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Schwarzer Peter

LÖHNE Frauen werden schlechter bezahlt als Männer. Die Opposition will das per Gesetz ändern. Die Koalition lehnt ab

11.04.2011
2023-08-30T12:16:41.7200Z
6 Min

Die Einkommen von Frauen und Männern in Deutschland weichen trotz des im Grundgesetz verbrieften Gleichheitsgrundsatzes weiterhin erheblich voneinander ab. Rund 23 Prozent beträgt nach Angaben des Statistischen Bundesamtes der Lohnunterschied. Der seit 2008 jährlich am 25. März stattfindende "Equal Pay Day" prangert dieses Ungleichbehandlung an. Bis zu diesem Tag müssten Frauen über den Jahreswechsel hinaus arbeiten, um auf das durchschnittliche Vorjahresgehalt von Männern zu kommen.

Die andauernde unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern, so urteilten die Koalitions- und Oppositionsfraktionen während der Bundestagsdebatte am vergangenen Donnerstag einhellig, sei nicht hinnehmbar. Doch mit dieser Feststellung endet auch schon die Einigkeit unter den Parlamentariern. Höchst unterschiedlich sind die Ansätze, mit denen das Problem angegangen werden soll. Während die Koalition weiterhin auf Selbstverpflichtungen der Unternehmen setzt und auf die Verantwortung der Gewerkschaften für die Lohnabschlüsse verweisen, fordert die Opposition gesetzliche Regelungen. Die Debatte erinnerte an das bekannte Schwarze-Peter-Spiel.

Die SPD-Fraktion legte einen Antrag (17/5038) vor, demzufolge ein Gesetz über die Entgeltgleichheit für die gesamte Privatwirtschaft ab einer bestimmten Beschäftigtenanzahl, den öffentlichen Dienst und für Tarifvertragsparteien, die Branchen- oder Firmentarifverträge abschließen, gelten solle. Die Unternehmen sollen zudem verpflichtet werden, den Behörden in regelmäßigen Abständen anonymisierte, geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte Entgeltdaten vorzulegen, die dann auf Un- gleichbehandlung geprüft werden sollen. Auch die Tarifparteien müssten verpflichtet werden, die Tarifverträge zu überprüfen und gegebenenfalls umzugestalten.

Diskriminierung

"Bürokratie pur" sei dies, urteilte die FDP-Abgeordnete Sibylle Laurischk. Nichts anderes als das Grundgesetz, in dem die Gleichheit von Männern und Frauen festgeschrieben sei, solle damit durchgesetzt werden, entgegnete der SPD-parteivorsitzende Sigmar Gabriel. Auch seine Fraktionskollegin Caren Marks verwies darauf, dass die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Deutschland geltendes Recht sei. Dennoch würden Frauen noch immer 23 Prozent weniger verdienen als Männer, sagte sie. Damit liege Deutschland noch über dem EU-Durchschnitt von 18 Prozent. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Verantwortlichen aus eigenem Antrieb eben nicht tätig würden. "Ein Gesetz muss die Arbeitgeber zwingen, Entgeltgleichheit herzustellen", sagte sie. Benötigt werde Transparenz über die Entlohnung in den Betrieben. Die "Geheimniskrämerei" über die Einkünfte begünstige Lohndiskriminierung, befand Marks. Werde dies durch staatliche Stellen festgestellt, müsse auch eine Klagemöglichkeit geschaffen werden, forderte sie. Marks kündigte die Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfs an: "Wo sich Schwarz-Gelb vor der Wirtschaft wegduckt, werden wir handeln und die Lohndiskriminierung von Frauen endlich wirksam gesetzlich bekämpfen."

Appell an die Tarifparteien

Gerade weil ein Entgeltunterschied von 23 Prozent "nicht hinnehmbar" sei, müsse man sich bei diesem "sehr komplexen Thema" die Ursachen genau anschauen, forderte die Unionsabgeordnete Nadine Schön. So gebe es bei allen Angleichungstendenzen noch immer Unterschiede in der Qualifikation, die "selbstverständlich zu niedrigeren Löhnen führen". Ein weiterer Grund sei die Berufswahl. Noch zu selten würden Frauen technische und mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildungsgänge und Studienfächer wählen. Auch die Lebensläufe von Frauen, die öfter durch Erwerbsunterbrechungen gekennzeichnet seien und die hohe Teilzeitquote gehörten zu den "harten Fakten", die zur Entgeltungleichheit führen würden. Würde man diese jedoch "herausrechnen" bliebe immer noch ein Unterschied von sechs bis zehn Prozent, sagte Schön. Das sei zum einen den eher zurückhaltenden Gehaltsverhandlungen von Frauen geschuldet, zum anderen aber auch eine klare Diskriminierung. Jetzt jedoch nach der "Allzweckwaffe der staatlichen Regulierung" zu rufen sei zu staatsgläubig und zudem unwirksam, befand die CDU-Parlamentarierin. Wichtiger sei es, "an die Wurzel des Übels zu gehen". So müsse es beispielsweise nicht immer so sein, dass klassische Frauenberufe schlechter bezahlt werden. Dies zu ändern sei jedoch Aufgabe der Tarifparteien. "Hier darf nicht immer nach der Politik geschrien werden, sondern muss auch die eigene Verantwortung wahrgenommen werden", forderte sie und appellierte zugleich an die Unternehmen, Brüche im Lebenslauf, wie sie bei Frauen nicht zuletzt durch Schwangerschaften vorkommen würden, "nicht als Nachteil zu werten".

