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Grünes Charisma

Petra Kelly Die Politologin Saskia Richter zeichnet das Bild einer emotionalen und getriebenen Politikerin

29.11.2010
2023-08-30T11:26:10.7200Z
4 Min

Wir sprechen den Regierenden das Recht ab, in unserem Namen weiterhin zu handeln!" Hastig, mit heller Stimme, kündigte Petra Kelly in ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag Fundamentalopposition an. 1983 war den Grünen der Sprung ins Bonner Parlament gelungen, Petra Kelly wurde zur prominentesten Vertreterin der jungen Öko-Partei. "Sie war das personifizierte ,Dagegen'", urteilt die 1978 geborene Politologin Saskia Richter in ihrer ebenso nüchternen wie gründlichen, dabei sehr lesbaren Dissertation. Bereits zu Kellys Lebzeiten war eine einseitig verehrende Biografie erschienen, 2001 hatte die Journalistin Alice Schwarzer in ihrem Buch "Eine tödliche Liebe" das Leben der Politikerin von seinem schrecklichen Ende her analysiert. Saskia Richter konnte sich auf Kellys umfangreichen Nachlass im "Archiv Grünes Gedächtnis" der Heinrich-Böll-Stiftung stützen und interviewte Wegbegleiter und politische Beobachter.

1947 im bayerischen Günzburg als Petra Karin Lehmann geboren, wird sie früh von ihrem Vater verlassen. Ihre wichtigste Vertraute ist ihre Großmutter Kunigunde Birle. Später bindet Kelly die "grüne Omi" in ihre politische Karriere ein; sie ist "Petra Kellys persönliche Mitarbeiterin, Sekretärin und Lebensberaterin". 1958 heiratet Petras Mutter erneut. John Kelly ist Offizier der amerikanischen Besatzungsmacht. Zwei Jahre später siedelt die Familie in die USA über. Petra Kelly besucht die Highschool und später die American University in Washington. Sie engagiert sich im Studierendenrat und nimmt an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und die Rassendiskriminierung teil. Schon früh versteht sie sich auf die Kunst des "networking", korrespondiert mit einflussreichen Politikern wie Hubert Humphrey und Robert Kennedy. Saskia Richter betont, dass Kelly "keine Anhängerin der deutschen Studentenbewegung war, in deren Rahmen Studierende Theorien der Frankfurter Schule von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Herbert Marcuse diskutierten". Ihre politische Sozialisation erfolgte in den USA, ihr Beharren auf unteilbaren Menschenrechten in West und Ost mag amerikanisch geprägt sein.

Anfang der 70er Jahre kehrt Kelly nach Europa zurück und wird Mitarbeiterin der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Sie engagiert sich in zahlreichen Initiativen wie dem "Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz". Dabei verlangt sie sich ein gewaltiges Arbeitspensum ab, das bald zwanghafte Züge annimmt. Bis in die frühen Morgenstunden wühlt sie sich durch die "unheimlichen Stapel von Material". "Petra Kelly wollte nicht handeln, sie hatte das Gefühl, handeln zu müssen", folgert Richter.

Politisierung des Privaten

Die Breite ihrer Themen ist enorm: Frieden, Ökologie, Frauen, Arbeitnehmerrechte und Solidarität mit unterdrückten Völkern wie den Tibetern. Vor allem aber kämpft Kelly gegen die Folgen radioaktiver Strahlung. Ihre an Leukämie erkrankte Halbschwester Grace war 1970 nach einer Therapie mit Kobaltstrahlen verstorben. Mit Grace' Krankheit habe "die Politisierung privater Erfahrung" eingesetzt. Kelly betreibt fortan Politik "aus Betroffenheit", wie die Protagonisten damals gerne sagen. "Mit dem Herzen denken" - so der Titel eines ihrer Bücher - wird ihre Maxime. Ihre langen Briefe, ihre Aufsätze und Reden erzählen immer auch davon, wie es ihr persönlich im Angesicht von Nachrüstung und Atompolitik ergeht.

Für ihre Biografin Saskia Richter ist diese Haltung kein Beleg für Authentizität und Glaubwürdigkeit, sondern folgt einem schlichten Kalkül: "Petra Kelly betrieb Politik aus ihrem Lebenslauf." Sie mutiert zur launenhaften Diva, die sich von der grünen Partei nicht an die Leine legen lässt. Als deren einzige Abgeordnete weigert sie sich 1985, nach Ablauf der halben Legislaturperiode ihr Mandat zurückzugeben, also zu "rotieren". Ihr Verhältnis zur Partei ist taktisch: Zwar prägt Kelly das in den 80er Jahre unumstößliche Selbstbild der Grünen als "Anti-Parteien-Partei". Aber de fakto betreibt sie keine alternative Politik, sondern fordert als erste Politikerin der Grünen die Professionalisierung von Politik, also die Berufspolitik: "Petra Kelly lebte für die Politik, gleichzeitig verlangte sie, von der Politik leben zu können."

Sie war eine charismatisch führende Persönlichkeit, resümiert Richter und schließt damit an einen Diskurs an, den ihr Doktorvater, der Göttinger Parteienforscher Franz Walter, unlängst angestoßen hat. Allerdings habe sie ihr Charisma nicht durch Ausübung eines Amtes oder durch Bekleidung eines Parteipostens erworben. Statt dessen habe sie mit Hilfe der außerparlamentarischen Bewegung emotional geführt.

Weil sie in der Partei nicht ausreichend verankert ist, sinkt Kellys Einfluss bereits ab Mitte der 80er Jahre rapide. Mit ihrem letzten Geliebten, dem ehemaligen Bundeswehr-General Gert Bastian, zieht sie sich mehr und mehr zurück. 1992 erschießt Bastian erst sie und richtet sich dann selbst. Die Leichen der beiden werden erst 18 Tage später gefunden.

Saskia Richter:

Die Aktivistin. Das Leben der Petra Kelly.

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010; 524 S., 24,99 €