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»Unser Dollar, euer Problem«

US-SCHULDEN Sparen ja, aber später - US-Präsident Obama kann sich das leisten

25.10.2010
2023-08-30T11:26:07.7200Z
6 Min

Seit der Griechenlandkrise gehört es zum guten Ton im politischen Europa, im kleinen Kreis auch mal darauf hinzuweisen, dass die Vereinigten Staaten ja viel höhere Staatsschulden haben als viele europäische Länder. Geraunt wird von einer drohenden Schuldenkrise. Dieser Befund dient oft der Ablenkung von den eigenen Schwierigkeiten. Bemerkenswerterweise haben die Finanzmärkte sich bislang nicht so recht auf die Ängste vor einem Staatsbankrott eingelassen, im Gegenteil. Wann immer die Unsicherheit in den vergangenen Krisenjahren aufbrach, suchten die Anleger Sicherheit vor allem in amerikanischen Staatsanleihen. Finanzminister Timothy Geithner profitiert wie alle seine Vorgänger davon, dass die vermutete Sicherheit der Weltleitwährung Dollar ihm einen Extrabonus in Form niedrigerer langfristiger Zinsen gibt. Das erleichtert es dem Finanzchef der Bundesregierung in Washington, die ausufernde Staatsschuld zu finanzieren. Europäische Finanzminister können da schon neidisch werden.

Eine Garantie, dass die Vereinigten Staaten einer Schuldenkrise à la Griechenland entgehen können, bietet dieser Sonderbonus natürlich nicht. Wie nach jeder Finanzkrise ist die Staatsschuld in den Krisenstaaten zuletzt deutlich gestiegen. Rettungspakete für Banken und für die Konjunktur kosten. Im Vergleich der Industrieländer ragen die Vereinigten Staaten dabei heraus. Die gesamte amerikanische Staatsschuld ist brutto - also ohne Gegenrechnung der Vermögenswerte des Staates - stärker als in den meisten Industriestaaten in die Höhe geschnellt. Amerika hat Länder wie Deutschland, Frankreich oder Kanada dabei überholt. Der Internationale Währungsfonds beziffert den Sprung von 62 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2007 auf wahrscheinlich 93 Prozent des BIP in diesem Jahr. Der Großteil des Schuldenanstiegs gründet in den Rettungspaketen der Washingtoner Bundesregierung. Bis 2015 wird die Staatsschuld nach IWF-Schätzung auf 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen - das entspricht griechischen Verhältnissen zum Jahresbeginn.

Sonderrolle Japans

Das politisch unabhängige Budgetbüro des Kongresses schätzt, dass allein die Staatsschuld der Bundesregierung bis 2035 von derzeit 62 auf 79 Prozent des BIP steigen wird. Auf lange Sicht spielen in dieser Prognose - wie in Europa und Japan - die höheren Sozial- und Gesundheitsausgaben für eine alternde Bevölkerung eine große Rolle. Eine alternative Berechnung der Kongressökonomen, die mögliche Steuersenkungen und einen höheren Anstieg der Sozialausgaben berücksichtigt, sieht die Schuld der Bundesregierung 2035 bei 185 Prozent des BIP. Damit erreichten die Vereinigten Staaten japanische Verhältnisse.

Japan zeigt, dass sich auch mit einem Schuldenstand von rund 230 Prozent des BIP der Staatsbankrott hinausschieben lässt. Das Beispiel führt indes in die Irre. In einer Sonderrolle unter den Industriestaaten ist die Regierung in Tokio zu mehr als 90 Prozent im Inland verschuldet und sie hat es viele Jahrzehnte lang zu Lasten der Bevölkerung geschickt verstanden, durch steuerliche Vorteile die hohe Sparneigung der Japaner in die Finanzierung der staatlichen Yen-Anleihen zu lenken. Einen Vertrauensverlust und die Kapitalflucht ausländischer Schuldner braucht die Regierung in Tokio damit nicht zu fürchten. In den Vereinigten Staaten liegt der ausländische Anteil an der Staatsschuld mit rund 35 Prozent erheblich niedriger als in den meisten europäischen Staaten, die teils Quoten von 50 Prozent und mehr aufweisen.

Als Warnung, dass die amerikanische Schuldenentwicklung untragbar ist, dienen in Amerika neben dem Kollaps in Griechenland umfassende Studien der Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff, die teils Jahrhunderte zurückreichen und dutzende Länder umfassen. In Amerika haben die Studien in diesem Jahr viel Aufmerksamkeit gefunden. Üblicherweise wurden sie in den Medien in stark vereinfachter Form präsentiert, dass bei einem Schuldenstand von 90 Prozent und mehr der jährlichen Wirtschaftsleistung Gefahr drohe. Mit Gefahr meinen Reinhart und Rogoff dabei, dass das Wirtschaftswachstum in diesen Hochschuldenländern durchschnittlich nur 1 Prozent erreicht - während bei niedrigeren Schuldenständen kein klarer Zusammenhang zwischen Schuldenstand und Wirtschaftswachstum zu messen ist.

