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Die Modelle der Zukunft

VERTEIDIGUNGSETAT Die Bundeswehr muss sparen. Wo, darüber wird gestritten - auch in der Koalition

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
5 Min

Die Bundesregierung muss bis 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Dazu hat sie sich durch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse verpflichtet. Davon kann auch der Haushalt der Bundeswehr nicht ausgenommen werden. Die deutschen Streitkräfte müssen deshalb in einem bisher noch nie dagewesenen Umfang sparen. Gleichzeitig soll eine Reform die schwerfälligen Strukturen der Bundeswehr verändern und an die Erfordernisse einer modernen, zeitgemäßen Armee anpassen. Ein Vorhaben, das der Quadratur des Kreises gleicht und etlichen politischen Zündstoff in sich birgt.

"Was brauchen wir mindestens an Personal, mindestens an Ausrüstung, mindestens an Infrastruktur und mindestens an Mitteln, um eine entsprechend moderne, leistungsstarke, flexible, aber auch attraktive Armee der Zukunft gestalten zu können?", fragte Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in einer Grundsatzrede Ende Juni noch vorsichtig vor dem sogenannten Parlament der Wehrpflichtigen, einem Gremium des Deutschen Bundeswehrverbandes. Und tastend fuhr er fort, es gelte zu ermitteln, was mindestens zu leisten sei, um bündnisfähig zu sein, um die Bindekräfte zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften aufrechtzuerhalten, damit die Bundeswehr am Ende nicht "verhungert".

Doch wo der Minister noch um Zurückhaltung über die Zukunft der deutschen Streitkräfte rang, hatten bereits zu Monatsbeginn die Haushälter des Bundestages aber auch die Bundesregierung selbst bereits Nägel mit Köpfen gemacht: Zwar hatten die Parlamentarier den Haushaltsplan des Verteidigungsministers für 2011 noch einmal auf rund 32 Milliarden Euro ansteigen lassen. Doch in den folgenden Jahren soll der Etat Guttenbergs deutlich absinken - mit Einsparungen in Höhe von 8,4 Mrd. Euro bis 2014. Darüber hinaus wird die Bundeswehr in jedem Fall um bis zu 40.000 Zeit- und Berufssoldaten reduziert und die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzt, hatte das Bundeskabinett in seiner Sparklausur Anfang Juni beschlossen.

Doch das alles reicht nicht aus. Die Bundeswehr ist seit Jahren unterfinanziert und soll nun darüber hinaus auch noch dauerhaft Kosten senken. Gleichzeitig soll die Armee umorganisiert werden, um sich stärker als bisher an den weltweiten Anforderungen der aktuellen Kriseneinsätze und einer neuen globalen Sicherheitslage zu orientieren. Die Einsparungen und organisatorischen Veränderungen werden dabei weitreichende Auswirkungen auf die zukünftige Personalstärke der Bundeswehr, ihre Struktur und das daraus folgende Stationierungskonzept sowie auf den deutschen Beitrag an aktuellen und zukünftigen Beschaffungskooperationen und Verpflichtungen in Auslandseinsätzen haben.

Verkleinerung der Truppe

Deshalb präsentierte Verteidigungsminister Guttenberg Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor der parlamentarischen Sommerpause drei Modelle für eine Bundeswehr der Zukunft - mit und ohne Wehrpflicht. Alle sehen eine wesentliche Reduzierung der Truppenstärke vor. Im Wesentlichen beinhalten die Varianten eine Reduzierung der Truppe von derzeit 252.000 auf entweder 200.000 (Wehrpflichtmodell) oder 170.000 beziehungsweise 150.000 Soldaten. Intern werden jedoch der letzteren Lösung kaum Chancen eingeräumt, da die Bundeswehr damit in Personalnot geraten könnte, will sie ihre Bündnisverpflichtungen aufrechterhalten.

Merkel lässt nun die Reformmodelle, die die militärische Spitze in den nächsten Wochen noch mit Verteilungsschlüsseln für die Teilstreitkräfte weiter präzisieren will, bis September prüfen. Dann beschäftigen sich Kabinett und Parlament mit der umstrittenen Reform. Parallel dazu arbeitet die Reformkommission unter Leitung des Chefs der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, an einer neuen Struktur des bürokratischen Apparates der Bundeswehr. Im Ministerium rechnet man mit einer starken Aufwertung des Generalinspekteurs, des ranghöchsten Generals der Bundeswehr, und einer Abschaffung der Vize-Kommandeure oder Inspekteure im Generals- und Obristenrang. Wesentlich für die weitere Neuorganisation der Bundeswehr ist dabei auch das neu zu bestimmende Verhältnis zwischen den Streitkräften und der Wehrverwaltung. Guttenberg will die traditionell strikte Trennung zwischen beiden Ebenen aufheben.

