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ATOMENERGIE Koalition verlässt Ausstiegsvereinbarung und verlängert Laufzeiten - Opposition bremst

27.09.2010
2023-08-30T11:26:05.7200Z
4 Min

Ein Gewinner steht in der erbitterten Diskussion über die Atompolitik der Bundesregierung bereits fest: Die parlamentarische Streitkultur. Unter der Großen Koalition oft schon tot gesagt, blüht sie analog zur neu aufflammenden Atomdebatte wieder auf. Stetig genährt wird sie von einer wachsenden Unversöhnlichkeit, mit der sich Regierung und Opposition dabei in entscheidenden Fragen gegenüberstehen und die künftig auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beschäftigen dürften.

Am Freitag, 1. Oktober, geht der Streit schließlich in die nächste Runde, wenn die Regierungskoalition in der ersten Lesung der Novelle des Atomgesetzes im Bundestag die Gesetzesvorlagen für die Umsetzung ihres Energiekonzeptes vorlegen wird, mit dem sie bis 2050 etwa 80 Prozent des Stroms aus Öko-Energien erzeugen will.

Hierfür wird die Regierung Anträge für die Änderung des Atomgesetzes, die Errichtung eines Energie- und Klimafonds sowie für das Kernbrennstoffsteuergesetz und die Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes einbringen. Anschließend folgen Anhörungen in den Fachausschüssen.

Weitere Protestaktionen

Nicht nur im Plenum wird insbesondere die Debatte um die geplante Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke weiter gehen. Bereits am vorvergangenen Samstag hatten bis zu 100.000 Atomkraftgegner Reichstagsgebäude und Kanzleramt umzingelt und anschließend weitere Aktionen angekündigt.

Groß war der Ärger über das Vorgehen der Regierung, die sich in einer zunächst geheim gehaltenen Vereinbarung mit der Atomwirtschaft auf Eckpunkte für die Verlängerung der Laufzeiten geeinigt hatte und die nun plant, bei der angestrebten Verabschiedung des neuen Gesetzes zum 1. Januar 2011 den Bundesrat nicht einzubeziehen. Dort hat sie seit der NRW-Wahl keine Mehrheit mehr.

Grünen-Chefin Claudia Roth hatte das Vorgehen von Union und FDP einen "Anschlag auf die Demokratie" genannt und mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gedroht. Auch die SPD sowie mehrere Bundesländer hatten im Fall einer Nicht-Beteiligung der Länderkammer eine Klage vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe angekündigt. Die Linke schließt diesen Schritt ebenfalls nicht aus.

Da es die Koalition mit der Novelle des Atomgesetzes offenbar eilig hat und bereits für den 29. Oktober die zweite und dritte Lesung im Bundestag vorgesehen hat, ehe das Gesetz am 26. November dem Bundesrat nach Willen der Koalition lediglich zur Kenntnisnahme vorgelegt wird, will die Opposition im Kampf gegen das neue Gesetz ebenfalls keine Zeit verlieren.

Die geplante Laufzeitverlängerung will SPD-Chef Sigmar Gabriel per Eilantrag noch in diesem Jahr gerichtlich aufhalten zu lassen. "Wir wollen eine einstweilige Anordnung bekommen, um den Vollzug des Gesetzes zu stoppen", sagte Gabriel, der außerdem einen Volksentscheid in dieser Frage ins Gespräch gebracht hatte.

Schwer im Magen liegen der Opposition weitere Inhalte der Vereinbarungen mit den vier großen Energieversorgern. Zwar will die Regierung von den Gewinnen, die durch die Verlängerung der Laufzeiten erzielt werden, etwa die Hälfte mittels Kernbrennstoffsteuer und Öko-Energie-Fonds abschöpfen. Wie aber nach Bekanntwerden des Papiers zwischen Regierung und Atomwirtschaft ebenfalls ebenfalls publik wurde, sollen die Betreiber der Kernkraftwerke bei einer Laufzeitverlängerung vor teuren Sicherheitsauflagen abgesichert werden.

Nachrüstungsfrage

Demnach dürfen die Konzerne bei kostspieligen Nachrüstungen ihre Zahlungen für den Öko-Energie-Fonds entsprechend reduzieren. Die Beiträge der Industrie mindern sich, wenn neue Nachrüstungs- oder Sicherheitsanforderungen die Summe von 500 Millionen Euro für ein Kernkraftwerk überstiegen, heißt es in den Vertrags-Eckpunkten zur Errichtung eines Förderfonds für Erneuerbare Energien. Das gleiche passiert, wenn die von Schwarz-Gelb bis 2016 befristete Atomsteuer erhöht oder verlängert wird. Auch kann der "Förderbeitrag" sinken, wenn Laufzeiten oder Übertragungsmengen etwa im Fall eines Regierungswechsels "verkürzt, verändert, unwirksam oder aufgehoben werden oder in sonstiger Weise entfallen".

Das Problem, das die Oppostion hierin sieht: Verschärfte Sicherheitsauflagen des Ressorts minderten die Summen für erneuerbare Energien, die das Haus fördern will. Minister Norbert Röttgen (CDU) hatte von Nachrüstkosten von bis zu 600 Millionen Euros je Meiler gesprochen.

Noch ist die Frage der Bundesratsbeteiligung unklar. Die Länder müssten zwingend beteiligt werden, da die geplante Laufzeitverlängerung nicht eine "marginale, sondern wesentliche Änderung des bestehenden Atomrechts" sei, argumentiert etwa der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier.

Der Staatsrechtler und ehemalige CDU-Verteidigungsminister Rupert Scholz hält dagegen eine Beteiligung der Länderkammer für entbehrlich. Die quantitative Veränderung der auszuführenden Verwaltungsaufgaben der Länder, die mit einer Verlängerung der Laufzeiten einhergehe, führe zu keinem Zustimmungsrecht des Bundesrats, schreibt Scholz. Behält Scholz Recht, wäre der Bundesrat am 26. November nur formale Durchlaufstation für den umstrittenen Gesetzentwurf und würde pünktlich zum 1.1.2011 in Kraft treten - es sei denn, das Bundesverfassungsgericht würde aufgrund des Antrages der Sozialdemokraten auf die Bremse treten.