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»Das könnte böse enden«

ISAF-Einsatz Einst galt der Norden Afghanistans als verleichsweise sicher. Doch das hat sich längst geändert. Der Einsatz der deutschen Soldaten und…

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
6 Min

Kaum haben wir die befestigte Straße verlassen, ist der Dingo vor uns - keine zehn Meter entfernt - nicht mehr zu sehen. Afghanistan, speziell im Norden, ein graues Stück Land am Hindukusch, hat uns, hat die ganze Kolonne, in eine riesige Staubwolke gehüllt. Wir sehen nichts mehr. Wir werden aber gesehen, wahrscheinlich sogar - als kriechende Staubwolke inmitten einer flachen Landschaft - aufs Sorgfältigste beobachtet. Staub als heimlicher Verbündeter der Taliban, der Aufständischen: Er quillt unter jedem Reifen hervor; er legt sich auf alles, auf Mensch und Gemüt, auf Tiere und Technik; er verstopft Bronchien, Nasen und Vergaser. Er ist der große, graue, hässliche Gleichmacher und doch parteiisch: Er enthüllt die Operationen der deutschen Isaf-truppe, stülpt sich aber als Tarnkappe über die heimlichen Bewegungen der Taliban.

Die Fahrzeuge rumpeln durch tiefe Schluchten. Im Wageninneren herrscht eine höllische Enge. Die 18 Kilogramm schwere Sicherheitsweste, die jeder trägt, lässt allenfalls die Beweglichkeit einer Litfaßsäule zu. Die behelmten Köpfe - mal schlagen sie gegen die Scheibe, mal fliegen sie an die Decke. Ein Gespräch ist unmöglich, die Gedanken aber sind frei: "Was ist, wenn der Feind jetzt von oben kommt?"

Maik, der Bundeswehrsoldat auf dem Beifahrersitz, das Gewehr zwischen den Knien, räumt ein: "Feinde von oben - jetzt - das könnte böse enden." Um dann zu relativieren: "Hier, in der Umgebung von Masar-i-Sharif, erwarten wir keine feindlichen Handlungen. Taliban wären uns gemeldet worden." Das war im Februar dieses Jahres. Ein halbes Jahr später - heute - gilt das nicht mehr.

Gefährliche Routine

Wieder draußen: Diesmal kontrollieren wir rund 30 Kilometer vor Masar-i-Sharif eine von Deutschen angelegte Polizeistation an der sogenannten "Kerbe" - einem Engpass, der bislang als Geheimpfad für Konterbande berüchtigt war. Wir sind aus unserem Fuchs-Schützenpanzer gekrochen und marschieren in Formation auf die Station zu. Der Bundespolizist neben mir - er geht mit den Isaf-Soldaten zusammen auf Patrouille - erlaubt sich angesichts des überraschend schönen Wetters einen Kurzausflug ins Lyrische. Er schwärmt von der milden Luft, der Reinheit der klaren Bergkonturen, um sich beim Auftauchen eines Toyota Coralla sofort wieder an die Kandare zu nehmen. "Ich muss aufpassen", warnt er sich selber, "dass ich nicht der Routine verfalle."

Routine als fahrlässige Einladung zur tödlichen Selbstgefährdung hat keinen guten Klang in dem Land, das als unberechenbar gilt. Hier gilt es vielmehr, auf jeden Schritt zu achten. Gleichzeitig muss das Gelände auf etwaige Heckenschützen im Auge behalten werden - wie auch der sich nähernde Toyota Corolla. Gerade diese Marke flöge besonders gern in die Luft, sei extrem beliebt bei Selbstmordattentätern. "Gefahr allerdings nur, wenn nur eine Person drin sitzt", heißt es.

Unsere Blicke kleben an dem weißen Toyota, der sich uns nähert. Aufatmen, als wir erkennen, dass der Wagen von einer ganzen Familie bevölkert wird. Entwarnung - überhaupt, wie wir später resümieren, für den Rest des siebenstündigen "Ausflugs".

Alles reine Routine: Die schnellen Fluchten aus Angst vor Heckenschützen durch die trostlos Mimikry-farbigen Dörfer, die wütenden Blicke ihrer Bewohner, weil wir sie und ihre Märkte nachhaltig einstauben, sogar die Apfelsinen ihrer Farbe berauben. Routine auch die Kommandos von Wagen zu Wagen. "Achtung, am Straßenrand vor uns rechts ein Kind mit Maschinenpistole; Entwarnung: ein Kinderspielzeug." Routine das auf Lücke Fahren, um auf Fernstraßen das Eindringen fremder, unbekannter Fahrzeuge in unseren Konvoi zu verhindern, der schäumende Zorn der Pkw-Fahrer darüber, die uns ohne Unterlass überholen wollen, bedrängen, hupen, die Fäuste recken. Routine die Gespräche mit den Dorfältesten, deren Auskunftsfreudigkeit sich der Sprachlosigkeit nähert, sobald irgendwo ein rotes Motorrad zu sehen ist: das beliebteste Fahrzeug der Taliban-Kuriere. Routine also auch, ohne die Gefahr zu missachten, als wir auf die Polizisten zugehen, die uns freundlich entgegenkommen, die Hand schon zum Gruß ausgestreckt. Kurze Besichtigung, kurze Unterhaltung - keine besonderen Vorkommnisse: Abfahrt.

