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Im Sandwich

ROHSTOFFMONOPOLE Die Stahlindustrie kritisiert die Erzlieferanten - und fordert Hilfe von der Politik

07.06.2010
2023-08-30T11:25:58.7200Z
4 Min

Die Sandwich-Position ist keine besondere Kreation der Fastfood-Branche. Die Stahlindustrie nutzt den Begriff vielmehr, um ihre Lage möglichst plastisch zu beschreiben. Eingekeilt zwischen mächtigen Rohstofflieferanten auf der einen und starken Kunden auf der anderen Seite fühlen sich die Stahlkocher wie das Würstchen zwischen den Brötchenhälften. Drei Erzlieferanten bringen es im globalen Geschäft auf Marktanteile von 70 Prozent und bestimmen die Geschäftspraktiken nahezu nach Belieben. Auf der anderen Seite gibt es auch nur ein halbes Dutzend Autokonzerne, mit denen im geschäftlichen Umgang nicht zu spaßen ist.

Trotz dieser ungemütlichen Lage sonnten sich die Stahlhütten lange Jahre in einem Branchenboom und verdienten gutes Geld. Doch dann brach die Nachfrage wie in allen Industriezweigen ab Herbst 2008 ein. Auch wenn in Deutschland inzwischen fünf der sechs stillgelegten Hochöfen wieder angefahren worden sind, gilt die Krise noch nicht als überwunden. Und plötzlich besinnen sich die Erzlieferanten ihrer Stärke, drehen kräftig an der Preisschraube und zwingen dem Markt neue Usancen auf. Um annähernd 100 Prozent haben die Rohstoffkonzerne die Preise im Frühjahr heraufgesetzt und statt Jahreskontrakte, wie in den vergangenen 40 Jahren üblich, gibt es bei den Marktführern Vale, Rio Tinto und BHP künftig nur noch Lieferungen auf Quartalsbasis.

Die drastische Teuerung von Erz und Kohle schlägt sich nach Angaben der deutschen Wirtschaftsvereinigung Stahl mit Mehrkosten von jährlich über 3 Milliarden Euro auf die Unternehmen in Deutschland nieder. Durchgerechnet auf die Tonne Stahl ergeben sich nach Angaben der Stahlhütten damit Preiserhöhungen von 20 bis 30 Prozent.

Arbeitsplätze gefährdet

Eine so drastische Verteuerung des Stahls würde wegen der Schlüsselfunktion des Basiswerkstoffs mehr als ein Drittel der Industrieumsätze in Deutschland direkt oder indirekt betreffen und damit jeden dritten Industriearbeitsplatz, schätzt Jost Massenberg, der Stahl-Vertriebsvorstand des Branchenprimus ThyssenKrupp Steel Europe. Große Kunden der Stahlbranche sind neben der Auto- und Bauindustrie, der Maschinenbau sowie die Elektrotechnik.

Nachdem ThyssenKrupp sich schon vor etlichen Jahren von seiner Erzmine getrennt hat, ist der Konzern wie auch die übrigen deutschen Stahlunternehmen zu 100 Prozent von Einfuhren abhängig. Grundsätzlich halten Industrieunternehmen ihre Rohstoffversorgung für eine ureigene Aufgabe. Allerdings müssen Wettbewerbsregeln im internationalen Geschäft eingehalten werden. Und ob das wirklich funktioniert, zweifelt die Stahlbranche an. Der europäische Stahlverband Eurofer und der Weltstahlverband vermuten vielmehr verbotene Preisabsprachen der Rohstoffkonzerne und fordern eine Untersuchung durch Wettbewerbshüter. Die Entwicklung zeige, dass es keinen freien Wettbewerb gebe und die Erzlieferanten ihre Marktmacht missbrauchten, sagt Ian Christmas, der Generalsekretär des Weltstahlverbands in Brüssel.

Allein in Deutschland sieht der ThyssenKrupp-Betriebsrat zehntausende von Arbeitsplätzen in Gefahr. In einem "Duisburger Appell" forderte er Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Präsidenten der Europäischen Kommission José Manuel Barroso auf, sich für faire Wettbewerbsregeln und ein konsequentes Vorgehen gegen Rohstoffkartelle einzusetzen. Mit Duisburg liegt der mit weitem Abstand größte deutsche Stahlstandort in Nordrhein-Westfalen. Das Land mahnt deswegen schon lange in Berlin ein "nationales Rohstoffkonzept" an. Die Bundestagsfraktion der Linken wollte von der Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage wissen, mit welchen Maßnahmen und Initiativen die Regierung auf die Preissprünge bei Eisenerzen reagieren und auf internationaler Ebene ergreifen wolle (17/1659). Auch wird von der Fraktion eine Stellungnahme der Regierung zu der französischen Forderung nach einer verstärkten Regulation von Rohstoff-Börsen und Rohstoff-Derivaten erfragt. Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie berichtete sie bereits Ende April von den erheblichen Belastungen der Stahlhütten. Katherina Reiche (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, schlug eine Rohstoffagentur nach dem Muster der halbstaatlichen Energieagentur Dena vor.

Stahlkonzerne und andere Wirtschaftszweige mit hohem Energiebedarf sorgen sich nicht nur um die Entwicklung der Rohstoffpreise, sondern auch um die Brennstoffkosten. Ohne freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten und bei der Zunahme der Belastungen durch Netzkosten und Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz könnten sich die Energiekosten im negativen Fall nach 2013 "quasi verdoppeln", sagt Peter Willbrandt, Vorstandsmitglied der Aurubis AG, Europas größtem Kupferproduzenten. Das wäre das "Aus" für die Erzeugung in Europa.

Unterdessen versucht die Stahlindustrie sich vom Schmuddelimage als großer CO2-Emittent reinzuwaschen. Sie stützt sich auf eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting. Die Stahlerzeugung in Deutschland verursacht danach einschließlich der Rohstoffgewinnung CO2-Emissionen von etwa 67 Millionen Tonnen im Jahr. Diese könnten aber durch die Verwendung von innovativen Stählen in der Kraft- werkstechnik oder in Fahrzeugen mehr als kompensiert werden.

Die Verfasser der Studie errechneten Einsparmöglichkeiten von 74 Millionen Tonnen. Ein Drittel des von der Bundesregierung anvisierten Ziels einer Minderung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent lasse sich damit allein durch den Einsatz modernen Stahls realisieren.