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Rutschpartie ins neue Jahr

ARBEITSMARKT Stress für die Jobcenter: Sie müssen die Strukturreform verdauen und die umstrittene Hartz-Reform umsetzen

13.12.2010
2023-08-30T11:26:11.7200Z
4 Min

Martina Neubert ist ein optimistischer Mensch. Auch wenn die Geschäftsführerin der Dresdner Arge Anfang Dezember noch nicht zu einhundert Prozent weiß, welche gesetzlichen Anforderungen sie und ihre rund 700 Mitarbeiter ab 1. Januar 2011 umzusetzen haben, bleibt sie gelassen. "Wir sind es ja schon ein Stück weit gewöhnt, schnell und unbürokratisch Lösungen zu finden." Natürlich sei es schwierig, jetzt erst einmal unter Vorbehalt planen zu müssen, "aber dass hier in drei Wochen das Chaos ausbricht, kann ich ausschließen". Am 17. Dezember wird der Bundesrat über die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und das Bildungspaket für arme Kinder entscheiden. Stimmt die Länderkammer der Hartz-IV-Reform der Bundesregierung nicht zu - was nicht unwahrscheinlich ist -, geht die Sache in den Vermittlungsausschuss - und das kann dauern. Nichtsdestotrotz sollen die beschlossenen Leistungen ab Jahresbeginn unter Vorbehalt gelten. Für Martina Neubert ist klar: "Wenn Mittel aus dem Bildungspaket bei uns beantragt werden, bearbeiten wir das auch und bieten ein Basisangebot an."

«Moderne Schaltstellen»

Denn nicht nur die Hartz-IV-Regelsätze ändern sich 2011, auch die Jobcenter sollen ab Januar nach einer neuen Struktur arbeiten. Als "moderne Schaltstellen" hat Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die bundesweit fast 350 Einrichtungen bezeichnet, die sich um die insgesamt mehr als 6,7 Millionen Menschen kümmern, die auf Hartz-IV angewiesen sind. Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung dieser Menschen in Arbeit, sondern künftig auch um die Lernförderung von Kindern und Hilfe bei der Kinderbetreuung für Alleinerziehende. Martina Neubert führt deshalb seit Monaten Gespräche mit allen Partnern, die ihr Jobcenter für die Bewältigung der Aufgaben an seiner Seite braucht. "Wir reden mit den Catering-Anbietern der Region über ihre Angebote für das Schulessen und mit der Schulverwaltung über Möglichkeiten für die Nachhilfe. Mit dem Eigenbetrieb der Stadt, der für die Vergabe von Betreuungsplätzen in Krippen und Kindergärten zuständig ist, haben wir eine Vereinbarung, dass Betreuungsplätze vorgehalten werden, wenn allein erziehende Mütter zurück in den Job wollen und das am fehlenden Kita-Platz scheitern könnte." Zum Glück gebe es schon jetzt umfangreiche Netzwerke in der Stadt, auf die man dafür zurückgreifen könne.

Seit 2005 kümmern sich die Arbeitsgemeinschaften der Agentur für Arbeit und der Kommunen um die Betreuung von Menschen, die staatliche Leistungen zum Lebensunterhalt benötigen. Damals legte die rot-grüne Bundesregierung Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen - und die Jobcenter wurden zu Anlaufstellen für Hartz-IV-Empfänger. Sie sind seither sowohl dafür zuständig, Leistungen wie die Regelleistung oder Unterstützung bei der Unterkunft und Heizung zu gewähren als auch ihre Klienten in Arbeit zu vermitteln, ihnen Weiterbildungen oder Eingliederungszuschüsse zu genehmigen. Die Idee hinter dem Projekt klang einleuchtend: Langzeitarbeitlose sollten nicht wie zuvor mehrere Ansprechpartner in verschiedenen Behörden haben, sondern unter einem Dach betreut werden.

Doch im Dezember 2007 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die Bildung der Arbeitsgemeinschaften teilweise gegen das Grundgesetz verstoße - eine "Mischverwaltung", bei der die Bürger nicht klar erkennen können, welche Leistungen sie von welcher Behörde erhielten, war nach Ansicht der Karlsruher Richter unzulässig. Drei Jahre gaben sie dem Gesetzgeber für eine Neugliederung der Verwaltung. Ein Großteil dieser Frist verging im Streit: In der großen Koalition scheiterte von der Leyens Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) noch an der CDU mit seinem Vorschlag, die Jobcenter über eine Verfassungsänderung zu legalisieren. Die Union widersetzte sich dem Kurs, wollte Kommunen und Arbeitsagenturen wieder getrennt arbeiten lassen und damit die Jobcenter zerschlagen.

Es dauerte bis Sommer 2010, bis man zu einer gemeinsamen Lösung der schwarz-gelben Koalition mit der SPD kam, der auch die Grünen zustimmten: Eine Änderung des Grundgesetzartikels 91e nebst Begleitgesetz zur Neuordnung der Jobcenter, die der Bundestag im Juni beschloss, sei "eine gute Lösung im Interesse der Menschen", so Ministerin von der Leyen, auch wenn der Weg dahin "steinig" gewesen sei. Die Ministerin will, dass die Jobcenter sich künftig noch stärker als bisher um "passgenaue Qualifizierung" und "sozialintegrative Leistungen" kümmern - die Veröffentlichung der Leistungsdaten der einzelnen Jobcenter werde belegen, wie erfolgreich sie seien und einen produktiven Konkurrenzkampf schaffen. Doch harmonisch verlief auch die Schlussdebatte im Bundestag über die Reform der Jobcenter nicht: Weil das Kabinett kurz zuvor Einsparungen im Etat des Arbeitministeriums von rund 4,3 Milliarden Euro beschlossen hatte, warf die Opposition der Arbeitsministerin Verantwortungslosigkeit vor, weil sie aus Pflichtleistungen bei der Förderung von Arbeitslosen Ermessensleistungen mache und die Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen reduzieren wolle. Die Mittelkürzungen stoßen auch bei denen, die damit in der Praxis der Jobcenter umgehen müssen, auf wenig Begeisterung. Martina Neubert bleibt dennoch diplomatisch: "Unsere Mittelzuweisungen werden 2011 sinken. Das heißt für uns, dass wir unsere finanziellen Mittel noch zielgerichteter und effizienter einsetzen und noch besser darauf achten müssen, was eigentlich der genaue Bedarf ist."

Spezielle Nachschulungen, um auf die erweiterten Aufgaben vorbereitet zu sein, habe es für ihre Mitarbeiter nicht gegeben. "Aber wir sprechen natürlich die Anforderungen, die das Bildungspaket bringen wird, immer wieder durch - auch wenn das alles auf der Seite des Gesetzgebers noch diskutiert wird und wir nicht genau wissen, was wirklich kommt."

Erst mit dem Einlenken der Koalition und ihrer Bereitschaft, Etatmittel für 3.200 neue unbefristete Stellen in den Jobcentern freizugeben, konnte das Scheitern der Reform auf den letzten Metern verhindert werden. In Dresden ist man über dieses Einlenken froh. Hier konnte inzwischen ein Großteil der Arbeitsverträge entfristet werden. "Wir sind damit in Sachsen eine der wenigen Argen, wo das gelungen ist", sagte Neubert. Jetzt wartet man gespannt auf das nächste Votum aus Berlin - doch vorbereitet ist man im Grunde auf alles.