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Kein Feldherrenhügel

Bundestag Die Bundeswehr unterliegt der parlamentarischen Kontrolle - das birgt manche Probleme

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
6 Min

Nein, auf einem parlamentarischen Feldherrenhügel stehe man nicht. So betonen es die Bundestagsabgeordneten quer durch alle Fraktionen. Und dennoch: Den 622 Parlamentariern kommt im wahrsten Sinne des Wortes die entscheidende Rolle bei der Entsendung deutscher Soldaten in bewaffnete Auslandseinsätze zu. Zwar formuliert die Bundesregierung den Antrag darüber, wie viele Soldaten wann, wo und mit welchem Auftrag eingesetzt werden sollen, aber die letzte Entscheidung darüber liegt beim Parlament. Diesen Grundsatz legte das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten "Out-of-Area"-Urteil vom 12. Juli 1994 fest, so wurde es seitdem praktiziert und schließlich zehn Jahre später im Parlamentsbeteiligungsgesetz fixiert.

Die Bundeswehr, sie gilt als Parlamentsarmee. Sie unterliegt den Beschlüssen und der Kontrolle durch die Volksvertretung. Doch die parlamentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte stoßen in der politischen Praxis auch an ihre Grenzen. Das militärische Engagement Deutschlands in Afghanistan hat dies in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt.

Den ersten Schritt hinein nach Afghanistan setzte die Bundeswehr mit der Entsendung des Kommandos Spezialkräfte im Rahmen der Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" (OEF) nach den verheerenden Anschlägen des 11. Septembers.

»Erpressung«

Der Anti-Terror-Einsatz war bei etlichen Abgeordneten der SPD und Bündnis 90/Die Grünen höchst umstritten. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ergriff in der phasenweise sehr hitzigen Diskussion die Flucht nach vorne und verknüpfte den Mandatsantrag mit der Vertrauensfrage. Ein bis dahin einmaliger Vorgang. Noch nie hatte ein Kanzler eine inhaltliche Frage mit der Vertrauensfrage verknüpft - schon gar bei der Entscheidung über einen Kampfeinsatz der Streitkräfte. Bislang galt Das Wort "Erpressung" machte die Runde.

Nötig wäre dies eigentlich nicht gewesen, da die Mehrheit im Bundestag für den Einsatz in jedem Fall gesichert gewesen wäre. Die Oppositionsfraktionen CDU/CSU und FDP hätten dem Mandat zugestimmt. Doch indem Schröder die Vertrauensfrage mit dem Einsatz verband, trieb er Union und FDP in das Lager der ungewollten Nein-Sager. Das Vertrauen wollten sie Schröder nun nicht gleichzeitig aussprechen. Ganz unschuldig war die Opposition an der Situation allerdings nicht. Denn sie hatten angekündigt, genau hinzusehen, ob Schröder eine eigene parlamentarische Mehrheit würde organisieren können. Er konnte. Eine Sternstunde für das Parlament war dies nicht.

Wie schwer sich die Politik bei der Verabschiedung der ersten Mandate tat, weiß der ehemalige Parlamentarier Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen). Seine Abgeordnetenzeit begann 1994 zeitgleich mit dem "Out-of-Area"-Urteil und bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag konnte er die schnell wachsende Zahl an Auslandsmissionen parlamentarisch begleiten. "Die politischen Diskussionen über Auslandseinsätze kreisten lange Zeit in erster Linie um deren Rechtfertigung. Erst seit einigen Jahren wird verstärkt auch nach ihrer Wirksamkeit gefragt", schreibt er in einem Beitrag für eine Publikation des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes über die "Auslandseinsätze der Bundeswehr". Und er fügt mahnend hinzu: "Junge Soldaten, die jeden Tag in Kundus und anderswo Leib und Leben riskieren, fragen am eindringlichsten danach."

Neben den Beratungen und den Unterrichtungen durch die Regierung in den Ausschüssen - vor allem im Auswärtigen und im Verteidigungsauschuss - , den Debatten und Abstimmungen im Plenum über die Einsätze , steht den Abgeordneten ein umfangreiches Instrumentarium zur Wahrung ihrer parlamentarischen Kontroll- und Mitwirkungsrechte zur Verfügung. Etwa durch die Fragestunden im Bundestag, in denen die Regierung Rede und Antwort stehen muss, oder durch Kleine und Große Anfragen. Hinzu kommen ihre Reisen in die Einsatzgebiete der Bundeswehr, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu verschaffen.

Kleine Anfragen

Besonders die Kleinen Anfragen erfreuen sich bei den Oppositionsfraktionen großer Beliebtheit, wenn es darum geht, dem Verteidigungsministerium auf den Zahn zu fühlen in Sachen Bundeswehr. Gerade zum Einsatz in Afghanistan finden sich in der Datenbanken des Bundestages unzählige Anfragen und Antworten. Mal möchten Abgeordnete wissen, wieviele Personen vom deutschen Isaf-Kontigent in einem bestimmten Zeitraum in Gewahrsam genommen wurden, ein anderes Mal erkundigen sie sich nach der medizinischen Versorgung der Soldaten am Hindukusch.

Die Wissbegierde mancher Parlamentarier produziert zuweilen Kuriositäten. Etwa wenn Auskunft darüber verlangt wird, wie hoch der Kohlendioxid-Austoß der in Afghanistan stationierten Tornado-Aufklärungsjets ist.

