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Dr. Rösler bittet zur Kasse

GESundheit 2011 - schon schwarze Zahlen? Dennoch harsche Kritik an den Reformplänen

04.10.2010
2023-08-30T11:26:05.7200Z
3 Min

Die Gesundheitsreform wirkt, bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Zumindest als Aufputschmittel für die Opposition hat sie sich bereits bewährt, wie die erste Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (17/3040) am vergangenen Donnerstag im Bundestag zeigte. "Das ist heute ein schwarzer Tag für das deutsche Gesundheitswesen", wetterte SPD-Fraktionsvize Elke Ferner. Die Koalition habe die Maske fallen gelassen: "Es erscheint das hässliche Gesicht derer, die den Sozialstaat mit der Abrissbirne kaputtmachen wollen." Ferner kritisierte vor allem, dass die Arbeitgeberbeiträge dauerhaft eingefroren werden sollen. Künftigmüssten die Versicherten über Zusatzbeiträge alle Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein tragen. Zudem verursache der geplante Sozialausgleich einen enormen Bürokratieaufwand, da pro Jahr 600 Millionen elektronische Meldungen anfielen. Die SPD-Politikerin kündigte an, den "Murks hoch drei" nach der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2013 wieder rückgängig machen zu wollen.

Zu Grabe getragen

Die Gesundheitsexpertin der Linksfraktion bezeichnete die Zusatzbeiträge als "Kopfpauschale durch die Hintertür zugunsten der Bestverdienenden und der Arbeitgeber". Mit dem Gesetzentwurf solle "die Solidarität endgültig zu Grabe getragen werden". Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn bemängelte, Schwarz-Gelb greife ein "Kernelement der Solidarität seit Bismarck" an. "Früher galt das Prinzip: Wer mehr hat, trägt mehr. An dieses Prinzip halten Sie sich nicht mehr", betonte Kuhn.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) wies die harsche Kritik der Opposition zurück. Die Alternative zu der Reform seien erhebliche Leistungseinschränkungen. "Wir müssten jedes fünfte oder sechste Krankenhaus schließen, womöglich auch jede dritte Arztpraxis", sagte Rösler, der wie immer ohne Redemanuskript im Plenum sprach. Im Übrigen sei es richtig, die Höhe des Arbeitgeberbeitragssatzes festzuschreiben. Damit werde der "Teufelskreis" durchbrochen, der da laute: "Mehr Gesundheit bedeutet weniger Beschäftigung." Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) ergänzte, es sei "gerecht", die Lohnkosten von den steigenden Gesundheitsaufwendungen abzukoppeln, "weil damit die Arbeitsplätze sicherer werden und wieder mehr Menschen aus der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung" kämen.

Dem hielt Kuhn entgegen, im Hinblick auf die Lohnnebenkosten hätten die Arbeitgeber bislang darauf geachtet, dass die Kosten im Gesundheitswesen "nicht ins Uferlose" wachsen. Die Arbeitgeber davon zu entbinden, sei "brandgefährlich".

Plus im Kassensäckel

Der Reformentwurfder Regierung wirkt jedoch nicht nur als oppositionelles Koffeinpräparat, sondern auch an anderer Stelle: Unmittelbar nach der Debatte im Bundestag gab der Schätzerkreis - Fachleute des Ministeriums, des Bundesversicherungsamts und des Kassen-Spitzenverbands - bekannt, dass die gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr ein Plus einfahren werden. Bislang waren Experten von einem dicken Minus in Höhe von bis zu elf Milliarden Euro ausgegangen. Der nun erwartete Sprung in die schwarzen Zahlen ist damit zu erklären, dass die Schätzer die prognostizierten finanziellen Wirkungen der Reform bereits in ihre Berechnungen eingepreist haben. Den größten Batzen machen mit rund sechs Milliarden Euro dabei die erwarteten Beitragsmehreinnahmen in Folge der Anhebung des Beitragssatzes auf 15,5 Prozent aus.

Nach den Berechnungen fließen im kommenden Jahr Einnahmen in Rekordhöhe von rund 181,1 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds. Die Kassen werden aber den Angaben zufolge nur etwa 178,9 Milliarden ausgeben. Der Überschuss bedeutet auch, dass im kommenden jahr, wie von Rösler angekündigt, noch keine weiteren Zusatzbeiträge erhoben werden.

Der Minister und seine Koalitionäre richteten im Bundestag sogleich den Blick nach vorn. Nach der Stabilisierung der Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)stehe nun die "Innensanierung" an, erläuterte etwa FDP-Fraktionsvize Ulrike Flach. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn sagte, die Koalition wolle "im Laufe des nächsten Jahres" Strukturreformen angehen, etwa die Versorgung neu organisieren und bessere Anreize schaffen, sich um chronisch Kranke zu kümmern.

Kostenerstattung

Auch der Minister selbst kündigte weitere Reformschritte an. Das System müsse effizienter werden, etwa durch die Stärkung von Krankheitsprävention und "durch eine vernünftige Kostenerstattung". Der nächste gesundheitspolitsche Großkonflikt ist mit letzterem Vorschlag eingeläutet. Macht Rösler die Erstattungstarife in der GKV - die es bereits heute gibt, die aber selten genutzt werden - attraktiver, befürchtet die Opposition neue soziale Verwerfungen. So warnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor einem "Einstieg in die Dreiklassenmedizin": der Privatversicherte sei Patient erster Klasse, derjenige, der sich Zusatzversicherungen und Vorkasse leisten könne, sei Patient zweiter Klasse "und derjenige, der das alles nicht bezahlt, ist der Patient der Holzklasse", kritisierte Lauterbach. Der CDU-Politiker Rudolf Henke unterstrich umgehend, dass die Union eine "pflichtweise Einführung der Vorkasse" nicht anstrebe.