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Kafka lässt grüßen

RECHT Koalition plant Entschädigungen bei überlangen Gerichtsverfahren

24.01.2011
2023-08-30T12:16:35.7200Z
2 Min

Die Situation war nahezu kafkaesk: Nach einem Verkehrsunfall stritt ein türkischer Staatsbürger, der in Stade lebte, volle 24 Jahre mit seiner Versicherung vor Gericht um die Haftungssumme. Das Urteil ließ auf sich

warten. Entnervt zog der Mann schließlich vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Mit Erfolg: Im Jahr 2006 sprachen ihm die Straßburger Richter nicht nur Schadenersatz zu, sondern ermahnten auch die damalige Bundesregierung, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahren zu schaffen.

Passiert ist jahrelang nichts, obwohl weitere Verurteilungen in ähnlichen Fällen folgten. Im vergangenen Jahr setzte der EGMR Deutschland nun eine Frist: Im Laufe eines Jahres solle die Regierung endlich ein Rechtsmittel schaffen, mit dem Bürger überlange Prozesse beschleunigen können. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (17/3802) wurde am vergangenen Donnerstag vom Bundestag in die erste Lesung behandelt.

"Gerichtlicher Rechtsschutz ist nur dann effektiv, wenn er nicht zu spät kommt", stellt die Bundesregierung darin fest. Wer sich künftig einem überlangen Verfahren ausgesetzt sieht, kann laut Entwurf auf eine Entschädigung pochen. Dieser Anspruch soll sowohl materielle als auch immaterielle Nachteile ausgleichen, die sich durch die Länge des Verfahrens ergeben haben. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß Entwurf nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Die Länder sollen für den Schadenersatz aufkommen.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU) betonte, wie schwierig die Regelung der Materie ist: Man müsse einerseits ein wirksames Rechtsmittel schaffen, ohne andererseits "dem missbräuchlichen Einsatz Tür und Tor zu öffnen." Die Verzögerungsrüge mit anschließender Entschädigungsklage könne schnell zum Massenphänomen werden. Die SPD sieht vor allem noch Klärungsbedarf bei der Entschädigungsregelung. Die Entschädigung dürfe nicht erst ab dem Zeitpunkt der Rüge durch den Betroffenen bei Gericht fällig werden, sagte Edgar Franke (SPD). Das solle gewährleisten, dass die Regelung "eine präventive Wirkung bei den Gerichten entfalten" könne. Die Grünen kritisierten am Entwurf unter anderem die Regelung der immateriellen Schäden. Ingrid Hönlinger befürchtete, dass viele Betroffene in der Praxis kein Geld sehen, sondern mit der bloßen Feststellung, dass ein Verfahren zu lange gedauert hat, nach Hause geschickt werden.