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Raus aus dem Schattendasein

TRAUMATISIERT Immer mehr Soldaten kommen krank aus dem Ausland zurück - und müssen um Anerkennung kämpfen

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
5 Min

Camp Doha in Kuwait im März 2003: Der Stützpunkt dient den Amerikanern als Operationszentrale für ihren Einmarsch in den Irak. Vor Ort ist auch eine ABC-Abwehr-Einheit der Bundeswehr. Die Soldaten müssen schwere Atemmasken und Schutzanzüge tragen, weil sie befürchten, Ziel von chemischen oder biologischen Angriffen der Iraker zu werden. Raketen schlagen in der Nähe des Lagers ein.

Unter den Soldaten ist auch der 26-jährige Stabsunteroffizier Christian Bernhardt. Der Einsatz in der arabischen Wüste verändert für den Zeitsoldaten alles. Kaum heimgekehrt, plagen ihn Albträume. Er schreckt bei jedem Geräusch zusammen. Wenn Flugzeuge nachts tiefer über das Wohnhaus hinweg fliegen, wankt er im Schlaf ans Fenster und starrt in den Himmel. Das berichtet ihm seine Freundin am Morgen, er selbst bemerkt davon nichts. Nur, dass er am nächsten Tag völlig gerädert ist.

Erst später diagnostizieren Ärzte bei Bernhardt ein Posttraumatisches Belastungssyndrom, kurz PTBS. Unter dieser seelischen Erkrankung leiden Menschen, die extreme Belastungen erleben mussten - Soldaten wie Bernhardt, aber auch Polizisten, Feuerwehrleute, Bankangestellte, Unfall- und Gewaltopfer.

Bei der Bundeswehr ist Bernhardt kein Einzelfall. Seit diese viel häufiger im Ausland operiert, kehren immer mehr Soldaten traumatisiert aus den Einsätzen zurück. Der Leiter des Psychotraumazentrums am Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, Oberstarzt Peter Zimmermann, bestätigt das. Er berichtet von 245 Fällen im Jahr 2008, 466 im Jahr 2009. Bis Ende 2010 rechnet Zimmermann sogar mit mehr als 600 Betroffenen. Viele erkrankten nach ihrem Einsatz in Afghanistan. Etwa zehn Prozent seien Frauen.

Vielfältige Ursachen

Die steigende Zahl traumatisierter Soldaten hat in der Truppe zu einem offeneren Umgang mit der Krankheit geführt. Zimmermann wertet dies als positive Entwicklung: "Jeder Vorgesetzte weiß heute, dass er der nächste sein kann. Die Traumatisierung ist nicht vom Dienstgrad abhängig, sie kann jeden treffen."

Die Gründe, warum das Trauma ausbricht, sind vielfältig. Viele haben Anschläge überlebt, sind schwer verwundet worden oder haben den Tod von Kameraden mitansehen müssen. Manchmal reagiert die Seele erst Monate oder sogar Jahre später auf das Erlebte, die Soldaten sind dann oft schon lange aus dem Ausland zurück. Banale Dinge können das Trauma auslösen: der Anblick einer Fleischtheke, der Knall einer Sylvesterrakete, das schrille Läuten einer Klingel, der Geruch warmen Bluts. Mediziner sprechen von "Traum-Triggern". Das sind Ereignisse, die den Traumatisierten emotional an ein furchtbares Erlebnis erinnern und die Bilderflut von Neuem freisetzen können. Der Körper reagiert mit Albträumen, Schweißausbrüchen, Atemnot, Herzrasen.

Viele Traumastörungen heilen in wenigen Monaten. Wenn Familie, Freundeskreis und Kameraden den Soldaten unterstützen, könne das einen schnellen Heilungsprozess fördern, sagt Zimmermann. Die schweren Fälle von PTBS müssen hingegen in den Bundeswehrkrankenhäusern Berlin, Hamburg, Köln, Koblenz und Ulm stationär behandelt werden.

Psychologen und Psychiater beraten die Soldaten auch schon im Einsatzgebiet und in den Heimatstandorten. Allerdings werden die Ärzte dort zunehmend knapp, wie auch der damalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), in seinem Jahresbericht 2009 kritisierte. Von den 38 Planstellen seien nur 23 besetzt, bemängelte er. Und auch Hauptfeldwebel Frank Eggen beklagt: "Wir erhalten immer wieder Anfragen wegen fehlender Fachkräfte. Auch Psychologen vor Ort fehlen, wenn die akute Therapie nach sechs bis acht Wochen in den Bundeswehrkrankenhäusern beendet ist." Oberstabsarzt Zimmermann differenziert jedoch: In den Bundeswehrkrankenhäusern sei die Versorgung ausreichend, meint er. Unzureichend sei sie allerdings, wie im zivilen Bereich auch, in den ländlichen Gebieten.

