Piwik Webtracking Image

Parlamentarisches Profil : Linke Seiteneinsteigerin: Sabine Leidig

17.01.2011
2023-08-30T12:16:35.7200Z
3 Min

Es war ein bemerkenswertes Votum: Im Rennen um die Spitzenkandidatur der hessischen Linkspartei für die Bundestagswahl 2009 setzte sich die frühere Attac-Frau Sabine Leidig durch und ließ die Wunschkandidatin des Vorstands hinter sich. Bemerkenswert war die Abstimmung insbesondere auch deshalb, weil die Parteibasis damit eine Nicht-Hessin und eine parteilose Seiteneinsteigerin auf Platz eins ihrer Landesliste wählte. Für Leidig selbst war die Kandidatur ebenfalls ein ungewöhnlicher Schritt, hatte sie doch als Geschäftsführerin des globalisierungskritischen Netzwerks Attac bislang eher Distanz zum etablierten Politikbetrieb gehalten.

Heute ist die gebürtige Heidelbergerin nicht nur Mitglied der Partei Die Linke, sondern auch Abgeordnete des Bundestages. Hier, unweit des Reichstagsgebäudes, sitzt sie nun in ihrem Büro: schmal, hoch aufgeschossen, die roten Haare raspelkurz. Dass sie erst 49 Jahre alt und bereits Oma ist - man würde es nicht vermuten. Inhaltlich aber ist sich Leidig trotz des großen Wechsels treu geblieben: Kämpfte sie bei Attac gegen die Bahn-Privatisierung, macht sie sich heute als verkehrspolitische Sprecherin für einen Umbau des Verkehrssektors stark: "Daran ließen sich viele Zukunftsfragen der Gesellschaft bearbeiten - die Klimakrise ist nur eine davon", erklärt sie. Mit dem Programm "Schiene Europa 2025" fordert sie ein milliardenschweres Investitionspaket für den Netzausbau und die Sanierung von Bahnhöfen.

Auch wenn sie inzwischen im Bundestag angekommen ist, die Entscheidung zu kandidieren hat sie sich nicht leicht gemacht. Zu sehr gefiel ihr die Arbeit bei Attac, wo sie von 2003 an das Bundesbüro leitete. Gleichwohl reizte sie das Parlamentsmandat: "Bei Attac konnte ich zwar viel mitgestalten, die Vertretung der Inhalte nach außen ist aber immer Aufgabe der Ehrenamtlichen. Ich hatte Lust, selber diese Rolle zu übernehmen", betont Leidig. Außerdem habe ihr die parlamentarische Erfahrung in ihrem "reichen Fundus politischer Arbeit" gefehlt.

Tatsächlich wurde sie schon früh politisch geprägt: Als 14-Jährige stieß sie zu einer Jugendgruppe, die in Theaterstücken die sozialen Verhältnisse kritisch beleuchtete. "Da ging es um Gerechtigkeit und die Frage, was Menschen zum Leben brauchen", erinnert sich Leidig. Diese Frage ließ sie nicht mehr los: Sie engagierte sich fortan in der Friedensbewegung, demonstrierte 1982 in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss. Im selben Jahr trat sie auch der DKP bei, beschäftigte sich mit politischer Ökonomie, dialektischem Materialismus und Philosophie. "Ich brauchte diesen theoretischen Überbau als Basis für meine praktische Arbeit", erklärt Leidig. Längst war sie zu diesem Zeitpunkt Biologielaborantin beim Deutschen Krebsforschungszentrum und im dortigen Betriebsrat als Jugendreferentin, später alas Personalrätin aktiv. Im Deutschen Gewerkschaftsbund übernahm Leidig zudem den Bereich der Jugendbildungsarbeit.

In der DKP lernte sie jedoch bald die "Widersprüche der kommunistischen Bewegung" kennen: 1991, nach dem Ende der DDR, verließ sie die Partei "aus Enttäuschung über die Unfähigkeit, mit Fehlern oder der Kritik der Mitglieder umzugehen". So bedächtig Leidig ihre Worte wählt, so klar ist sie in ihren politischen Überzeugungen. Sieht sie diese verletzt, scheut sie sich nicht, Konsequenzen zu ziehen: So, als sie dem DGB den Rücken kehrte, um zu Attac zu wechseln. Dabei hatte man sie 2002 gerade erneut im Amt der Regionschefin für Mittelbaden bestätigt. Doch für Leidig war anderes wichtiger: "Attac hat die richtigen Fragen aufgeworfen. Die Kritik an der Globalisierung und dem entfesselten Kapitalismus war angesagt - die Gewerkschaften haben das versäumt."

Jetzt ist die Arbeit als Bundestagsabgeordnete ihr "neues Lebensprojekt". Doch so sehr Leidig die Möglichkeiten des Mandats lobt, es klingt auch Kritik an, wenn sie über den Parlamentsbetrieb spricht: Debatten seien oft keine echten Debatten. Zu wenig gehe es um Meinungsbildung, um den Austausch von Argumenten - umso mehr dafür um die Macht der Mehrheit. Für Leidig, die die Entscheidungsfindung im Konsens bei Attac schätzte, eine Umstellung. Sie scherzt: "Vielleicht habe ich den tieferen Sinn noch nicht erfasst?"