Zehn Tage später dann das Blutbad. Wieder scheint alles auf bloße Routine hinauszulaufen. Wieder geht die Patrouille, diesmal eine schwedische, auf eine der vielen neuen Polizeistationen zu; wieder kommt ihnen die afghanische Mannschaft freundlich, die Hände zum Gruß ausgestreckt, entgegen. Bis einer der Polizisten plötzlich seine Waffe zieht und ohne Vorwarnung zwei der schwedischen Soldaten erschießt und noch im Fallen, selber schon tödlich getroffen, den einheimischen Dolmetscher mit in den Tod nimmt.

Die Ehrentafel im Lager von Masar-i-Sharif wird bei einer Trauerzeremonie um drei neue Namen verlängert. Inzwischen sind längst weitere hinzugekommen.

Masar-i-Sharif galt als moderat. Im Jargon der Soldaten von Kundus war es der "Tanzpalast". Tatsächlich gab es bis zur Ankunft der Amerikaner Ende Februar im Lager eine Disco. Sie wurde dann als Unterkunft für die Bündnisgenossen zweckentfremdet. Tatsächlich konnte man bis dahin auch tanzen. Doch bei einem Verhältnis von Mann zu Frau von 10:1 - wenn nicht schlimmer - war das eine mäßige Attraktion; der Rest kaum weniger bei maximal zwei Bier pro Abend und Person. Sehnsüchtige Gedanken kamen allenfalls am Ende beim Gassenhauer von Lili Marleen auf, wenn sie "Unter die Laterne" lockte, in Wahrheit aber nur Punkt 22.30 Uhr zum Zapfenstreich rief.

Verleugnet in der Ferne

Inzwischen ist Masar-i-Sharif wie Kundus ins Visier der Taliban geraten. Seit dem Karfreitag-Tod der drei deutschen Soldaten und der vier weiteren Gefallenen knapp 14 Tage später besteht selbst in Deutschland kein Zweifel mehr über die schonungslose Art, mit der am Hindukusch Krieg geführt wird. Das wussten die Männer und Frauen vor Ort dank eines mulmigen Gefühls seit langem. Dazu gesellte sich - damals im Februar - noch ausgesprochen deutlich der Frust über den in Deutschland offenbar vergessenen, mindestens aber missachteten Krieg. Sie empfanden sich als ausgegrenzt, die deutschen Soldaten, die doch am Hindukusch die Freiheit ihrer Heimat verteidigen sollten. "Sich hier in der Ferne wie verleugnet zu fühlen", sei kein besonderer Motivationsschub, äußerte sich ein Unteroffizier sarkastisch.

Kundus galt immer schon als Fort in Feindesland, martialisch wirkend mit seinen Schlagbäumen, Zäunen, Sandsäcken und Tausenden von "Hescos", große zylindrische Schanzkörbe. Die Kirche, von Dutzenden dieser Eintonner eingemauert - wie eine Gottesburg. Der Flugplatz - uneinsehbar, die Kantine - unter Schutzwällen kaum zu erkennen; das Feldlazarett - ein Versteck. Die Gesichter der Soldaten ernst, gesammelt, in sich gekehrt. Kaum eine Patrouille ohne Feindberührung. Deswegen eine Menge schlafloser Nächte davor. "Viele Soldaten haben früher als hehrste Tat eine alte Frau in Kassel über die Straße geführt; jetzt mussten sie vor der Reise ins Kampfgebiet ihr Testament schreiben - mit 25", siniert der Militärseelsorger von Kundus.

Die Albträume der Nacht, das weiß auch der Pastor, weichen in aller Regel morgens der Solidarität der Kameraden untereinander, wenn sie sich am Einsatzfahrzeug treffen. An Mut fehlt es den jungen Soldaten nicht. Sie reden nur nicht darüber. Aber sie wissen, worüber sie nicht reden - gut abzulesen an der kameradschaftlichen Behandlung ihrer afghanischen Helfer, vor allem der Dolmetscher. Diese sind in ihren Augen irgendwo alle Helden. In den Augen der Taliban dagegen Verräter. Wie die Dorfältesten, die sich mit den Isaf-Soldaten abgeben, führen sie ein maximal gefährdetes Leben ohne große Hoffnung auf unproblematische Rückkehr in ihre Heimat, in der auch ihre Familien gefährdet sind. Sippenhaft ist für die Taliban ein probates Mittel für Erpressung oder Mord. Afghanistan ist kein Land, das mit der Brille der Aufklärung betrachtet werden kann.