Piwik Webtracking Image

Zwei Lebenswelten im gleichen Milieu

PArteien Der Politologe Franz Walter über FDP und Grüne und ihre Wählerklientel

25.10.2010
2023-08-30T11:26:07.7200Z
3 Min

Als im Spätsommer die Umfragewerte für Bündnis 90/Die Grünen neue, ungeahnte Höhen erreichten, fiel vor allem deren zurückhaltende Reaktion auf. Man müsse auf dem Teppich bleiben; Umfragewerte seien Momentaufnahmen und keine Wahlergebnisse, ließ der Parteivorsitzende Cem Özdemir wissen - und befindet sich dabei in seltener Übereinstimmung mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle: Auch der warnte erst kürzlich vor einer "Politik nach Umfragewerten". Westerwelle muss es wissen: Immerhin machte der FDP-Chef in den vergangenen Monaten die Erfahrung, dass selbst gute Umfragewerte, die in gute Wahlergebnisse münden, ganz schnell wieder fallen können.

Was also tun, wenn die Umfrageergebnisse allzu niedrig oder geradezu erschreckend hoch sind? Man mag Westerwelle und Özdemir raten, das neue Buch des Göttinger Politikwissenschaftlers Franz Walter zu lesen. Erst vor einigen Monate hat der Parteienforscher in seinem Buch "Im Herbst der Volksparteien" CDU und SPD bescheinigt, sie könnten ihre Rolle, Vermittler zu sein zwischen den Lebenswelten unten und der parlamentarischen Arena oben, nicht mehr ausfüllen. Nun hat er sich FDP und Grüne vorgenommen und eine "kleine Parteiengeschichte der besserverdienenden Mitte in Deutschland" vorgelegt.

Viel interessanter als der historische Abriss sind Walters Studien zur Wählerschaft der beiden kleinen Parteien. Denn da, wo viele Kommentatoren des Parteiensystems allenfalls marginale Unterschiede sehen wollen und gelb-grüne Bündnisse für unvermeidlich halten, verdeutlicht er, dass zwischen den gelben und den grünen Welten liegen. Während sich die Liberalen in den vergangenen Jahren mehr auf die "besorgte Mittelschicht", die ungern Steuern zahle und gegen Sozialtransfers sei, bestehe die Klientel der Grünen vor allem aus "postmaterialistischen Menschen", die mit den eigenen Lebensumständen vollkommen zufrieden seien und "denen eine ordentliche sozialstaatliche Infrastruktur und öffentliche Institutionen zur Unterstützung ausbalancierter Lebensmodelle wichtiger sind als kräftige Steuersenkungen für den Einzelnen". Ganz objektiv ist Walter bei dieser Analyse jedoch nicht: Allein die Untertitel, die er beiden Parteien zuschreibt, lassen erkennen, dass er für "Die Liberalen: Umfallen und aufstehen" und "Die Grünen: Partei der angepassten Unangepassten" Sympathien in unterschiedlicher Ausprägung hegt.

Selbstverschuldete Fehler

Amüsant sind seine Bemerkungen jedoch allemal - und sie könnten für beide Parteien lehrreich sein. Walter formuliert auch überzeugend, welche Fehler die ehemalige Öko-Partei in der rot-grünen Koalition machte und warum es trotz der guten Wahlergebnisse für die FDP derzeit beim Regieren nicht klappt. Neben allen inhaltlichen und selbstverschuldeten Fehlern scheinen ihm da diejenigen ein wichtiger Faktor zu sein, die den Erfolg erst möglich machten: Neue Wählergruppen, die aus Frustration oder Neugier einer Partei die Stimme geben, der sie "weder durch Generationserlebnis noch durch Milieuzugehörigkeit" kohärent verbunden seien. Sie seien in aller Regel keine sicheren Kantonisten. Für diese Klientel gelte: "Sagt ihr die politische Speisekarte nicht mehr zu, wechselt sie ungerührt das Lokal." Sowohl Grünen- als auch FDP-Wähler wünschten sich eine exquisite Rolle und "Abstand zur Masse" - dies zu bieten, sei jedoch für Parteien, die politisch gestalten wollen und auf Mehrheiten angewiesen sind, langfristig schwierig.

Bei allen Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Wählerschaft und der Probleme, die sich aus Umfragehochs für beide Parteien ergeben: gelb-grüne Koalitionen erwartet Walter nicht. Für ihn präsentieren Liberale und Grüne zwei Lebenswelten im Milieu der Besserverdienenden, die sich vor allem darin unterscheiden, was für sie eine gute Gesellschaft ausmacht. In diesem Punkt würden Özedmir und Westerwelle vermutlich heftig beipflichten.

Franz Walter:

Gelb oder Grün? Kleine Parteien-geschichte der besserverdienenden Mitte in Deutschland.

Transcript Verlag, Bielefeld 2010, 148 S., 14,80 €