Die rote Linie von 90 Prozent, die die Vereinigten Staaten schon in diesem Jahr überschreiten werden, ist natürlich keine feste Größe und sie kann sich von Land zu Land unterscheiden. Und natürlich ist fraglich, ob die Kausalität in den von den Wissenschaftlern untersuchten Fällen so liegt, dass die Staatsschuld das Wachstum beeinflusst. Umgekehrt könnte auch das niedrige Wachstum zu einer höherer Staatsschuld führen. Trotz aller Grenzen der empirisch-historischen Analyse dienen die Studien von Reinhart und Rogoff aber als willkommenes Warnsignal.

In der politischen Diskussion in den Vereinigten Staaten ist die Mahnung angekommen. Deutlich wird dies daran, dass Präsident Barack Obama das Misstrauen der Bürger gegen seine Gesundheitsreform gerne mit Berechnungen zu überwinden suchte, die Reform werde auf lange Sicht das Staatsdefizit verringern. Ob diese Verheißung halten wird, ist indes fraglich: Die Reform schafft der Politik neue Spielräume, die Leistungen im Gesundheitswesen auszudehnen, um Wähler zu gewinnen. In gewisser Weise hat Obama einen Grundstein gelegt für ein europäisch anmutendes Wachstum des Wohlfahrtsstaates. Über alle heutigen Kalkulationen hinaus könnte dies die Schulden schneller in die Höhe treiben.

Im derzeitigen Kongresswahlkampf dringen vor allem die oppositionellen Republikaner darauf, mit Ausgabensenkungen den Staatshaushalt zu sanieren. Dies deckt sich mit den Wünschen der Protestbewegung "Tea Party", die das Misstrauen der Bevölkerung gegen die in der Krise gewachsene staatliche Ausgaben- und Regulierungssucht kanalisiert. Die Republikaner haben gute Chancen, im November die Mehrheit im Kongress wieder zu übernehmen.

Internationale Verspannungen

Die Regierung Obama aber hat im Bemühen, die Wirtschaft weiter fiskalpolitisch zu stützen, die Etatsanierung trotz wohlfeiler Worte auf das kommende Jahr verschoben. Das entspricht zwar der Empfehlung des Internationalen Währungsfonds. Der lockere Wille Obamas, die Haushaltsdisziplin erst später zu proben, führt international zu Verspannungen mit den Europäern, die unter deutscher Führung auf einen klaren Sanierungskurs der G20-Staaten dringen. Immerhin hat Obama eine Kommission eingesetzt, die bis Dezember Vorschläge präsentieren soll.

Der Präsident und die Demokraten denken dabei viel an Steuererhöhungen und die Begrenzung von Steuerschlupflöchern, um das Defizit zu begrenzen. In Washington geht auch die Idee um, auf Bundesebene eine Mehrwertsteuer einzuführen. Eine natürliche Hilfe wird in den kommenden Jahren sein, dass zumindest nach Plan die Ausgaben für das Konjunkturpaket weitgehend entfallen. In den Kalkulationen von Währungsfonds oder Budgetbüro zum Anstieg der Staatsschuld ist das freilich schon berücksichtigt.

Zumindest im politischen Washington ist eine um sich greifende Angst vor einem faktischen Staatsbankrott wie in Griechenland nicht erkennbar. Das Vertrauen auf eine Ausnahmestellung ist groß und es finden sich viele gute Gründe dafür. Die Vereinigten Staaten gehören zu den ganz wenigen Ländern, die in ihrer Geschichte ausländische Schuldner noch nie betrogen haben. Die Herrschaft des Rechts, nicht des politisch gesetzten Gesetzes, ist in Amerika stärker ausgeprägt als in Kontinentaleuropa. Das schafft ein Grundvertrauen in die Solidität des Staatsschuldners, das nicht zu unterschätzen ist.

Die Bundesregierung hat erst Ende der neunziger Jahre unter Präsident Bill Clinton noch bewiesen, dass sie mehrere Jahre nacheinander Haushaltsüberschüsse erwirtschaften kann. In Deutschland muss man dafür schon bis in die fünfziger Jahre zurückblicken. Auch die größere Flexibilität der amerikanischen Wirtschaft und das der Einwanderungsgesellschaft immanente Unternehmertum lassen vermuten, dass Amerika die Krise und damit die Etatprobleme letztlich doch schneller überwinden wird als die Europäer.

Die Dollargroßmacht

Vor allem aber kommt der amerikanischen Regierung als Schuldner der Status als Dollargroßmacht entgegen, den der frühere Finanzminister John Connolly einst mit den Worten beschrieb: "Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem." Die Schwellenländer Südostasiens und insbesondere natürlich China mit seiner Wechselkursbindung des Renminbi an den Dollar haben schon vor, aber auch während der Finanzkrise riesige Dollarwährungsreserven aufgebaut - zum Teil, um sich vom Internationalen Währungsfonds zu emanzipieren.

Auch aus dem Mittleren Osten gehen Reserveanlagen in den Dollar. Rund ein Viertel der amerikanischen Staatsanleihen befindet sich mittlerweile in der Hand ausländischer Regierungen. Vor allem Japan und China als größte Gläubiger haben aber nun gar kein Interesse daran, dass der Wert des Dollar in einer Schuldenkrise abstürzt. Damit bräche auch der Wert ihrer Devisenreserven ein. Das ermöglicht der Bundesregierung in Washington, die fiskalischen Grenzen ein wenig mehr auszureizen als andere Länder. Eine Vollversicherung gegen eine Schuldenkrise ist der Reservestatus des Dollar freilich nicht. Patrick Welter