Bei der Bundeswehr selbst stößt so viel Neugier allerdings nicht immer auf Gegenliebe, wie der sogenannte Kurnaz-Untersuchungsauschuss zeigen sollte. Über zwei Jahre lang - von Oktober 2006 bis September 2008 - untersuchte der Ausschuss, ob Murat Kurnaz während seiner Inhaftierung in einem US-Gefangenenlager im afghanischen Kandar von Angehröigen des Kommandos Spezialkräfte misshandelt worden war. Die Abgeordneten wühlten sich durch 45 Aktenordner mit rund 23.000 Seiten als geheim eingestuftem Beweismaterial und weiteren 20.400 Seiten nicht-geheimer Dekumente. Zudem wurden 49 Zeugen, unter ihnen die KSK-Soldaten, vernommen.

»Verdeckte Ablehnung«

Doch die Angehörigen der Elite-Truppe zeigten sich mitunter wenig auskunftsfreudig. Dies kritiserten die Ausschussmitglieder der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion im Abschlussbericht dann auch mit deutlichen Worten: Den Soldaten sei "eine wenig verdeckte Ablehnunng und ein Unverständnis über die Einmischung des Parlaments in die Angelegenheiten des KSK anzumerken" gewesen. Es bestehe "Nachholbedarf bei der Vermittlung des Begriffs ,Parlamentsarmee' und der Rolle, die der Deutsche Bundestag in Bezug auf die Streitkräfte bei den Angehörigen des Kommandos Spezialkräfte einnimmt." Dieser Einschätzung schlossen sich auch die Abgeordneten der FDP, der Linken und der Grünen in ihren Minderheitenvoten an.

Allerdings musste der Ausschuss einräumen, dass jede parlamentarische Kontrolle auch ein Ende hat: "Unumstritten ist und war während des gesamten Untersuchungszeitraums", so führte der Ausschuss-Vorsitzende Karl Lamers (CDU) aus, "dass es zwei unantastbare Kernbereiche gibt, für die ein absolutes Geheimhaltungsbedürfnis gilt. Das sind zum einen der Identitätsschutz der KSK-Angehörigen und zum anderen laufende militärische Operationen des KSK, die nicht gefährdet werden dürfen." Es sei deshalb zu klären, wie das berechtigte Geheimhaltungsinteresse mit dem Informationsanspruch des Bundestages in Einklang zu bringen sei.

Die FDP-Fraktion glaubte bereits die Lösung des Problems zu kennen und forderten die Einrichtung eines Ausschusses für besondere Auslandandseinsätze der Bundeswehr. Durchsetzen konnten sich die Liberalen mit ihrem Vorschlag, den sie seit 2002 bereits wiederholt in die parlamentarische Beratung eingebracht hatten, bis heute jedoch nicht.

In der Praxis werden nur die Obleute im Verteidigungsausschuss über die geheimen Operationen der Bundeswehr durch die Regierung informiert. Es liegt dann an ihnen, diese Informationen gegenüber ihren Fraktionsvorsitzenden und Kollegen "verantwortungsvoll" zu kommunizieren, wie der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold im Interview mit "Das Parlament" erläutert. Allerdings, so kritisiert er zugleich, wünsche er sich generell mehr Auskunftsbereitschaft auf Seiten der Regierung über die Einsätze des Kommados Spezialkräfte. Er räumt aber ein, dass dies "ein schmaler Grat sei".

Es ist aber nicht immer die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium, die dem Informationsbefürfnis der Abgeordneten im Wege stehen. Nicht selten blockieren sich die Fraktionen und Parlamentarier gegenseitig. Bestes Beispiel dafür ist der aktuelle Kundus-Untersuchungsausschuss. Dieser soll die Umstände des Luftangriffs am 4. September auf zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tanklastzüge in Kundus klären. Der Angriff zweier amerikanischer Kampfjets, bei dem fast hundert Menschen - darunter etliche Zivilisten - getötet worden waren, hatte der deutsche Oberst Georg Klein angefordert. Zudem soll der Ausschuss die Darstellung des Angriffs gegenüber der Öffentlichkeit durch den ehemaligen Verteidgungsminister Franz Josef Jung (CDU) und seinen Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg unter die Lupe nehmen.

Ursprünglich hatten die Fraktionen vereinbart, zumindest die Zeugen aus der Politik öffentlich zu vernehmen. Zum Teil war dies auch geschehen. Doch kurz vor der Sommerpause machten die Koalitionsfraktionen den öfffentlichen Anhörungen mit ihrer Mehrheit im Ausschuss ein Ende.

»Inszenierung und Spektakel«

Ebenso verhinderten sie eine Gegenüberstellung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und Ex-Staatssekretär Peter Wiechert. Guttenberg hatte Schneiderhan und Wiechert mit dem Vorwurf entlassen, sie hätten ihn nicht korrekt über den Luftangriff informiert. Beide bestreiten dies.

Und so werfen SPD, Grüne und Linke den Koalitionsfraktionen nun vor, sie wollten offensichtlich etwas vertuschen. Die halten dagegen, die Opposition wolle den Untersuchungsausschuss für "Inszenierungen" und "Spektakel" missbrauchen.

Der Bürger darf sich ausssuchen, welcher der beiden Lesarten er sich anschließen möchte. Vielleicht fühlt er sich aber an jene Weisheit des ehemaligen grünen Außenmnisters Joschka Fischer erinnert: "Ein Untersuchungsausschuss ist erstens ein Kampfinstrument, zweitens ein Kampfinstrument und drittens ein Kampfinstrument."