Das Psychotraumazentrum im Bundeswehrkrankenhaus in Berlin, das Zimmermann leitet, versorgt inzwischen regelmäßig sechs bis zehn Patienten, im Jahr werden ingesamt rund 100 Betroffene behandelt. Ende Mai dieses Jahres weihte es Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) feierlich ein. Er habe mit seinem Besuch ein Zeichen setzen wollen, betonte er, um die Soldaten mit PTBS aus ihrem "Schattendasein" zu holen.

In der Therapie können die Soldaten ihre traumatischen Erlebnisse aufarbeiten. Sie sollen nicht mehr unkontrolliert auftreten, erklärt Zimmermann. Es gehe dabei nicht in erster Linie darum, die Soldaten für einen erneuten Auslandseinsatz zu befähigen, sagt Zimmermann. Doch er sagt auch:"Viele Soldaten, die wir hier haben, sind Zeit- und Berufssoldaten. Zu ihrem Berufsbild und zu ihrem Selbstverständnis gehört der Auslandseinsatz."

Die Therapie zeigt häufig gute Ergebnisse: Nach Angaben des Presse- und Informationszentrums des Sanitätsdienstes in München sind die Traumatherapien in etwa 80 Prozent der Fälle erfolgreich. Doch angesichts der steigenden Zahl der PTBS-Betroffenen ist sich Zimmermann bewusst: "Wir müssen unsere Konzepte verändern." So werden Patienten inzwischen auch außerhalb ihrer Einzeltherapien mit anderen Betroffenen in Gruppen zusammengeführt.

Um die Methoden weiter zu verbessern, ist das Berliner Zentrum nicht nur Klinik, sondern auch Forschungszentrum. In Studien wollen die Ärzte mehr über PTBS erfahren, um Soldaten künftig besser vor einer seelischen Verletzung schützen zu können. "Im Moment läuft in den Einheiten der Bundeswehr eine Feldstudie", berichtet Zimmermann. "Einsatzerfahrene Soldaten werden befragt, um psychische Störungen zu erkunden." Die Amerikaner, erzählt er, hätten zudem ein Programm entwickelt, das sich "battle mind" nennt und Grundkompetenzen im Umgang mit Stress vermittle: "Die Bundeswehr hat jetzt ähnliche Kurzprogramme, die aber noch nicht erforscht sind. Wir haben vor, bei sehr belasteten Einheiten längere Programme durchzuführen, die gezielt die Psyche stärken."

Zäher Kampf

Zeitsoldat Christian Bernhardt ist 2004 fristgemäß aus der Bundeswehr ausgeschieden. Er begann wieder zu arbeiten, als Rettungssanitäter bei der Berufsfeuerwehr. Doch dann kamen die Panik attacken und er musste seinen Beruf an den Nagel hängen. Zur Sorge um seine Gesundheit kam auch die Angst, dass seine Erkrankung nicht als Berufskrankheit anerkannt werden könnte. Für den 33-Jährigen ein "Kampf nach dem Kampf". Erst mit Unterstützung der Initiative Deutsche Kriegsopfer-Fürsorge unter der Leitung von Oberstleutnant a.D. Andreas Timmermann-Levanas, der selbst nach Auslandseinsätzen an PTBS erkrankte, gelang ihm in diesem Jahr endlich die Anerkennung.

Bernhardts zäher Kampf ist für Timmermann-Levanas ein untragbarer Zustand. In seinem neuen Buch "Die reden - wir sterben" beschreibt er, wie viele PTBS-Betroffene bisher unversorgt bleiben - zum Teil über viele Jahre. Besonders kritisiert er die Stichtagsregelung im Einsatzweiterverwendungsgesetz, nach der verwundete Soldaten nur dann Anspruch auf Versorgung oder Weiterverwendung haben, wenn sie nach dem 1. Dezember 2002 geschädigt wurden. Für Timmermann-Levanas ist klar: "Das Gesetz muss für alle Soldaten gleichermaßen gelten und nicht nur für diejenigen, die nach 2003 im Auslandseinsatz waren."

Als "beschämend" bezeichnet auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, die derzeitige Gesetzeslage. Und sein Kollege Tom Koenigs (Bündnis 90/ Die Grünen), der zwei Jahre lang als Sonderbeauftragter die UN-Mission in Afghanistan geleitet hat, fordert: "Die Gesetze müssen so verändert werden, dass den Betroffenen so gut wie möglich geholfen werden kann."

Erste Initiativen sind schon auf dem Weg: Im Juni haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag (17/2433) im Bundestag eingebracht. "Die Initiative umfasst entscheidende Verbesserungen im Bereich der Einsatzversorgung. Eine davon ist die Aufhebung des genannten Stichtags", erklärt der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Ernst-Reinhard Beck.

Bernhardt, einst leidenschaftlicher Soldat, ist heute berufsunfähig. Nach seinem jahrelangen Kampf ist er schlecht auf den Staat zu sprechen: "Ich würde am liebsten auswandern", sagt er.

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Berlin.