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Der gefesselte Präsident

US-WAHL Nach dem Sieg der Republikaner wird das Regieren schwieriger. Wie kompromissfähig ist Obama?

08.11.2010
2023-08-30T11:26:08.7200Z
4 Min

Mit seinem künftigen Gegenspieler teilt Barack Obama ein Laster und eine Leidenschaft. Wie der US-Präsident bekommt auch John Boehner das Rauchen nicht in den Griff, in ihrer Freizeit spielen beide gerne Golf. Nach dem Sieg der Republikaner bei den Zwischenwahlen wird Boehner zum Sprecher des Repräsentantenhauses aufsteigen. Im Wahlkampf hatte Obama den bisherigen Minderheitsführer scharf angegriffen - am Wahlabend gratulierte er ihm telefonisch zum Sieg. Dabei äußerte er nach einer Mitteilung des Weißen Hauses den Wunsch, "Gemeinsamkeiten zu finden und das Land voranzubringen".

An dem 60-jährigen Politiker aus Ohio wird künftig nichts mehr vorbei gehen. Bei der Wahl zum 435-köpfigen Repräsentantenhaus gewannen die Republikaner mehr als 60 Sitze dazu - weit mehr als die 39, die dort für eine Mehrheit nötig gewesen wären. Es war der größte Sieg einer Partei in der Kammer seit mehr als 60 Jahren. Auch im Senat, wo 37 von 100 Sitzen neu gewählt wurden, legten die Republikaner um sechs Sitze zu, verfehlten jedoch knapp ihr Ziel, die Demokraten auch dort von der Mehrheit zu vertreiben.

Soviel ist klar: Obamas aktivistische Phase ist am vergangenen Dienstag zu Ende gegangen. Große Würfe wie die Reformen des Gesundheits- und Finanzsektors werden in den nächsten zwei Jahren nicht möglich sein, die Chancen für ein Klimaschutzgesetz sind gegen Null gesunken. Neue Hürden gibt es aber auch in der Außenpolitik, etwa bei der bilateralen nuklearen Abrüstung mit Moskau. Die Russland-Skepsis unter den Republikanern ist groß - und die Ratifizierung des Start-Vertrages, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat nötig ist, dürfte sich nun schwieriger gestalten.

Darüber hinaus muss der Präsident Versuche der neuen Mehrheit abwehren, die bereits beschlossenen Reformen zurückzudrehen. Seine Partei werde alles tun, um die "Monstrosität" der Gesundheitsreform unwirksam zu machen, verkündete Boehner bereits. In der Praxis wird dies freilich nicht so einfach sein. Versuche, in den Kern der Reform einzugreifen, dürften aus rechtlichen Gründen ins Leere laufen. Denkbar ist dagegen etwa die Abschaffung einer Steuerklausel, die den bürokratischen Aufwand für Unternehmen erhöht.

Die Suche nach der richtigen Balance zwischen Kompromiss und Konfrontation wird Obamas größte Herausforderung sein. Ein Präsident, der den Kongress gegen sich hat, ist in den USA allerdings nichts Ungewöhnliches (siehe Kasten). Anders als in einem parlamentarischen System werden Regierungschef und Volksvertreter separat gewählt. Selbst in einem freundlich gesinnten Kongress muss der Präsident deshalb oft mühsam Koalitionen schmieden. Auch bei der Gesundheitsreform musste Obama im eigenen Lager um Stimmen ringen.

Umgekehrt gibt es Themen, die sich gut für Kompromisse mit den Republikanern eignen. In seiner Pressekonferenz nach der Wahl hat Obama einige von ihnen benannt: Mit seinen leistungsbezogenen Ideen für eine Bildungsreform steht er der Opposition näher als manchem Demokraten. Spielraum gäbe es auch bei der Förderung von Infrastruktur- oder Energieprojekten, die nicht nur Teil von Obamas Vision für eine Modernisierung Amerikas sind, sondern auch im Sinne der Wirtschaftslobby, einer wichtigen Klientel der Republikaner.

Fortschritte in all diesen Bereichen hängen vom Verhandlungsgeschick des Präsidenten ab. Bill Clinton hat vorgemacht, wie so etwas geht. Nach der Zwischenwahl von 1994, bei der die Demokraten die Mehrheit in beiden Kammern verloren, spielte der damalige Präsident links und rechts gegeneinander aus und präsentierte sich selbst als Pragmatiker. Obama hingegen hat trotz seiner Wahlkampfrhetorik bisher wenig unternommen, um seine Gegner einzubinden. Nun nimmt er einen neuen Anlauf: Für den 18. November hat er die Kongressführer ins Weiße Haus eingeladen, um das Vorgehen nach der Wahl zu besprechen.

Ein wichtiges Thema müssen sich die Parteien noch in den kommenden Wochen vornehmen, bevor der neue Kongress im Januar zusammentritt. Die Steuersenkungen, die die Regierung von George W. Bush beschlossen hatte, laufen zum Jahresende aus. Die Republikaner wollen die Erleichterungen in voller Höhe beibehalten, die Obama-Regierung möchte sie für Besserverdienende auslaufen lassen. Ein Kompromiss könnte eine befristete Verlängerung für die Reichen sein.

Den Anlass für einen großen Showdown bieten die Haushaltsberatungen. Die Initiative bei der Haushaltsgesetzgebung liegt beim Repräsentantenhaus - und die Republikaner haben ihren Wahlkampf auf der Kritik an den Rekorddefiziten der vergangenen beiden Jahre aufgebaut. In ihren Ansichten darüber, wie das Haushaltsloch zu stopfen sei, unterscheiden sich die Parteien gewaltig. Obama bleibt zu hoffen, dass eine von ihm eingesetzte überparteiliche Defizitkommission den Weg zu einem Kompromiss weisen kann.

Boehner hat signalisiert, dass er für eine Kooperation aufgeschlossen ist. Er war 1994 dabei, als die Republikaner unter ihrem damaligen Führer Newt Gingrich das Repräsentantenhaus eroberten - und sich überschätzten. Nach anfänglichen Kompromissen mit der Clinton-Regierung schwenkte die Partei auf eine Totalblockade um und trug dazu bei, dass Clinton 1996 die Wiederwahl als Präsident gelang. Boehner warnt seine Partei nun vor Übermut. "Dies ist keine Zeit zum Feiern", sagte er. "Dies ist eine Zeit, um die Ärmel hochzukrempeln."

Noch ist unklar, ob sein Pragmatismus eine Chance hat. Viele der neuen Abgeordneten im Repräsentantenhaus fühlen sich der "Tea-Party"-Bewegung verpflichtet, die aus Bürgerprotesten gegen die Obama-Regierung entstanden ist. Sie könnten auf einen härteren Kurs drängen. Auch Senatsminderheitsführer Mitch McConnell gibt sich unversöhnlich. "Das wichtigste Ziel, das wir erreichen wollen, ist, dass Präsident Obama nur eine Amtszeit hat", fasste er bereits den nächsten großen Termin ins Auge: die Präsidentenwahl im Jahr 2012.