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Kurz rezensiert : Kurz notiert

27.09.2010
2023-08-30T11:26:04.7200Z
3 Min

Nur vier Jahre nachdem Konrad Adenauer 1949 das politische Ruder in der Bundesrepublik Deutschland übernommen hatte, kürte die "Time" ihn bereits zum "Man of the Year". Verkörperte der damals 77-Jährige Bundeskanzler für das amerikanische Nachrichtenmagazin doch die endgültige Abkehr Deutschlands vom Nationalsozialismus hin zur Demokratie.

Ganz ähnlich sieht es auch die Frankfurter Zeithistorikerin Marie-Luise Recker, die sein politisches Leben mit klar konturierten Strichen skizziert hat. Auf der biografischen Folie entwickelt sie aber auch ein konzises Bild vom Regierungssystem und der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. So wirken Adenauer und die Bundesrepublik bei ihr oftmals wie zwei Seiten einer Medaille. Obgleich sie seine Versäumnisse bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und in partei- oder außenpolitischen Details benennt, zollt sie seinen unbestreitbaren Leistungen eindeutig Respekt, bisweilen auch Bewunderung.

Diesem glänzend gezeichneten Porträt hätten aber bei aller Deutlichkeit ein paar Grautöne mehr nicht schaden können.

Marie-Luise Recker:

Konrad Adenauer. Leben und Politik.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 112 S., 8,95 €

Seine wissenschaftstheoretische Brille stammt aus der Werkstatt des Soziologen Max Weber - das hat der inzwischen 78-jährige Hans-Ulrich Wehler immer wieder betont. Und beim analytischen Blick auf vergangene Entwicklungen und Strukturen interessieren ihn vor allem Politik, Wirtschaft, Kultur und die soziale Hierarchie.

Ein "Land ohne Unterschichten", so der Titel seines zwölften Sammelbandes, ist die Bundesrepublik bestimmt nicht - da widersprach der Bielefelder Historiker 2006 einigen realitätsfernen Politikern heftig. Diese Entgegnung und 30 weitere Essays sind seitdem in unterschiedlichen Medien erschienen und hier erneut zu lesen. Es sind Beiträge zu tagespolitischen Debatten, beispielsweise zum umstrittenen EU-Beitritt der Türkei, zum Thema Nationalismus/Patriotismus und zu höchst unterschiedlichen Personen, etwa zu Otto von Bismarck oder Alice Schwarzer.

Zudem bietet der Band mehrere Rezensionen des Historikers. Auch sie bereiten intellektuelles Vergnügen, da Wehler neue Bücher seiner Fachkollegen - ähnlich wie Marcel Reich-Ranicki bei belletristischer Literatur - entweder entschieden lobt oder kritisiert.

Hans-Ulrich Wehler:

Land ohne Unterschichten? Neue Essays zur deutschen Geschichte.

Verlag C. H. Beck, München 2010; 288 S., 14,95 €

War nicht Metternich der erste wahre Europäer? Hat man den österreichischen Staatskanzler bislang etwa zu einseitig als antiliberalen Absolutisten abgestempelt, der die Geistesfreiheit knebelte und den modernen Nationalgedanken verteufelte? Mit solch "revolutionären" Fragen nähert sich der Historiker Wolfram Siemann einem der reaktionärsten Politiker des 19. Jahrhunderts und findet überraschende Antworten.

In der biografischen Skizze des Münchener Professors tritt uns Metternich weniger als der brutale und unnachgiebige Freiheitsunterdrücker, sondern vielmehr als vorausschauender und besonnener Staatsmann entgegen, der jeglichen Krieg verabscheute, die kulturelle Selbstständigkeit der Nationen bejahte und Europa als universalistische Idee und "komplementäre Staatlichkeit" verteidigte.

Auch wenn Siemann das reaktionäre Moment in Metternichs Denken und Handeln zugunsten der geschichtswissenschaftlichen Rehabilitierung etwas zu stark relativiert, legt der ausgewiesene Kenner der 1848er Revolution mit seinem Ansatz neue Sichtachsen frei. Nicht nur auf die Person und Politik Metternichs, sondern auf das 19. Jahrhundert insgesamt.

Wolfram Siemann:

Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 128 S., 8,95 €