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Neue Anreize für Migranten

BLEIBERECHT Die Koalition will Integrationserfolge belohnen. Die Opposition spricht von »Trippelschritten«

21.03.2011
2023-08-30T12:16:39.7200Z
4 Min

Für die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen ist es ein Beitrag zur Chancenverbesserung für Migranten. Die Opposition spricht hingegen von "Symbolpolitik" und nennt Teile der Regelung "schäbig". Das am vergangenen Donnerstag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen verabschiedete "Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften" (17/4401, 17/5093) wurde während der Schlussdebatte höchst unterschiedlich bewertet. Dabei sind sich in der Zielstellung alle einig: Der Kampf gegen die Zwangsheirat muss vorangetrieben werden, die Praxis der Kettenduldung soll beendet und die Integration verbessert werden.

Bis zu fünf Jahre Haft

Das verabschiedete Gesetz sieht nun unter anderem ein eigenständiges Wiederkehrrecht für ausländische Opfer von Zwangsverheiratungen vor, die von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden. Zudem wird es einen eigenständigen Straftatbestand gegen Zwangsheirat im Strafgesetzbuch geben. Wer Frauen und Mädchen zu einer Zwangsheirat nötigt, kann demzufolge künftig mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Darüber hinaus wird die Antragsfrist zur Aufhebung der Ehe im Bürgerlichen Gesetzbuch von einem auf drei Jahre verlängert. Um den Anreiz zur Eingehung einer Scheinehe zu vermindern, wird außerdem die Mindestbestandszeit, die für den Fall des Scheiterns der Ehe ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begründet, von zwei auf künftig drei Jahre erhöht.

Das Gesetz beinhalte "pragmatische Ansätze für eine solide Integrationspolitik", sagte der am Vortag vereidigte neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Der darin zum Ausdruck kommende Grundsatz des Förderns und Forderns mache deutlich, "wir lassen Migranten nicht allein, fordern aber deren aktives Bemühen um Integration". Dass erbrachte Integrationsleistungen belohnt würden, zeigt laut Friedrich die auf Antrag der Koalitionsfraktionen eingebrachte Änderung, wonach "geduldete Jugendliche bei guter Integration einen eigenständigen Aufenthaltstitel erhalten".

"Trippelschritte unter großen Überschriften" biete das Gesetz, bemängelte hingegen der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit. Zwar werde Opfern von Zwangsheirat durch ein verbessertes Rückkehrrecht geholfen. Zugleich solle dies aber nur bei einer positiven Integrationsprognose möglich sein. "Das leuchtet mir nicht ein", sagte Veit, der zudem den Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens kritisierte. Es sei nicht möglich gewesen, die Ergebnisse der "wirklich guten Anhörung" vom vergangenen Montag einzuarbeiten. Er könne auch nicht erkennen, warum es Union und FDP mit dem Gesetzentwurf "so furchtbar eilig haben".

Für Ulla Jelpke (Die Linke) lag es hingegen auf der Hand, warum die Koalition den Gesetzentwurf "im Schweinsgalopp" durchgezogen habe, obwohl fünf von sieben Sachverständigen bei der Anhörung "grundlegende Kritik" daran geäußert hätten: "Es geht Ihnen um rechtspopulistischen Stimmenfang vor den Landtagswahlen Ende März", sagte sie.

Kritik an "Multikultiromantik"

Aus Sicht des FDP-Abgeordneten Hartfrid Wolff schafft man jedoch mit dem Gesetz die Abkehr von einer ideologischen Integrationspolitik. Es habe sich gezeigt: "Die Multikultiromantik hilft nicht weiter", sagte er. Schwarz-Gelb sorge nun dafür, dass sich die Chancen der Migranten verbesserten. Zugleich betone der Gesetzentwurf die Bedeutung des Opferschutzes. Daher habe man das Rückkehrrecht für Opfer von Zwangsheirat beschlossen. "Bisher ist das Aufenthaltsrecht nach sechsmonatiger Abwesenheit automatisch erloschen", erinnerte Wolff. Neben der Lockerung der Residenzpflicht beinhalte das Gesetz mit der Erhöhung der Mindestbestandzeit der Ehe auch eine Maßnahme gegen Scheinehen. Der Vorwurf, damit würden Frauen gezwungen ein Jahr länger mit einem eventuell gewalttätigen Partner leben zu müssen, sei nicht zutreffend. Für diese Fälle gebe es Härtefallregelungen. Die Ausländerbehörden seien gehalten, diese großzügig zu handhaben.

Aus Sicht von Jelpke zeigt jedoch gerade die Ehebestandverlängerung, dass es "reine Heuchelei" sei, wenn die Koalition behaupte, sich für die betroffenen Frauen einzusetzen. Es gebe, sagte Jelpke, noch nicht einmal empirische Untersuchungen über die Zahl von Scheinehen.

Der Grünen-Abgeordnete Josef Winkler nannte die Regelung schäbig. "Opfer von Zwangsehen müssen sich nun ein Jahr länger prügeln lassen", sagte er. Die angesprochene Härtefallregelung greife nicht. Dafür seien die aufgebauten Hürden "viel zu hoch". Mit dem Gesetz werde eine frauenfeindliche Symbolpolitik betrieben, die "weder christlich noch liberal" sei.

Streit um Integrationskurse

Als "unsäglichen Populismus" bezeichnete Aydan Özoguz (SPD) die "Verschärfung des Aufenthaltsrechts", wonach nur bei erfolgreichem Bestehen des Integrationskurses ein langfristiger Aufenthaltstitel zu erreichen sei. Ansonsten werde der Titel auf ein Jahr befristet. "Das ist eine Beruhigungspille für die Stammtische und erinnert in der Konstruktion an die Kettenduldungen", sagte sie.

Mit dem neuen Aufenthaltsrecht stärke die Koalition die Integrationskurse, sagte hingegen der Unions-Abgeordnete Reinhard Grindel (CDU). Die Ausländerbehörden müssten nun konsequent überprüfen, ob ein Neuzuwanderer seiner Pflicht zum Besuch der Kurse auch nachkommt. Wenn dies nicht der Fall sei, werde die Aufenthaltserlaubnis nur um ein Jahr verlängert, sagte Grindel. Der CDU-Politiker zeigte sich insgesamt zufrieden mit den gefundenen Regelungen. Sozialdemokraten und Grüne wären stolz gewesen, hätten sie dies so hinbekommen, befand er: "Sie hätten sich in einer rot-grünen Sänfte durch Kreuzberg tragen lassen."