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Parlamentarisches Profil : Der Aufsteiger: Anton Schaaf

01.11.2010
2023-08-30T11:26:07.7200Z
3 Min

Wie ein Geist flimmert sein Kopf auf, schaut sich um und lächelt kurz - dann ist der SPD-Abgeordnete Anton Schaaf nach zwei Sekunden wieder spurlos aus seinem Büro verschwunden.

Ein Spuk? Nein, das Fernsehen ist's: Der Flachbildschirm vor Schaafs Schreibtisch zeigt live die Abstimmung über einen Geschäftsordnungsantrag im Reichstag. Hier, gegenüber im Paul-Löbe-Haus, ruft ein Lautsprecher die Abgeordneten ins Plenum. Doch Schaaf ist schon drüben, die Kamera hat ihn gerade gestreift. Hand in die Höhe, Antrag abgeschmettert, und vier Minuten später rauscht Anton Schaaf aus Mülheim an der Ruhr, der Leibhaftige, zurück in sein Büro.

Heute diktieren die Linken seinen Arbeitstag: erst der Antrag zu einer aktuellen Stunde über "Stuttgart 21", dann gleich eine Debatte zu "Rente mit 67 stoppen". Schaaf verzieht das Gesicht, als beiße er in eine Zitrone. "Die sind oft platt und oberflächlich", sagt er zu seinen tiefroten Kollegen auf der Oppositionsbank, "die Linkspartei ist relativ profillos, da orientieren sich viele an nichts anderem als am subjektiven Gerechtigkeitsgefühl."

Schaaf schaut gehetzt. Er wird heute im Plenum des Bundestages reden. Der Sozialdemokrat aus dem Ruhrgebiet wird die Reformagenda 2010 verteidigen - und die Rente mit 67; "wer die ablehnt, muss auch eine Antwort auf die demographische Entwicklung haben", sagt er.

Und dann purzeln die Zahlen aus dem rentenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion nur so heraus: zu Mindestlohn ("da hat sich ein Überbietungswettbewerb etabliert") und zu Hartz IV ("die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe war genau richtig"), begleitet vom Stakkato des rechten Zeigefingers auf der Tischplatte. Anton Schaaf, 48, klingt zunächst wie ein normaler Poltergeist aus dem Bundestag. Der Blick wandert unwillkürlich zum Fernseher.

Doch Schaaf ist anders als andere. 2008 zum Beispiel kandidierte seine Frau für die SPD als Oberbürgermeisterin eines Städtchens im Schwarzwald - hätte sie gewonnen, wäre er mit ihr gezogen, hätte 2009 nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Welcher Abgeordnete täte das? "Sie hat mir oft genug den Rücken freigehalten", sagt Schaaf und lehnt sich zurück. "Wir haben halt die Gelassenheit, dass die Familie sozial abgesichert ist."

Schaaf war elf, als sein Vater die Familie verließ. Die Mutter und die vier Kinder lebten von Sozialhilfe. "Für mich war es normal, keine Chance auf einen besseren Schulabschluss zu haben." Der Älteste wuchs in eine Art Vaterrolle hinein. Das sei eine Last gewesen, aber auch "eine schöne Schule". Politik - das war für ihn zunächst einmal Freizeit. Die Jugendorganisation "Die Falken" lud den damals 14-Jährigen ein zu Reisen, die er sich sonst von zuhaus' aus nicht hätte leisten können. Zum Urlaub kamen Diskussionen, Denkanstöße, Perspektiven. "Alles weitere", sagt er, "die Mittlere Reife, Ausbildung und Zivildienst, das verbuche ich als Zugewinn." Schaaf lernte Maurer, arbeitete neun Jahre bei der Müllabfuhr. Derweil kletterte er bis in den Bundesvorstand der Falken hinauf - und saß dort neben Sigmar Gabriel und stritt sich zuweilen mit ihm. "Der Sigmar war damals mehr der Arbeiterführer", schmunzelt Schaaf mit Blick auf Gabriels Stamokap-Vergangenheit. "Auf Grund unserer gemeinsamen Geschichte haben wir Vertrauen zueinander."

Dass Schaaf heute im Bundestag sitzt, verdankt er seinem seit 2002 direkt gewonnenen Wahlkreis, dass er rentenpolitischer Fraktionssprecher ist, seiner Expertise und Rhetorik. Und doch bleibt er für viele der Proletarier aus dem Pott. "Der letzte Arbeiter der SPD-Fraktion", schreibt eine Zeitung über ihn, eine andere bemerkt die "Bärenpranken" an seinen Armen, als ob Arbeiter solche Hände haben müssten. Im Büro aber, in seinem schwarzen Boss-Shirt zum grauen Zweiteiler, wirkt er eher klein, gar schmal. "Intelligenz", sagt er, "hat halt zunächst nichts mit dem Schulabschluss zu tun." Und beugt sich über den Schreibtisch, über die Rede, die er gleich halten wird. Der Zeigefinger bleibt diesmal ganz still.