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Unter Aufsicht

SICHERUNGSVERWAHRUNG Neues Reformgesetz zum Schutz vor Gewalttätern. Für die Bundesländer wird es teuer

06.12.2010
2023-08-30T11:26:10.7200Z
4 Min

Das Thema ist hoch emotional besetzt. Schon der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) traf den Nerv der Bevölkerung, als er im Fall der missbrauchten und dann umgebrachten achtjährigen Julia im Juli 2001 in einer Boulevardzeitung gefordert hatte: Kinderschänder wegschließen - für immer!"

Die schwarz-gelbe Koalition hatte sich über neun Jahre später bei Amtsantritt im Herbst 2009 darauf geeinigt, das Recht der Sicherungsverwahrung zu reformieren. Ende des selben Jahres hatte dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Regelung gekippt, Sicherungsverwahrung dauere notfalls ein Leben lang - so wie der Ex-Bundeskanzler es wollte. Das Straßburger Gericht hatte moniert, bis 1998 habe es eine Regelung gegeben, nach der Sicherungsverwahrte höchstens 10 Jahren in Obhut staatlicher Behörden bleiben mussten. Für dem Menschenrechtsgerichthof ein ganz klarer Fall eines sogenannten Rückwirkungverbots. Die Folge war, dass mehrere Männer in Freiheit kamen, ohne ausreichend darauf vorbereitet sein. Bewährungshelfer und Polizei überwachten jeden Schritt.

In trockenen Tüchern

Seit Donnerstag vergangener Woche ist eine Reform der Sicherungsverwahrung "in trockenen Tüchern" - und das mit ganz breiter Mehrheit. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP sowie die oppositionelle SPD waren sich darüber einig, "Kinder, Jugendliche und Frauen auch weiter vor Gewalttätern zu schützen, die als hochgefährlich gelten", wie die sozialdemokratische Abgeordnete Christine Lambrecht es auf den Punkt brachte. Der beschlossene Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass die nachträgliche (also die während der Haft verhängte) Sicherungsverwahrung entfallen soll. Die vorbehaltene (also die im Strafurteil festgeschriebene) Sicherungsverwahrung soll auf schwerste Taten wie Mord oder Vergewaltigung beschränkt bleiben.

Ferner ist vorgesehen, dass aus dem Gefängnis Entlassene, etwa Sexualstraftäter, in bestimmten Fällen eine elektronische Fußfessel tragen müssen. Weiterhin ist geplant, mittels eines Gesetzes zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter, Personen, bei denen die Gefahr erneuter Straffälligkeit besteht, eine sichere Unterbringung zu ermöglichen. Das gilt potentiell auch für bereits Entlassene. Zwei Gutachter sind nötig, um die Störung des Mannes (oder der Frau) zu attestieren.

Länder gefragt

Nach einer Anhörung im Rechtsausschuss, bei der neun namhafte Sachverständige befragt wurden entschloss sich die Koalition ihren Entwurf zu ändern: So sind Straftaten, die eine Sicherungsverwahrung nach sich ziehen können, noch weiter eingeschränkt worden. Bei Vermögensstraftaten oder "gemeingefährlichen Straftaten" (beispielsweise Brandstiftung oder Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion) ist Sicherungsverwahrung nach dem Willen des Bundestages künftig nicht mehr möglich.

Verteter von CDU/CDU und SPD appellierten an die Bundesländer, die nun gefundene Regelung auch umzusetzten. Das Gesetz könne nur so gut sein wie die anschließende Umsetzung, so äußerte die Unionsabgeordnete Andrea Astrid Voßhoff und fügte hinzu: "Wir sind es der Sicherheit unserer Bürger schuldig." Lambrecht war der Meinung, dass das die Länder "richtig viel Geld kosten" würde. Sie müssten Therapieangebote bereitstellen und für entsprechende räumliche Ausgestaltung sorgen.

Lambrecht nahm auch zum Therapieunterbringungsgesetz Stellung: Ziel müsse sein, Menschen auf das vorzubereiten, was in der Freiheit auf sie zukomme. Diese Unterbringung dürfe für niemanden bedeuten: "Tür zu, und das war es." Voßhoff erinnerte an das EGMR-Urteil. Viele Bürger hätten danach gefragt: Was tut der Staat dagegen, dass viele Straftäter, die "erklärtermaßen als gefährlich eingestuft werden", frei kommen. Man habe sich nicht dem "Druck der Stammtische" gebeugt, wie von Linken behauptet, erklärte die CDU-Abgeordnete weiter. "Sprechen Sie doch einmal mit den besorgten Eltern, in deren Nachbarschaft solche Straftäter wohnen, die aus einem ganz anderen Grund freigelassen wurden als dem, dass sie nicht mehr gefährlich sind."

Entwurf zu schlecht

Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen stimmen dem Entwurf nicht zu. Halina Wawzyniak (Die Linke) begründete dies, das postulierte Ziel der Sicherungsverwahrung als "Ultima Ratio" werde nicht eingehalten. Sicherungsverwahrung bedeute im Kern, dass Menschen, die für früher begangene Sraftaten eine Freiheitsstrafe verbüßt hätten, aufgrund einer vermuteten Gefährlichkeit für die Zukunft präventiv weggesperrt werden. Das stehe im Widerspruch zum Schuldprinzip des deutschen Strafrechts. "Unter dem Strich ist der Gesetzentwurf zu schlecht, als dass wir ihm zustimment könnten", begründet Jerzy Montag (Grüne) die ablehende Haltung seiner Fraktion.

40 Jahre ist es her, seit eine ähnlich große Reform der Sicherungsverwahrung erfolgte. Darauf wies Max Stadler (FDP), Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundejustizministerin, hin. Ob die Reform sinnvoll war, das wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Wie gesagt: Das Thema ist hoch emotional.