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Schatten der Vergangenheit

GEHEIMDIENSTE Streit im Bundestag über späte Erkenntnis zu Adolf Eichmann

24.01.2011
2023-08-30T12:16:35.7200Z
3 Min

Geheimdienste, das liegt in der Natur der Sache, arbeiten am liebsten im Verborgenen. Dafür haben auch die Mitglieder des Deutschen Bundestages Verständnis. Die meisten jedenfalls: Unter den Bundestagsfraktionen ist nun Streit darüber ausgebrochen, ob der Bundesnachrichtendienst (BND) seine Akten über den NS-Verbrecher Adolf Eichmann offen legen muss.

Nach Medienberichten der vergangenen Wochen konnte mit Eichmann einer der Hauptverantwortlichen für die Vernichtung der europäischen Juden jahrelang unbehelligt in Argentinien leben, obwohl der BND-Vorläufer "Organisation Gehlen" bereits 1952 über seinen Aufenthaltsort und Decknamen Bescheid wusste. Nach diesen Berichten informierte der Bundesnachrichtendienst erst sechs Jahre später einen US-amerikanischen Agenten über diese Fakten; Eichmann wurde 1960 vom israelischen Geheimdienst gefasst und 1962 in Jerusalem hingerichtet.

Aktuelle Stunde

Der Linke-Abgeordnete Jan Korte wollte am vergangenen Mittwoch in der Fragestunde wissen, wer nach Auffassung der Bundesregierung die Verantwortung dafür trage, dass die Informationen über Eichmann zurückgehalten worden seien. Seiner Fraktion erschienen die Ausführungen der Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Maria Böhmer (CDU), unzureichend. Korte fragte, wo die "Empörung" der Bundesregierung über die "unfassbaren Vorgänge" bleibe, und stellte fest, es müsse nun zu einer "schonungslosen Offenlegung" der BND-Akten zum Fall Eichmann kommen. Alle Bürger des Landes, vor allem aber die Opfer des Holocaust und ihre Angehörigen, hätten einen Anspruch auf einen "völlig offenen Zugang" zu diesen Akten.

Eine Einschätzung, die weder die Koalition noch die SPD teilten: Ein Nachrichtendienst könne seine Unterlagen "nicht auf den Marktplätzen der Welt" ausbreiten, stellte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Manfred Grund, fest. Er warf Korte vor, den BND "ins Zwielicht" rücken zu wollen, und verwies auf das Parlamentarische Kontrollgremium, das sich in dieser Woche mit dem Thema Eichmann beschäftigen werde.

"BND-Bashing"

Für die FDP betonte der Innenpolitiker Stefan Ruppert, Nachrichtendienste hätten ein "legitimes Geheimhaltungsinteresse", dennoch gebe es gerade im Moment ernst gemeinte Bestrebungen zur Aufarbeitung der BND-Vergangenheit. Mit Blick auf Die Linke stellte Ruppert fest, deren eigene Vergangenheitsbewältigung sei "so defizitär", dass sie sich schämen müsse. Auch der Obmann der SPD-Fraktion im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss, Michael Hartmann, riet der Linksfraktion, zunächst die Biographien einiger ihrer Abgeordneter zu überprüfen. Am "BND-Bashing" werde seine Fraktion sich nicht beteiligen, der Nachrichtendienst erfülle "unerlässliche Aufgaben".

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jerzy Montag, wollte diesen Streit nicht weiter führen: Er würde sich wünschen, dass die Debatte um die NS-Vergangenheit "nicht im gleichen Atemzug mit der Aufarbeitung des DDR-Unrechts" geführt werde. Er rief den BND dazu auf, ein Symposium zu veranstalten, auf dem er von sich aus Akten auf den Tisch bringe. Geschehe dies nicht, stehe zu befürchten, dass es in den Beständen von BND und Bundesverfassungsschutz weitere Informationen wie im Fall Eichmann gebe.

Neue Kommission

Unabhängig vom Streit der Fraktionen um die eigene Vergangenheit und die Frage, ob die Eichmann-Akten offen gelegt werden müssen oder nicht: Viele BND-Interna werden demnächst ohnehin bekannt werden. Dafür soll eine vierköpfige Historiker-Kommission sorgen, die der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Ernst Uhrlau, gerade einberufen hat. Sie soll die bislang nicht freigegebenen Akten aus Pullach auswerten und die Vor- und Frühgeschichte des Dienstes erforschen.

Interessant dürfte dabei vor allem die Frage sein, in welchem Ausmaß Täter des Holocaust innerhalb des Bundesnachrichtendienstes Karriere machten. Dessen Vorläufer war von dem ehemaligen Wehrmachts-Offizier Reinhard Gehlen gegründet worden, der auch ehemalige SS- und Gestapo-Angehörige rekrutierte. Wie viele der Erkenntnisse der Historiker tatsächlich publiziert werden dürfen, wird der BND selbst entscheiden - Ernst Uhrlau, noch bis Ende 2011 im Dienst, hat jedenfalls angekündigt, von seiner Seite werde es "keinerlei Restriktionen" geben.