Wall aufbaut, in der von außen kommuniziert werden kann, welche Fragen man an die Sachverständigen hat, oder wo auch Anregungen an die Kommission gegeben werden können, die dann eventuell aufgegriffen werden. Da ist man dann im Prinzip aktuell dabei. Gleichzeitig erhoffen wir uns aber auch einen Wissenstransfer in die andere Richtung. Es gibt sicherlich einige Internetnutzer, die bisher noch nicht so mit dem politischen Diskurs vertraut sind, die im Grunde nicht wirklich wissen, wie Politik eigentlich funktioniert. Mit denen wollen wir auch ins Gespräch kommen.

Wie nicht anders zu erwarten, gibt es auch Kritik an der Enquete-Kommission. So hat die Piratenpartei das Gremium bereits als "Alibi-Veranstaltung" abgekanzelt. Was entgegen Sie dem?

Wenn in zwei Jahren die Ergebnisse vorliegen, werden wir sehen, wer Recht hat.

Das Interview führten Götz Hausding und Claudia Heine.