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Die Paradoxie der Globalisierung

Internationale Politik Eric Hobsbawm kritisiert die unzureichenden nationalen Lösungswege für weltweite Probleme

10.05.2010
2023-08-30T11:25:55.7200Z
4 Min

Wie lässt sich die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf den Begriff bringen? Wie sehen die langen Entwicklungslinien in einer Welt aus, die von Beschleunigung, Brüchen und Widersprüchen geprägt ist? Gefragt sind Weltendeuter, die mit kritischem Verstand Aktuelles einordnen und zukünftige Entwicklungen seismografisch vorhersehen können. Das Rauschen des politischen Diskurses ist heute überall vernehmbar. Experten melden sich zu Wort, ergreifen Position, verteidigen Standpunkte. Doch nicht jeder der spricht, tut dies im Dienst größerer Klarheit. Die Sammlung von Analysen, Reden und Essays von Eric Hobsbawm unter dem Titel "Globalisierung, Demokratie und Terrorismus" setzt einen Orientierungspunkt für den globalen Politikdiskurs.

Die Zusammenstellung der Texte des englischen Sozialhistorikers, die zwischen 2000 und 2006 entstanden sind, gibt kritische Denkanstöße und beabsichtigt, "heiße Luft durch die Zufuhr von Vernunft und gesundem Menschenverstand" abzukühlen. Er versteht seine Abhandlungen keineswegs als Handlungsempfehlung für Politiker, die angesichts einer sich beschleunigenden Globalisierung auf intellektuelle Wegweiser hoffen, um ihr Land sicher in die Zukunft zu führen. Hobsbawm geht es um Klarheit, wo Komplexität und Sichtbehinderung herrschen. Nur wer seinen Standort kennt, kann die nächsten Schritte sinnvoll wählen. In diesem Sinne dient die Aufsatzsammlung der Ortsbestimmung in einer Welt, in der geografische Distanzen immer schneller überwunden werden, aber gleichzeitig neue Spannungen heraufziehen; eine Welt, in der sich vielerorts ein unstillbarer Freiheitswille Bahn bricht, aber gleichzeitig terroristische Gefahren dominieren.

Fehlende Autorität

Das 20. Jahrhundert war gewiss, so wie Eric Hobsbawm eines seiner früheren Bücher überschrieben hat, ein "Zeitalter der Extreme". Der Zivilisationsbruch des Zweiten Weltkrieges gehörte ebenso dazu wie technische Errungenschaften, globale Bedrohungen ebenso wie die wohlfahrtsstaatlich organisierten Segnungen für breite Bevölkerungsteile. Heute sind es vor allem die Kräfte der Globalisierung, die das Gesicht der Welt prägen. Auch das Politische bleibt nicht unberührt und offenbart eine eigentümliche Paradoxie dieses Prozesses. Während Wirtschaft, Kultur und Konsum weltweiten Konvergenztendenzen unterworfen sind, entzieht sich die Politik gleichsam diesem Sog. Die glaubwürdige globale Autorität, um bewaffnete Konflikte im Zaum zu halten, ist nicht in Sicht. Geht es um das Politische, triumphieren noch immer national eingehegte Lösungen über transnationale Arrangements.

Das Ende des Kalten Krieges hat die ideologische Blockkonfrontation beseitigt und gleichzeitig die Unübersichtlichkeit des Neuen verstärkt. Wo das Neue nach Begrifflichkeiten ringt, stehen vielfach noch immer die tradierten Kategorien. Der klassische Territorialstaat verfügte traditionell über das Gewaltmonopol. Doch die multipolare Welt von heute zerfasert an ihren Rändern, lässt stetig mehr Akteure auf die politische Bühne treten und führt zu einer Entgrenzung des Krieges. Nüchtern konstatiert Hobsbawm eine Zunahme kriegerischer Handlungen seit der Epochenwende von 1989 und stuft die Chancen einer friedvollen Welt als eher gering ein.

In seinen Betrachtungen wirft Hobsbawm auch einen kritischen Blick auf die USA. Die Regierung unter George W. Bush ist Vergangenheit, doch ihr Erbe wiegt nach wie vor schwer. Mit nervösen Blicken hat die Washingtoner Administration die beispiellosen Wachstumsraten Chinas zur Kenntnis genommen und die Verschiebung angestammter Wachstumsregionen gen Asien registriert. Hinzu kam der Terror des 11. September, der das Land ins Mark traf. Wo eine rationale Politik der Besonnenheit angebracht gewesen wäre, trumpfte die Bush- Administration mit einer "Rhetorik irrationaler Angst" auf. Die USA unter konservativer Führung standen unerschütterlich unter dem Stern der "Pax Americana". Doch diese imperiale Geste der Weltpolitik, so urteilt Hobsbawm, hat dem Land mehr geschadet als gedient.

Ungeeignete Mechanismen

Und immer wieder geht es Hobsbawm um die Enge des Nationalstaates. Ist er auch noch so wichtig für das Gelingen einer freiheitlich-liberalen Demokratie, so hat der vormals souveräne, hierarchisch integrierte Nationalstaat ein beträchtliches Maß an Durchsetzungskraft und Steuerungsfähigkeit verloren. Die Probleme sind buchstäblich grenzenlos, doch die Demokratien werden ihnen "mit einem Arsenal an politischen Mechanismen begegnen, die erschreckend schlecht dafür geeignet sind."

Hobsbawms Analysen justieren den Blick und zeichnen die großen Entwicklungen unserer Zeit nach. Die Themen erstrecken sich von der Frage nach Krieg und Frieden bis hin zum Phänomen des politischen Nationalismus. Der globale Problemhaushalt ist wahrlich unerschöpflich. Die Welt ist einem hohen Vernetzungsgrad unterworfen und wo Systeme eng verflochten sind, nimmt die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit beständig zu. Die Politik ist am Zug, denn sie ist "der einzige Aspekt der Globalisierung, in dem die Globalisierung nicht funktioniert."

Jeder, der nach Orientierung sucht, sollte zu Eirc Hobsbawms Buch greifen. Hier spricht einer, der die gesamte Komplexität der Weltlage beleuchtet und um eine hellsichtige Bewertung nicht verlegen ist.

Eric Hobsbawm:

Globalisierung, Demokratie und Terrorismus.

Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009; 176 S., 14,90 €