So unstrittig die organisatorischen Reformnotwendigkeiten sind, so sehr streiten sich die im Bundestag vertretenen Parteien über Größe und Struktur der künftigen deutschen Streitkräfte. Das gilt besonders für die FDP, die im Gegensatz zu großen Teilen der CDU/CSU die Wehrpflicht gleich ganz abschaffen will. "Das sicherheitspolitische Umfeld hat sich massiv gewandelt", sagte etwa die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Elke Hoff. "Die Bundeswehr muss kleiner werden, sie muss flexibler werden." Die Wehrpflicht in ihrer derzeitigen Form passe nicht in dieses Konzept.

Die SPD hat gar ein eigenes Konzept zur neuen Struktur der Streitkräfte vorgelegt. Es sieht eine Reduzierung des Personalumfanges um 50.000 auf künftig 200.000 Mann sowie den Erhalt der Wehrpflicht in Form eines Freiwilligendienstes vor. Dagegen wenden sich vor allem die Grünen. Zwar spricht sich zum Beispiel ihr Sprecher für Haushaltspolitik, Alexander Bonde, "für eine Verkleinerung der Bundeswehr auf 200.000 Soldatinnen und Soldaten" sowie für Strukturen aus, "die nicht mehr zu großen Teilen auf Landesverteidigung und symmetrische Kriege ausgelegt sind". Doch das größte Einsparpotential sieht er im Wegfall der Wehrpflicht. Bonde: "Wer sparen will, muss an die alten Zöpfe ran."

Nötiger Verzicht

Schon jetzt ist dabei klar: Auf etliche prestigeträchtige Rüstungsprojekte wird die Bundeswehr wohl verzichten müssen, oder sie nur in kleinerem Umfang beschaffen können. Experten des Ministeriums erarbeiten zurzeit eine Streichliste, mit der langfristig 9,3 Milliarden Euro gespart werden sollen. Sie sieht allein bei der Luftwaffe, die zugunsten des Heeres und der Marine reduziert werden soll, eine Reduzierung der Eurofighter- und Tornado-Kampfbomber-Geschwader zugunsten des Aufbaus von UAV-Kapazitäten ("Unmanned aerial vehicle", unbemannte Drohnen) vor. Um sofort Geld zu sparen, will die Luftwaffe zudem 15 Transall-Transportflugzeuge stilllegen. Zudem soll die Zahl der neuen Militärtransporter A400M reduziert werden. Es sollen nur noch 45 bis 49 statt der ursprünglich geplanten 60 Maschinen angeschafft werden. Lieferbeginn soll 2013 sein. Auch sollen deutlich weniger Transporthubschrauber vom Typ NH 90 sowie nur noch die Hälfte der 80 geplanten Tiger-Kampfhubschrauber angeschafft werden. Zudem soll die Bundeswehr 37 Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter weniger als geplant erhalten. Einschnitte empfehlen Experten auch bei der Marine, besonders beim Bau von Schiffen der neuen Fregatte 125.

Und die mögliche Streichliste geht noch weiter. So ist noch unklar, ob die Bundeswehr auf das Raketenabwehrprojekt Meads - es soll die Patriot-Raketen ersetzen - verzichten muss. Gleiches gilt für das ehrgeizige IT-Programm Herkules. Beim Heer trifft es Waffensysteme wie den geplanten Schützenpanzer Puma oder den GTK10-Boxer.

Ärger vorprogrammiert

Doch wie immer die Verkleinerung und Strukturreform der Armee am Ende auch genau aussehen wird - reine Kostenargumente werden nicht allein ausschlaggebend sein. Der anfänglich vom Verteidigungsminister vorgegebene Paradigmenwechsel, wonach künftig der Finanzrahmen das militärische Anspruchsniveau vorgebe, begradigte Guttenberg inzwischen selbst: Es werde keine Verteidigungspolitik "nach Kassenlage" geben. Und auch die Bundeskanzlerin unterstützt ihn dabei in ihrer letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause: "Finanzen sind wichtig, aber Finanzen sind nicht die treibende Kraft einer Bundeswehr der Zukunft." Die Kanzlerin signalisierte dem Minister damit größeren finanziellen Spielraum als bisher beschlossen: "Wegen zwei Milliarden kann ich nicht die deutsche Sicherheit aufs Spiel setzen." Damit mildert Angela Merkel den Druck auf Minister Guttenberg, schürt aber den Ärger beim Koalitionspartner FDP. Weiterer Streit in der Koalition ist also vorprogrammiert.

Der Autor arbeitet als

freier Journalist in Bonn.