Piwik Webtracking Image

Tiefer Griff in den Geldbeutel

Ernährung In Deutschland und weltweit klettern die Lebensmittelpreise

28.02.2011
2023-08-30T12:16:38.7200Z
4 Min

Spaziergänge durch Supermärkte sind derzeit nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Obst und Gemüse, als Gesundmacher empfohlen, haben sich spürbar verteuert, 2010 um über sechs Prozent, im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat sogar um bis zu acht Prozent. Speisefette und Öle ebenso wie Fruchtsäfte kosten im Jahresvergleich an die neun Prozent mehr, bei Kaffee ist es ein Plus von sechs Prozent, bei Fisch von annähernd vier Prozent. Für Geflügel sind bald 15 bis 20 Prozent mehr hinzublättern. Bei Milch und Milchprodukten wie Butter waren schon 2010 erhebliche Aufschläge zu verzeichnen, das hohe Niveau ist seither geblieben.

Konzerne wie Nestlé, Danone, Unilever und Kraft Foods wollen mehr für ihre Produkte verlangen, und das verheißt höhere Preise auf breiter Front. Dass die Ausgaben der Verbraucher für Essen und Trinken kräftig anziehen, schlägt sich auch in statistischen Durchschnittszahlen nieder. 2010 lag die allgemeine Inflationsrate bei 1,1 Prozent und im Januar bei zwei Prozent, bei Nahrungsmitteln hingegen bei 1,6 und 2,8 Prozent. Deren Verteuerung macht sich im Empfinden der Konsumenten noch zusätzlich bemerkbar wegen der "gefühlten Inflation": Der Angriff aufs Portemonnaie fällt bei Orangen oder Kaffee besonders stark auf, weil man in der Bäckerei, in der Metzgerei und im Supermarkt recht häufig aufzutauchen pflegt - Preisrückgänge bei Computern werden indes kaum registriert.

Rohstoffpreise gestiegen

Hinter der Teuerungswelle stehen weltweit drastisch gestiegene Ausgaben für viele agrarische Rohstoffe. Für Weizen erhöhten sich die Kosten seit Januar 2010 um über 60 Prozent. Der Preis für Kakaopulver liegt auf dem höchsten Niveau seit 70 Jahren. Spürbar teurer wurden außerdem Milch, Kaffee, Zucker, Öle, Fette. Die Preisexplosion bei Erdöl wirkt sich auch in der Landwirtschaft aus.

Nun werden wohlsituierte Mittelschichtler, ohnehin oft Kunden in teuren Bioläden, die Preisaufschläge wegstecken können. Ganz anders sieht es bei Einkommensschwachen aus: bei vielen Rentnern, bei Studenten und Hartz-IV-Empfängern.

»Situation beherrschbar«

Da mag es verwundern, dass in der Politik keine Alarmglocken schrillen. Edmund Geisen, FDP-Obmann im Agrarausschuss des Bundestags: "In Deutschland sehe ich angesichts der lange Zeit historisch niedrigen Lebensmittelpreise die Lage nicht so dramatisch. Das wird erst dann zum Problem, wenn die Preiserhöhungen für Nahrungsmittel über den Einkommenszuwächsen liegen." Geisens Kollegen von Union und SPD, Franz-Josef Holzenkamp und Wilhelm Priesmeier, räumen unisono ein, dass verteuerte Lebensmittel "Einkommensschwache hart treffen können". Das sei ohne Zweifel ein Problem, doch sei die Situation hierzulande "beherrschbar", sagt Priesmeier (SPD). Holzenkamp (CDU/CSU) verweist darauf, dass "die Deutschen im Schnitt nur elf Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden".

"Viel gravierender" (Priesmeier) ist jedoch die Situation in der Dritten Welt. Die UN-Ernährungsorganisation FAO geht von fast einer Milliarde Menschen aus, die nicht genug zu essen haben. Nach FAO-Berechnungen geben die Menschen in armen Staaten bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, und da schlagen Verteuerungen stark ins Kontor.

"Im Weltmaßstab hält das Angebot, hält die Lebensmittelproduktion mit der stetig steigenden Nachfrage nicht Schritt", analysiert Holzenkamp: "2010 gab es global die drittgrößte Ernte aller Zeiten, und trotzdem hat es nicht gereicht". Jedes Jahr steigt die Zahl der Erdenbürger um rund 80 Millionen. In Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien erhöhen sich Kaufkraft und Nachfrage: Auch in Rio und Mexiko wollen die Leute ihren Macchiato trinken und zu gutem Wein ein saftiges Steak verspeisen.

Immer mal wieder kommt es zu Wetterkatastrophen wie etwa der Dürre in Russland mit Ernteausfällen, die das Angebot verknappen. Auch werden auf Ackerflächen zunehmend Energiepflanzen zur Gewinnung von Biosprit angebaut, in großem Stil in den USA, in Südamerika und Südostasien. Ohne eine Ausweitung der Lebensmittelproduktion vor allem in Entwicklungsländern ist gegen die Preisschübe kein Kraut gewachsen. Priesmeier: "Die USA und Europa können nicht die Welt ernähren." Ein Zauberwort lautet "Effizienzsteigerung". Holzenkamp: "Aus der Landwirtschaft in der Dritten Welt ist mehr herauszuholen." Geisen über ein wenig beachtetes Phänomen: "Eine Hauptaufgabe sehe ich in der Minimierung von Ernteverlusten in Entwicklungsländern, wo bislang 40 bis 50 Prozent der Erträge aufgrund schlechter Lagerung verloren gehen."

Wie seine Kollegen verlangt Priesmeier von der Entwicklungshilfe, sich intensiver um die Landwirtschaft in ländlichen Regionen der Dritten Welt zu kümmern. Bisher habe man es nicht geschafft, kritisiert Geisen, "Kleinbauern ihren Besitz zu garantieren, um so die Lebensmittelproduktion für die Selbstversorgung und den Tauschhandel zu stabilisieren".

Effizienz verbessern

Der FDP-Abgeordnete hält es für möglich, durch Effizienzverbesserungen in der Landwirtschaft "weltweit auf den agrarischen Anbauflächen die Gewinnung von Nahrungsmitteln wie von Energie zu steigern". Da sind Holzenkamp und Priesmeier skeptischer. Für ihn ist die Ausweitung der Biospritgewinnung eine "gewisse Fehlsteuerung", an erster Stelle müsse die Lebensmittelproduktion stehen. Sozialdemokrat Priesmeier fordert, den Anbau von Energiegewinnung auf Äckern nicht auszudehnen: "Wenn Biospriterzeugung den Weizenanbau verdrängt, klettern nun mal die Getreidepreise."

Im Sinne von Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) will Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy auf der Ebene der G-20-Staaten die Spekulation mit Agrarrohstoffen als preistreibenden Faktor bekämpfen. Freilich ist offen, wie dies konkret geschehen soll. Priesmeier unterstützt solche Initiativen gegen die Spekulation vor allem große Fonds agierten an den Börsen über das normale Maß hinaus. Auch Holzenkamp plädiert für mehr Transparenz an den Märkten. Das Grundproblem sei jedoch das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, das die Spekulation erst ermögliche.

Der Bundestags-Agrarausschuss will jedenfalls am Ball bleiben und deshalb demnächst eine Anhörung zur Welternährungslage organisieren.