Mit ihrem Ruf nach den Gewerkschaften forderte die Unionsabgeordnete den Widerspruch von Sigmar Gabriel heraus. Die Koalition, so kritiserte der Sozialdemokrat, wolle auf der einen Seite staatliche Aufgaben auf die Tarifparteien auslagern, sei aber auf der anderen Seite gerade dabei, die Tarifverträge zu zerstören. Gabriel widersprach auch Schöns Fraktionskollegin Ewa Klamt, die davon gesprochen hatte, dass der benötigte gesellschaftliche Wandel "nicht per Gesetz verordnet werden kann". Mit dem Ausbau der Kinderbetreuungsangebote, dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz, dem Projekt "Perspektive Widereinstieg" und dem Elterngeld hat die Union laut Klamt "die Weichen richtig gestellt".

Aus der Sicht von Gabriel geht es jedoch nicht um "Bewusstseinsbildung", sondern um Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt: "Es geht um die Durchsetzung unserer Verfassung." Das sei Aufgabe des Gesetzgebers und nicht von Privatpersonen oder Tarifparteien. Was Selbstverpflichtungen der Wirtschaft angingen, so sei auch seine Partei einst dem Irrtum aufgesessen, diese würden helfen. "Lernen Sie doch aus den Fehler der Sozialdemokratie", rief Gabriel der Koalition zu.

Forderung nach Mindestlohn

"Wie lange wollen Sie noch an die Wirtschaft appellieren?", fragte auch Sabine Zimmermann von der Linksfraktion und verwies auf die Geschichte. Schon vor mehr als 100 Jahren, so führte Zimmermann an, habe Clara Zetkin erkannt, dass die Gleichstellung der Frauen mit den Männern nur über eine ökonomische Gleichstellung erfolgen könne. "Die Forderung ist heute so aktuell wie damals", urteilte sie.

Die Entgeltunterschiede seien in den vergangenen Jahren eher noch gewachsen. Zudem seien 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor Frauen. Das habe jedoch nichts mit vermehrter Teilzeitarbeit zu tun. "Jede dritte Frau arbeitet Vollzeit und befindet sich dennoch im Niedriglohnbereich", sagte Zimmermann. Daher sei klar: "Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, wie er in vielen Ländern Europas seit langem bekannt ist." Es sei ein Skandal, dass die Koalition sich dem verwehre. Zimmermann erinnerte daran, dass es die Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre gewesen sei, die etwa durch die Hartz-Gesetze zum Ausbau des Niedriglohnsektors geführt habe. Daher habe der Antrag der SPD auch eine "Leerstelle". Die Linke fordere die Schaffung eines wahren Entgeltgleichheitsgesetzes, welches das Problem der prekären, niedrig entlohnten und unfreiwilligen Teilzeitarbeit angeht.

Ost-West-Gefälle

Die Lohnlücke in Deutschland sei höher als bei den EU-Nachbarstaaten, obwohl das Grundgesetz eine solche Lücke verbiete, stimmte Sibylle Laurischk SPD-Chef Gabriel grundsätzlich zu. Im Koalitionsvertrag hätten sich Union und FDP daher zu Maßnahmen für Entgeltgleichheit verpflichtet, sagte sie. Die Umsetzung sei "auf einem guten Weg", sagte Laurischk. Die Liberale sprach sich klar gegen eine gesetzliche Regelung aus. "Besser und nachhaltiger" sei das Instrument der Selbstverpflichtung. "Die bürokratischen Vorschläge der SPD verursachen nur Kosten und belasten die Unternehmen", urteilte Laurischk. Ebenso wie ihre Koalitionskollegin Schön forderte sie von den Gewerkschaften, "etwas zu tun, damit typische Frauenberufe nicht schlechter vergütet werden". Sie verwies zudem auf ein "deutliches Gefälle zwischen Ost und West". Grund für die geringeren Unterschiede zwischen dem Einkommen von Männern und Frauen im Osten, so Laurischk, sei unter anderem die bessere Infrastruktur bei Kinderbetreuungseinrichtungen.

Aus Sicht von Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen) sind für den Ost-West Unterschied eher die geringeren Einkommen der "Ostmänner" verantwortlich. Ebenfalls anders als Laurischk beurteilte sie die Forderungen nach gesetzlichen Regelungen. Da es derzeit keine Anzeichen für eine Verkleinerung der Entgeltlücke gebe, sei der Staat verpflichtet, Rahmenbedingungen zu setzen. "Es reicht nicht aus, nur auf Freiwilligkeit zu setzen", argumentierte Lazar. Sie kritisierte Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die den Frauen die Schuld zuweisen würde, da diese eben den falschen Beruf gewählt hätten. "So einfach kann man es sich nicht machen", sagte Lazar.

Doch die angesprochene Familienministerin war in der Debatte zum Unmut der Oppositionsfraktionen nicht anwesend. Dies wollte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, durch einen Geschäftsordnungsantrag ändern. Angesichts der Diskussion einer "zentralen Frage der Frauenpolitik" müsse die Ministerin "herbeizitiert" werden, forderte Beck. Bei der Abstimmung im Hammelsprung-Verfahren fand sein Antrag jedoch keine Zustimmung.