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Kurz rezensiert : Angelesen

04.10.2010
2023-08-30T11:26:05.7200Z
2 Min

123 Historiker, Völkerrechtler und Politikwissenschaftler aus 17 Ländern haben einen Sammelband über Vertreibungen, Zwangsaussiedlungen und ethnische Säuberungen im Europa des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Das umfangreiche Nachschlagewerk mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen ergänzt die jüngeren wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema.

Über 300 Artikel erklären die Begrifflichkeiten, mit denen Vertreibungen beschrieben werden: angefangen mit der Erosion der multiethnischen Imperien im östlichen Europa und den Deportationen während des Ersten Weltkrieges. Berücksichtigt wurde auch die Militärintervention der Nato im Frühjahr 1999, die die Vertreibung von fast einer Million Albanern aus dem Kosovo beendete.

Obwohl Deutschland "wegen des Umfangs der vom NS-Staat initiierten und von Deutschen erlittenen Vertreibungen einen wichtigen Platz einnimmt", haben die Herausgeber alle Zwangsmigrationen in Europa gleichgewichtig behandelt. Zumindest sofern es der derzeitige, durchaus lückenhafte und nicht selten kontroverse Forschungsstand erlaubt.

Detlef Brandes, Halm Sundhausen, Stefan Troebst (Hg):

Lexikon der Vertreibungen.

Böhlau Verlag, Köln 2010; 801 S., 79 €

Im Juni 2005 verurteilte der Bundestag die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkrieges. Im März dieses Jahres stufte der Auswärtige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses die Massaker an den Armeniern als Genozid ein, kurz darauf folgte das schwedische Parlament - obwohl die türkische Regierung in Ankara lautstark protestiert hatte.

Abgesehen von der Leugnung der historischen Tatsachen untersagt es die Türkei ihren Bürger bis heute, sich mit der Geschichte des Völkermords an den Armeniern auseinanderzusetzen. Dabei könnte nach Ansicht der Journalistin Sibylle Thelen gerade die Aufarbeitung der Vergangenheit die Entwicklung der türkischen Zivilgesellschaft stärken. Von daher begrüßt die Autorin die Versuche türkischer Künstler, die Vergangenheit aufzudecken und so die offenen Identitätsfragen der Gesellschaft zu beantworten. In dem empfehlenswerten Band wird auch der aktuelle Annäherungsprozess zwischen Armenien und der Türkei analysiert.

Sibylle Thelen:

Die Armenierfrage in der Türkei.

Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010; 95 S., 9,90 €